In seiner Kindheit und Jugend hatte er davon geträumt, Zirkusdirektor zu werden. Statt dessen übernahm er in noch recht jungen Jahren das kleine Feinkostgeschäft seiner Eltern im Stadtteil Bogenhausen. Und erschuf daraus mit ungemein viel Phantasie, Kreativität, unermüdlicher Energie und Zähigkeit so etwas wie ein Imperium. Er gilt als Erfinder und Wegbereiter der Branche Party-Service.
Ungezählt sind die Geschichten, Legenden, Gerüchte, die sich seit Jahrzehnten um seine Person ranken. Ich habe eine erkleckliche Anzahl von Jahren für ihn gearbeitet, im Foyerrestaurant der Bayerischen Staatsoper und weiß aus eigener Erfahrung ein bißchen zu erzählen…
… Was ihm an Körpergröße fehlte, machte er mit seinem mehr als lebhaftem, cholerischen Temperament wett. Stets war der nackenlange, dichte Schopf silberweißer Haare schier gesträubt vor Vitalität, die hellblauen Augen funkelten hinter randlosen Brillengläsern, hielt man sich in seiner Nähe auf, vermeinte man, in ein Kraftfeld geraten zu sein. Seine Gesichtsfarbe war immerwährend eine Röte, in verschiedensten Schattierungen, hell mit dunklen Wangen im Normalzustand, finsterstes Tiefrot, wenn er einmal wieder einen seiner unglaublichen Wutausbrüche hatte, dann schleuderten seine Pupillen Blitze in sämtliche Himmelsrichtungen, die Haarpracht stand wie elektrisiert zu Berge und aus dem verzerrten Munde entlud sich ein wahrer Glutstrom an Beschimpfungen und Kraftausdrücken. – Minuten später hatte sich der Pulverdampf allerdings mit erstaunlicher Geschwindigkeit wieder verzogen, das „Gefieder“ wurde geglättet, der Teint kehrte zum normalen Kräftigrosa zurück. Vollzog sich eine derartige Eruption, suchte Jedermann, schleunigst in Deckung zu gehen. Wir trugen’s ihm aber niemals nach. Er hatte den Charakter, sich danach stets zu entschuldigen. Dafür verehrten wir ihn…
… Aber nicht allein deshalb. Er war nie der geschniegelte Typ im maßgeschneiderten, perfekt sitzenden Anzug und blitzblanken, sündteuren, italienischen Schuhen, der sich von seinem Bediensteten in der Luxuslimousine durch die Stadt schaukeln ließ und lediglich organisierte und delegierte. Er packte mit an. Ich kann mich an etliche Festivitäten, exklusive Partys erinnern, in deren Verlauf er seinem Faktotum, dem Chauffeur, welcher ihm während der unendlich langen Arbeitstage und -nächte einem Schatten gleich folgte, das Jackett zuwarf, sich die Ärmel hochkrempelte, mit einer Zange Nudeln auf Teller verteilte, Fleisch aufschnitt, Kesselgerichte schöpfte, Getränke ausgab, servierte und mitunter sogar beim Abräumen half…
… Sein Fundus an Requisiten, Geschirr, Gläsern, Mobiliar, Dekorationsstücken nahm im Laufe nur weniger Jahrzehnte den Umfang eines mittleren Staatstheaters an und wurde außerhalb Münchens in weitläufigen Hallen gelagert, dort befand sich auch der Welt größte Geschirr- und Gläserspülmaschine, die er eigens für sein Unternehmen hatte konstruieren lassen. Er beschäftigte eigene Floristen und Dekorateure, sowie über fünfhundert Serviceangestellte, Spüler, Köche und Köchinnen, Küchenhelfer/innen, Weinspezialisten, Schankkellner, Einkäufer… Jede Party wurde von ihm und seinen Serviceleitern minutiös und bis ins letzte Detail geplant. – Ein guter Freund hatte vor etlichen Jahren einmal ein kalt-warmes, sehr exklusives Bufett geordert, aufgebaut werden sollte es in der leeren Scheune des weitläufigen Anwesens. Um den Spezl ein bißchen zu erschrecken, ließ der Party-Löwe Flaschenzüge anbringen. Als die Vorbereitungen getroffen waren und der Einzug der Gäste kurz bevorstand, wurden die Gaumenfreuden nach oben unter das Dach gezogen. Der Gastgeber traf ein, als er des leeren Raumes ansichtig wurde, klappte ihm vor Schreck die Kinnlade herunter und die Augäpfel traten hervor. Er war am Rande eines Nervenzusammenbruchs! Er hatte doch extra für heut Abend beim Meister höchstselbigst die erlesensten Spezialitäten aus aller Herren Länder geordert! Da klatschte der Party-Löwe breit grinsend in die Hände – und aus luftiger Höhe senkten sich langsam die weiß verkleideten, reich gedeckten Tische herab…
… Ein junger Aushilfskollege und ich standen uns einmal anlässlich einer absolut öden Veranstaltung im Residenztheater die Füße platt. Vor Beginn der Vorstellung hatten wir knapp dreißig Mann mit einer schön angerichteten und garnierten Zusammenstellung von kaltem Hummer, Parmaschinken, getrüffeltem Gänseleber-Parfait und Garnelencocktail und Champagner bewirtet, zur Pause sollten wir den Herrschaften unser berühmtes, handgefertigtes Vanilleeis mit heißen Himbeeren reichen. Langeweile ist der Brutofen dummer Gedanken. Von mir angestachelt taten wir Beide uns an dem geöffneten und sorgsam gekühlten Champagner gütlich. Da schoß der „Alte“ die weit geschwungene Treppe des Foyers herauf. Zu spät, um unsere Gläser noch verstecken zu können. Er stutzte und maß uns aus funkelnden Augen: „Was macht’sn da?