Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Christl-Marie Schultes, Bayerns erste Fliegerin…

… Nicht nur Bloggen bildet, sondern gelegentlich auch das Fahren mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln…

… Auch in den Münchner Bussen, Tram- und U-Bahnen gibt es solche „Guckkasterln“ (Monitore), die in lockerer Folge aktuelle Nachrichten in Kurzform, Wetterberichte, Werbung etc. anzeigen, um den Fahrgästen die Zeit zu vertreiben. Ergänzt wird das virtuelle Angebot hier durch eine Rubrik mit dem Titel „Bayerisch für Gscheidhaferln (Besserwisser:Innen )“, in der jedesmal über noch lebende bzw. verstorbene Berühmt- und Berüchtigtheiten, Redewendungen, Brauchtümer oder Denkwürdiges der bayerischen Geschichte aufgeklärt wird…

… Gestern musste ich nach einem kurzen Stelldichein mit den dienstbaren Geistern in der Praxis des Neurologen meines Vertrauens per U-Bahn nach Schwabing, um eine Besorgung zu erledigen. Während der kurzen Fahrt wurde in den „Guckkasterln“ nach Bayerns erster Fliegerin gefragt. Und da glänzte ich trotz meiner fast lebenslangen Leidenschaft fürs Fliegen durch komplettes Nichtwissen. Leider konnte ich die gezeigte Kurzbiographie nicht verfolgen, da ich aussteigen musste – aber den Namen habe ich mir gemerkt, und zuhause sogleich danach geguggelt…

… Maria Rosalie kam 1904 als zweites von vier Kindern des Forstverwalters Otmar Schultes und seiner Frau Theresia zur Welt, und wuchs in Bad Heilbrunn der Nähe von Bad Tölz im Süden Bayerns auf. Schon bald wurde das sehr eigenwillige Kind aufgrund des Berufs ihres Vaters „Försterchristl“ bzw. Christl-Marie genannt. Im Alter von zehn Jahren wurde sie zur Schule nach München geschickt. Sie riss dort mehrmals aus, weil es ihr in der großen Stadt überhaupt nicht gefiel. Der einzige Ort, an dem sie sich wohl fühlte, war das Armeemuseum (heute befindet sich die Bayerische Staatskanzlei darin), wo sie in Tagträume versunken stundenlang vor dem rot lackierten Doppeldecker des legendären Barons von Richthofen ausharren konnte. Schon bald stand für sie fest, dass sie einmal eine Fliegerin werden wollte…

… 1928 fuhr sie nach Berlin, um sich dort an einer Flugschule ausbilden zu lassen, Vater und Mutter wähnten sie bei einem Kochkurs. Nach Erhalt ihres Diploms war sie somit die erste Pilotin Bayerns. Obwohl sich ihre Eltern zunächst sehr gegen ihre beruflichen Pläne sträubten, finanzierte Schultes dann doch die Ausbildung seiner Tochter – das Schulgeld für Frauen war damals übrigens wesentlich höher als für Männer…

… Nach ihrer Qualifikation als Kunstflug-Pilotin trat sie mit einem geliehenen Flugzeug bei Flugschauen auf. Nach einigen Jahren wurde ihr mittels großzügiger Spenden ihren Eltern sowie der Stadt Bad Tölz der Kauf der ersten eigenen Maschine ermöglicht. Christl-Marie Schultes war danach europaweit an der Seite damaliger Fliegerstars wie Ernst Udet und Gerhard Fieseler unterwegs, als Copilotin von Antoine de Saint-Exupéry überquerte sie das Mittelmeer. Sie wurde berühmt und erregte das Interesse des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und Hermann Göring…

… 1931 machten sich Frau Schultes und Gustav Sackmann an Bord eines kleinen, zweisitzigen Eindeckers vom damaligen München Flugplatz Oberwiesenfeld aus auf den Weg zu einer geplanten Weltumrundung. Doch sie kamen nicht weit, nahe Passau verunglückten sie schwer, Christl-Marie musste das linke Bein amputiert werden…

… Ein Jahr später gründete sie in Berlin ihre eigene Zeitschrift, die „Deutsche Flugillustrierte“, die allerdings unter ihrer Leitung nicht lange verlegt wurde, da Christl-Marie Schultes sich weigerte, in die NSDAP einzutreten, und sie deshalb nicht in die sogenannte Reichsschrifttumkammer aufgenommen wurde. Zudem lehnte sie es ab, ihren jüdischen Verlobten zu verlassen. 1934 emigrierte sie mit ihm über die Schweiz nach Frankreich, und lebte im Hinterland von Nizza auf einem Bauernhof. Sie half zusammen mit ihrem Lebensgefährten nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs dabei, Geflüchteten die Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen, evakuierte Pariser Kinder in unbesetzte Regionen Frankreichs, versorgte mit Lebensmittelspenden des amerikanischen Roten Kreuzes Notleidende in Griechenland, und bemühte sich – meist vergebens – um die Freilassung Alter und Kranker aus dem französischen Internierungslager Gurs…

