Mittelpunkt des farbenfrohen, lebensvollen, von südländischem Flair, Gerüchen und Lauten vibrierenden Campo de‘ Fiori, geborgen im historischen Stadtkern Roms, ist die hoch aufragende Statue eines Mannes, dessen leicht gesenktes, scharf geschnittenes, markantes, nachdenkliches Gesicht im Schatten der Kapuze seines weiten Überwurfes ruht. Rings um ihn schäumt das bunte Marktleben mit seinen vielfältigen Ständen, deklamierenden und gestikulierenden Händlern, flanierenden Touristen, es riecht nach der Süße frisch erblühter Rosen, dem Duft ungezählter Kräuter, der Herbheit von Feldfrüchten und Spezereien aller Art, nach heißer Sommersonne und von Schuhsohlen hoch gequirltem Staub. Unberührt davon die eherne Gestalt. Am Sockel lassen sich gerne die Wanderer nieder, einen Imbiss verzehrend, aus einer beschlagenen Getränkedose schlürfend…
… Wer war dieser Mann? Wessen Skulptur ist dies, die sich da inmitten des Platzes einem Ruhepol, Dreh- und Angelpunkt gleich erhebt?…
… Er wurde 1548 in Nola, unweit Neapels geboren. Sein ursprünglicher Name war Philippo Bruno. Von seinen früheren Jahren ist nicht viel bekannt, seine Kindheit soll recht unglücklich gewesen sein. Im Alter von siebzehn Jahren trat er in Neapel in den Dominikanerorden ein, dort nahm er im Kloster den Namen Giordano an. Er erhielt 1572 die Priesterweihe und studierte Theologie. Da er der seinerzeit üblichen Heiligen- und Marienverehrung ausgesprochen ablehnend gegenüber stand und seine Verachtung darüber keineswegs verhehlte, geriet er in Konflikt mit der Klosterleitung. Nachdem man ihn dabei beobachtet hatte, wie er ein recht umfangreiches Traktat zur Marienverehrung in die Latrine spülte, wurde er aus dem Orden entlassen.
Es folgten Jahre des Reisens, Suchens. Seine Wanderschaft trug den Nolaner – eine Art Spitzname – von Italien nach Frankreich – Genf und Toulouse, wo er sich mit den Calvinisten überwarf – nach England – dort geriet er alsbald in Streit mit anglikanischen Theologen – weitere Stationen waren Wittenberg, Prag, die Universität Helmstedt und Frankfurt. Dieses unstete Dasein zeigt, daß Giordano Bruno als ausgesprochen unbequemer Zeitgenosse galt, der keinerlei Konfrontationen mied. Er muß eine bemerkenswert scharfe Zunge, einen Hang zum Sarkasmus, zur unverhohlenen Kritik und Spötterei besessen haben. Wohin er sich auch wandte, überall war er bereits nach Kurzem persona non grata, nur mal so geduldet, ohne die Chance, in die jeweiligen Lehrkörper integriert zu werden. Dennoch gelang es ihm, einige seiner philosophischen Schriften zu veröffentlichen, die ihre Wirkung keinesfalls verfehlten.
1591 folgte er einer Einladung nach Venedig. Sein Gastgeber, Giovanni Mocenigo, war über die Maßen beeindruckt vom unglaublichen Gedächtnis des Giordano Bruno. Er führte dessen sensationelle Leistungen auf das Vorhandensein magischer Fähigkeiten zurück. In Wahrheit hatte der Philosoph eine Art Memo-Technik entwickelt. Enttäuscht darüber, daß der beeindruckende Gast sich weigerte, ihn in die Geheimnisse der Magie einzuweihen, denunzierte Mocenigo diesen. Giordano Bruno wurde eingekerkert, nach Rom überstellt und, nachdem er sich nach etlichen Verhören der Inquisition immer noch weigerte, seine, in den Augen der Katholischen Kirche häretischen, ketzerischen Lehren zu widerrufen, am 17. Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Schauplatz der Hinrichtung war der Campo de‘ Fiori, das Blumenfeld. Bruno’s Bemerkung, als er den Schuldspruch entgegen nahm, lautete: „Ihr verkündet das Urteil gegen mich mit vielleicht größerer Furcht, als ich es entgegen nehme.“…
… Hauptthema der Philosophie Giordano Bruno’s war die Unermesslichkeit des Universums, die lebendige, kosmische Einheit, die unendliche, körperliche Substanz im unendlichen Raum, welche sich in der Vielfalt, in der Wechselwirkung des Verschiedenen erhält. Das Weltall war für den revolutionären Denker nicht nur unbegrenzt, sondern auch erfüllt von unzähligen Welten, welche ebenso bewohnt und belebt sein konnten wie die Erde. Alle Körper seien beseelt und befänden sich in einem lebendigen Austausch mit dem Universum. Die gesamte Schöpfung unterläge einer steten, ewigen Bewegung. Gott ist nicht personifizierbar, nicht greifbar, er ist überall und in jedem anwesend. Die Welt ist ewig und unendlich und im dauernden Wandel begriffen, der Mythos von einem persönlichen Gott, der die Welt aus dem Nichts geschaffen hat, somit unhaltbar. Bruno lehnte den Status Jesus als Sohn Gottes vehement ab…
Giordano Bruno gilt heutzutage als ein wesentlicher Begründer der Philosophie der Neuzeit. Daß er im ausgehenden sechzehnten Jahrhundert mit seinen Erkenntnissen und Thesen grade in den Reihen des Klerus für Empörung sorgte, nimmt nicht weiters Wunder, ist seine Sicht der Dinge doch der seiner Zeitgenossen um Jahrhunderte voraus und wirkt zudem auch noch recht bedrohlich. Wenn man mit einem personifizierten Gott, der die Geschicke der Menschlein überwacht – wie das heutzutage etliche Großkonzerne mit ihren Mitarbeitern mittels Kameras machen – und steuert und einem Dompteur gleich Strafen und Belohnungen verteilt, das Volk so schön unter Druck setzen kann, fürchtet man mit Sicherheit Jemanden, der kräftig an der Patina dieses bewußten Irrglaubens kratzt. Auch kränkt es schon empfindlich die Eitelkeit jener Menschen, die sich in der Überzeugung sonnen, die Ebenbilder Gottes und somit die Krone der Schöpfung zu sein, wenn da die Feststellung gemacht wird, auf fernen, unbekannten Planeten sei sogenanntes intelligentes Leben ebenfalls gang und gäbe. Und unsere Spezies, da ja ein ewiger Wandel der Natur herrsche, an sich lediglich eine „Übergangslösung“. Kurz nach seinem Tode formierten sich die ersten, modernen, freimaurerischen Bewegungen, wie z. B. die der Rosenkreuzer, Denker wie Robert Fludd griffen auf die Aussagen Bruno’s zurück. Nimmt man die Lehre des Nolaners als Glaubensgrundlage, lässt sich damit die Brücke zwischen der Religion und der Wissenschaft, z. B. Darwin’s Evolutionstheorie, schlagen…
… Ich umrunde noch einmal den Campo de‘ Fiori, lasse mich gemächlich durch die Gassen der Marktstände treiben, blicke hoch in dieses ausdrucksstarke, markante, scharfzügige Gesicht, eingehüllt in den Schatten der übergeworfenen Kapuze. Und bin sehr dankbar darüber, daß die allmächtige, unermessliche Schöpferkraft einem Giordano Bruno seinerzeit seinen Geistesfunken eingehaucht hat…