… Das sogenannte Münchner Kunstareal, auf dem sich die drei Pinakotheken sowie sich das Museum Reich der Kristalle befindet, wird im Osten von der Türkenstraße begrenzt, dem einstmaligen Türkengraben. Kurfürst Max Emanuel, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts Ambitionen bezüglich der Kaiserkrone hegte, wollte seine Schlösser Schleißheim und Nymphenburg mittels Kanal mit der Münchner Residenz verbinden lassen. Die Bauarbeiten begannen 1701, sie wurden von Soldaten der Kurfürstlichen Infanterie durchgeführt, in späteren Jahren entstand das Gerücht, der Kanal wäre von türkischstämmigen Kriegsgefangenen ausgehoben worden, die Max Emanuel, der Blaue Kurfürst (wegen der blauen Schärpe, die er stets in Gefechten trug), vom erfolgreichen Feldzug gegen die Türken vor Wien mitgebracht hatte. Die Bauarbeiten an der Wasserstraße wurden 1704 eingestellt, 1711 schüttete man den verbliebenen Graben auf, und verkaufte die Grundstücke. Die heutige Türkenstraße folgt sehr grob dem geplanten Kanal-Verlauf…
… Gut hundert Jahre später enstand unter der Herrschaft des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph entlang der Straße die sogenannte Türkenkaserne mit Platz für mehr als 2.100 Soldaten des Königlich Bayerischen Infanterie Leibregiments. Während des Wiederaufbaus Münchens nach dem 2. Weltkrieg ebnete man die verbliebenen Reste der schwer zerstörten Kaserne ein, das einzige, bis in die heutige Zeit verbliebene Relikt ist das sogenannte Türkentor. Zur Jahrtausendwende nahm sich ein renommiertes Architekturbüro der Sanierung des vom Verfall bedrohten Bauwerks an. Sie beließen die historische Front zur Türkenstraße hin, und schufen im Inneren einen völlig quadratischen Kubus, in dessen Mitte sich auf einem runden, schwarzen, dreistufigen Podest ein modernes Kunstwerk befindet. Ich hab’s so gar nicht mit moderner Kunst, doch als ich vor ein paar Tagen von der lieben Renate zu The Large Red Sphere von Walter de Maria geführt wurde, stockte mir kurz der Atem…
… Die riesige, blank polierte Kugel aus rotem Granit hat einen Durchmesser von ca. 2,60 Metern und wiegt stolze 26 Tonnen. Nach ihrer Fertigstellung in einem Granitwerk in Aicha vorm Walde (Niederbayern) und dem Transport nach München musste sie durch das im Jahr 2009 noch offene Dach des Türkentors mittels Kran auf ihren Standplatz gehievt werden…
… The Large Red Sphere strahlt etwas Magisches aus, sie hat eine geradezu überwältigende Anziehungskraft. Sowohl die Maserung des dunkelroten Granits als auch die vielfältigen Spiegelungen auf der glatten Oberfläche faszinierten mich sehr. Der überaus auskunftsfreudige und geschichtskundige Herr, der ein wachsames Auge auf die Kugel hatte, erzählte uns, dass manche Menschen seltsame Schwingungen verspüren würden, wenn sie ihre Hände auf das Kunstwerk legen würden. Ich tat wie geheißen und breitete beide Hände auf dem kühlen, glatten Granit aus, Schwingungen konnte ich keine wahr nehmen, aber ein seltsames, sanftes Prickeln…
… Danke, liebe Renate. Wenn du dich mit mir am Donnerstag nicht zum Eis essen getroffen hättest, dann wüsste ich höchstwahrscheinlich immer noch nicht, was für eine bemerkenswerte moderne Schöpfung sich nur wenige Steinwürfe von meinem Zuhause entfernt befindet…
… Das Türkentor. Die Inschrift in der Kartusche lautet „Dem ruhmreichen Königlich-Bayerischen Infanterie Leibregiment 1814 – 1919″…

… Oben: Die Türkenkaserne…
… The Large Red Sphere von Walter de Maria…


… Allerdings fürchte ich, dass ich trotz bester Bemühungen nach wie vor keinen ausgeprägten Draht zur modernen Kunst haben werde. Während unseres Aufenthalts im Türkentor kamen wir auch darauf zu sprechen, welches Kunstwerk für uns das schönste in ganz München sei – meines wird auf immer und ewig die Bronzestatue des Neptun sein, geschaffen Ende des 16. Jahrhunderts von dem leider viel zu früh verstorbenen Georg Petel…
… Allerdings weiß ich die Farbenspiele der mit vielen bunten Elementen versehenen Außenfassade der Sammlung Brandhorst mit dem sommergrünen Laub der Bäume längsseits der Türkenstraße durchaus zu schätzen…