… 1943 wurde sie von der SS festgenommen und ins KZ Ravensbrück verbracht, nach einer Weile wieder entlassen – wohl dank der Fürsprachen eines einstigen Fliegerfreundes. Sie kehrte zurück nach Bad Tölz zu ihren Eltern, mit der Auflage, sich einmal wöchentlich bei der Gestapo zu melden…

… 1944 wurde sie wegen „Wehrkraftzersetzung“ erneut verhaftet, nachdem sie sich höchst abfällig in aller Öffentlichkeit über die Nationalsozialisten geäußert, und Wehrmachtsangehörige dazu aufgefordert hatte, nicht mehr an die Front zurück zu kehren. In der Haft wurden ihr das Nasenbein gebrochen, und die Beinprothese zertreten. Im März 1945 wurde sie zum Tode verurteilt und ins Münchner Zuchthaus Stadelheim verlegt, und dort quasi in letzter Sekunde von Soldaten der US-Armee gerettet und befreit…

… Nach Kriegsende arbeitete sie für die amerikanischen Streitkräfte, und bemühte sich lange Jahre vergeblich um eine Entschädigung für ihre Haftzeiten während des NS-Regimes. Daneben startete sie 1951 eine Kampagne, um auf die deutschen Kriegsgefangenen aufmerksam zu machen und half 1960 den Opfern eines Erdbebens und einer massiven Lebensmittelvergiftung in Marokko…

… Ihren letzten Prozess um Wiedergutmachung verlor sie im Jahr 1966. Fünf Jahre später starb Christl-Marie Schultes vereinsamt und völlig verarmt im Schwabinger Krankenhaus. 2014 hat man nahe des Münchner Oberwiesenfelds, auf dem heute die Bauten der Olympischen Spiele 1972 sich erheben, eine Straße nach ihr benannt…

Mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Bad Tölz

21 Antworten zu “Christl-Marie Schultes, Bayerns erste Fliegerin…”

  1. Sie war eine inspirierende Heldin. Kompetent, unabhängig und menschlich. Sie erinnert mich an Amelia Earhart. Danke fürs Posten und bleib gesund und munter, mein Freund.

  2. Vielen Dank für diese interessante Geschichtsstunde. Es gab und gibt immer wieder faszinierende Menschen, wo es sich lohnt, ihre Biografie mal genauer zu lesen.

  3. Das ist ja wirklich sehr interessant, liebe Martha und zeigt auf, dass sich jede Bildungslücke in jedem Alter schließen lässt, wenn man aufgeschlossen und auch lernwillig ist.😊
    Ganz liebe Grüße und Dankeschön fürs teilen, schließen einer meiner Lücken. 🍀

    • Ja, wenn man will, dann kann man auch im Alter noch so Einiges dazu lernen. 😉
      Sehr gerne, liebe Hanne! Ich danke dir fürs Vorbeischauen, und grüße dich herzlich zurück!

    • Ich war beim Lesen und Recherchieren der Biographie von Christl-Marie Schultes auch sehr beeindruckt.
      Sehr gerne! Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenend, und grüße dich herzlich zurück!

  4. Eine interessante Frau mit einem noch interessanterem Lebenslauf!
    Danke fürs Nachforschen – wie ich aus den vor mir geschriebenen Kommentaren lesen kann, waren alle beeindruckt und begeistert!
    VG
    Christa

  5. Puh, was für ein trauriges Ende für so eine Frauengestalt. Ich hoffe sehr, dass sich ihre Lebensgeschichte auch durch dein Aufschreiben in der Erinnerung hält und junge Mrnschen motiviert, ihren Traum zu leben ❤️ und ich find übrigens, das Bayrisch für Gscheidhaferl könnte deine regelmäßige Rubrik auf dem Blog werden. Da würd ich gern regelmäßig reinlesen – ganz liebe Grüße zu dir

    • Ja… Wäre sie ein Mann gewesen, hätte man sie womöglich nicht so schnell in der Versenkung verschwinden lassen. Ich hoffe auch, dass durch diesen Blogpost die Christl-Marie wieder mehr Beachtung finden wird.
      Tausend Dank für die feine Inspiration, meine Liebe. Auf die Idee, Bayerisch für Gscheidhaferl zu einer Blog-Rubrik zu machen, bin ich noch gar nicht gekommen, obwohl ich mich seit etlichen Jahren schon über jeden Artikel freue, der in den „Guckkasterln“ gezeigt wird, wenn ich in den Öffentlichen fahre. 😉
      Herzliche Grüße! <3

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