… Im Jahr 1958 wurde das Haus, in dem ich seit ziemlich genau dreiunddreißig Jahren lebe, auf einem einstmaligen Trümmergrundstück des Zweiten Weltkriegs erbaut. Und genauso alt ist der Aufzug (er hat fast so viel Jahre auf dem Buckel wie ich!). Kein Wunder, dass er seit einer Weile schon nicht mehr allzu zuverlässig seine Dienste versieht, die letzte gründliche Runderneuerung ist auch schon wieder über zwanzig Jahre her…
… Obwohl der beständig vor sich hin grantelnde, urbayrische Mechaniker, der bei Pannen stets gerufen wird, und der auf mir oft wundersam erscheinende Weise den Lift immer wieder für eine Weile zum Laufen brachte, dem Hausbesitzer und -verwalter seit Jahren schon permanent in den Ohren liegt, das Teil doch endlich durch ein modernes zu ersetzen, hatte man ihm bis vor kurzem kein Gehör geschenkt. Viele Wohnungen ringsum im Haus hat man während der letzten Jahre quasi luxussaniert und vermietet sie nun für haarsträubend viel Geld, doch auf einen reibungslos funktionierenden Aufzug und ein freundliches, gepflegtes Ambiente im Flur wurde bislang nicht viel Wert gelegt. “Also, wenn ich den ramponierten Hausflur und die schäbige, zerkratzte Liftkabine sehen würde, und der Hausverwalter mir dann erzählen würde, dass er monatlich 1.800 Euro für eine Zweizimmerwohnung von knapp fünfzig Quadratmetern haben möchte, dann würde ich ihm den Vogel zeigen und auf der Stelle kehrt machen!”, das ist inzwischen eine meiner Lieblingsbemerkungen, wenn ich mal wieder mit einer Nachbarin über das unerhörte Verhalten des Hausverwalters lästere…
… Seit mehr als vier Monaten ist nun die Lifttür im Erdgeschoss defekt. Zuerst hat es auf meine Anfragen geheißen, dass sich der Mechaniker das wieder einmal ansehen wird. Nachdem sich mehrere Wochen lang nichts getan hatte, hakte ich nach und erfuhr, dass die Türe durch eine neue ersetzt wird, was ungefähr eineinhalb Monate lang dauern wird. Wieder tat sich nichts. Mitte Mai setzte ich mich erneut mit dem Hausverwalter in Verbindung, den nicht nur ich als absolut unsympathisch und so falsch wie die Nacht finster empfinde. Nun hieß es, man habe einen komplett neuen Aufzug bestellt. Dieser müsse erst angefertigt werden, was sechs bis acht Wochen dauern würde. Und dann müssten wir voraussichtlich von Mitte Juli bis mindestens Ende August ohne Lift zurecht kommen, denn so lange würde das Heraussreißen des alten und der Einbau des neuen dauern…
… Nach dem Telefonat saß ich zunächst mal eine Weile wie geplättet in meinem Lieblingssessel. Ich bin, wie ihr ja wisst, aufgrund unheilbaren Muskelschwunds schwer gehbehindert. Und die Aussicht, im schlimmsten Falle bis zu über zwei Monaten keinen Lift zur Verfügung zu haben, war zuerst schon ein rechter Schock für mich. Ausgerechnet im Sommer! Wo ich am aktivsten bin! Wie soll ich es da bewerkstelligen, meine täglichen Runden zu gehen bzw. größere Ausflüge zu machen, wenn ich zunächst einmal drei recht lange Treppen hinab und wieder hinauf steigen muss! Und dann das Einkaufen! Wie soll ich meine Einkäufe per Rucksack und Tasche die drei Stockwerk hoch hieven!…
… Dann aber gewannen Optimismus und Tatkraft die Oberhand. Ich verfasste nach gründlichem Nachdenken eine Liste all jener Dinge, die ich zum täglichen Leben brauche, und die relativ schwer wiegen, und beschloss, mir davon einen Vorrat anzulegen, der im Notfall für etwa drei Monate reichen würde. Da die Lifttür im Erdgeschoss ja nach wie vor defekt ist, läuft der Aufzug erst ab dem ersten Stockwerk. Das ist auch nicht grade prickelnd, aber bis jetzt bin ich ziemlich gut damit zurecht gekommen. Meine Lagerkapazitäten in der Wohnung sind mittlerweile fast vollkommen ausgeschöpft, aber gestern habe ich den letzten Schwung an Vorräten nach Hause gebracht. Ich werde in den vielen Wochen des Lifteinbaus dann nur mehr Leichteres wie Obst und Gemüse nach oben transportieren müssen. Das ist machbar…
… Zudem habe ich gleich nach dem Telefonat mit dem Hausverwalter angefangen, Treppensteigen zu trainieren. Ohne Last und schön langsam komme ich die drei Stockwerke hoch. Das ist beruhigend. Ab nächster Woche werde ich üben, mit dem Rucksack nach oben zu gehen, zuerst mit dem leeren, den ich dann nach und nach füllen werde. Zudem werde ich in der liftlosen Zeit schwerere Einkäufe, falls nötig, mit dem “Kartoffelporsche” nach oben ziehen. Das geht recht gut, weil das Ding ziemlich große Räder hat…
… Es wird schwierig? Na, dann! Wann ist es denn je einfach gewesen? Ich bin gerüstet!…
…
… Ich wünsche euch Lieben einen ganz wunderbaren und entspannten Sonntag!…