“ – „Mia trink’n a Glaserl Personalsekt.“, konterte ich ohne zu überlegen. Er sah mich eine endlos währende Sekunde durchdringend an, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand. Nicht lange danach wurde ich ins Büro des Opernrestaurants gerufen. Mir wurden die Knie weich. Der Party-Löwe blaffte mich an: „Glaubst’n du wirklich, daß ich mit all meiner Erfahrung net zwisch’n am Sekt und am Champagner unterscheid’n kann? Du kriagst a schriftliche Abmahnung und der Kolleg wird g’feuert. Aber net, weil ihr Zwoa während der Arbeit g’soff’n habt’s, sondern weil du mi ang’log’n hast.“ Ich war bis ins Mark getroffen. Vor Scham hätte ich mich am liebsten in die nächste Ritze der Wandvertäfelung verkrochen! Noch in der Nacht schrieb ich einen Brief. Ich entschuldigte mich darin, versuchte zu erklären, warum mir diese Dummheit eingefallen sei, ich würde selbstredend die Abmahnung akzeptieren, doch bat ich flehentlich darum, den jungen Aushilfskellner nicht zu entlassen, dieser hätte sich von mir beschwatzen lassen, die alleinige Schuld für diese Eselei läge bei mir. Nur wenige Tage danach kam die Antwort, auf des Meisters persönlichem Briefpapier und handschriftlich: „Deine Entschuldigung nehme ich an. Ich denke, daß so etwas nicht wieder vorkommen wird. Es wird keine Abmahnung geben. Der junge Mann wird nicht entlassen. Diesen Vorfall werden wir allesamt ganz schnell vergessen – aber lüge mich nie wieder an!“…
… Durch sein energisches, quirliges, unstetes, energiegeladenes Wesen wirkte er bisweilen sehr unnahbar. Dabei stand sein Büro jederzeit Mitarbeitern mit Problemen und Kümmernissen offen. Unser Oberkellner liebäugelte vor etlichen Jahren mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen. Bevor er sich’s versah, hatte er eine Art Knebelvertrag für ein Kellerlokal in einer kleinen, schlecht frequentierten Schwabinger Nebenstraße unterzeichnet, es schien keinen Ausweg mehr zu geben, da die Widerspruchsfrist schon verstrichen war, eine erkleckliche Anzahl Tausender für die geleistete Kaution waren wohl auf ewig verloren. Während einer sehr hektischen Opernpause verlor der junge Mann die Nerven und brach in Tränen aus, vor Augen des Partylöwen. Noch in der selben Nacht war ein Termin mit dem Anwalt des großen Meisters organisiert, drei Tage später hielten unser Oberkellner und sein Lebensgefährte die geleistete Zahlung und die Stornierung des Pachtvertrages in Händen. – Eine sehr launenhafte Geschäftsführerassistentin wollte mich während der Wiesn im Festzelt als Kaffeesiederin einsetzen, obwohl ich sehr gerne gekellnert hätte. Ein Anruf beim Partylöwen genügte, ich war in der langen Geschichte dieses Oktoberfestzeltes die erste Serviererin, der auf Anhieb zwei Boxen im Hause zugeteilt worden waren (normalerweise wird man erst einmal fünf oder sechs Jahre lang draußen im Garten eingesetzt)…
… Gerüchte gab es in rauen Mengen, die sein bunt schillerndes, abwechslungsreiches Liebesleben betrafen. Ich mochte ihnen keinen Glauben schenken. Der Mann war von morgens früh bis in die Nacht hinein kontinuierlich beschäftigt, verbrachte einen Großteil seiner Zeit damit, im Fond seines komfortablen Jaguars von einer Party zur nächsten zu eilen, um nach dem Rechten zu sehen. Muße für eine oder gar mehrere Techtelmechtel? Wohl kaum. Als ich im Foyerrestaurant der Bayerischen Staatsoper arbeitete, war er das dritte Mal verheiratet. Diese Angetraute war vor der Ehe Schlittschuhläuferin gewesen, Chorgirl bei Holyday on Ice, um genau zu sein. Diesen Nimbus konnte sie nie abschütteln. Sie pflegte sich beim Gehen in den Hüften zu wiegen und hatte einen lang gezogenen, gleitenden Schritt. „Schaut’s her, jetzt läuft’s wieder ein.“, frozzelte unser Oberkellner stets, wenn sie, von der Küche im Tiefgeschoss kommend, den schmalen Saal durchmessend auf uns ging. Halbherzig, wie mir schien. Der Partylöwe hatte ihr, sozusagen als Morgengabe, die Theatergastronomie vermacht. Ich hatte die ganzen Jahre über den Eindruck, daß sie sich in ihrer Haut – und bei uns – nicht sonderlich wohl zu fühlen schien. Da mir das Kriechen und Schleimen nicht liegt, auch nicht die gekünstelte, übersteigerte Ehrfurcht vor der sogenannten besseren Gesellschaft, redete ich stets mit ihr ohne jegliche Scheu völlig normal von Mensch zu Mensch. Und kam gut mit ihr aus…
… Als die äußerst betagte Mutter des Partylöwen sozusagen in den letzten Zügen lag, vermachte sie überraschenderweise ihre Firmenanteile ihrem Enkelkind, mit dem sie sich – so behauptete man – in besseren Tagen nie sonderlich gut verstanden haben sollte. Allein über diese Episode kursierten Geschichten, Spekulationen, im Vergleich damit die Drehbücher skandalöser Fernsehserien harmlos und langweilig erschienen. Die alte Dame hauchte ihr Leben aus, der Löwenjunge hielt nun die Mehrheit der Firma in seinen Pranken. Der große Meister ging. Nicht lange danach ging ich auch…
