… Heut ist die längste Nacht im Jahr, die Wintersonnenwende. Und die erste der zwölf Raunächte. Zu keiner anderen Zeit im Jahr ist der Vorhang zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt so dünn. Zu keiner anderen Zeit im Jahr kann es geschehen, dass man die Wilde Jagd über den düsteren, wolkenverhangenen Himmel, durch die finsteren Wälder brausen sieht. Gar furchtbar ist das Gerassel, Geschrei, Johlen, Heulen, Jammern des Geisterzugs! Zwar ist die Wilde Jagd den Menschen nicht feindlich gesinnt, es ist dennoch ratsam, zuhause zu bleiben, oder sich niederzuwerfen, wenn man im Freien von der Anführerin Göttin Perchta und ihrem Gefolge überrascht wird…
… Habt einen guten und erfüllten Tag – und gebt acht auf euch…
… gilt nicht nur als einer der Helden der Sendlinger Mordweihnacht 1705, sondern als der bayerischer Volksheld schlechthin. Schon bei der Belagerung Wiens durch das schier übermächtige Heer der Osmanen und dem Großen Türkenkrieg soll er an der Seite des bayerischen Kurfürsten Max Emanuel Herausragendes geleistet haben. So soll er zum Beispiel das fest verschlossene Belgrader Stadttor mit einem einzigen Hieb einer armdicken, baumlangen Stange geöffnet haben…
… Er wird als einer der Anführer des bayerischen Volksaufstandes 1705 beschrieben, schon über siebzig Jahre alt, aber von hünenhafter und muskelbepackter Statur. Seine Waffe war eine zentnerschwere, mit tödlich scharfen Nägeln gespickte Keule. Am Abend des Massakers bei der alten Sendlinger Kirche St. Margaret setzte er sich mit schier übermenschlicher Kraft zur Wehr, in der einen Hand die bayerische Fahne schwingend, in der anderen die Keule, mit welcher er seine Feinde niedermähte, wie ein Bauer sein Getreide, aufrecht wie ein Baum inmitten der über tausend, großenteils unbewaffneten, ermordeten Rebellen, in deren vergossenem Blut watend. Bis er durch einen Schuss in den Rücken durch einen Soldaten der Habsburger Besatzer feige niedergestreckt wurde…
… Man hat ihm nicht nur am Schauplatz der Sendlinger Mordnacht ein Denkmal gesetzt, sondern natürlich auch in seinem angeblichen Heimatort Kochel…
… Leider haben mittlerweile die historischen Forschungen ergeben, dass es diesen Schmied von Kochel in Wahrheit nie gegeben hat. Mag sein, dass der nachweislich am Volksaufstand beteiligte Schmied Balthasar Riesenberger, aus Bach bei Holzolling nahe Weyarn stammend, einem Dorf gut zehn Kilometer südöstlich von München, als eine Art Vorbild für den von Sagen umwobenen Kämpfer diente. Aber – „nix gwiss woaß ma ned“…
… Die überaus dramatischen, mit sehr viel Phantasie ausgeschmückten Legenden über den erfundenen bayerischen Volkshelden wurden wohl in die Welt gesetzt, um den Schrecken der Sendlinger Mordweihnacht und die Niederlage des bayerischen Volksaufstandes erträglicher zu machen. Zudem bietet doch jede dramatische Epoche der Menschheitsgeschichte – egal, ob im großen Rahmen oder eher im kleineren – einen überaus fruchtbaren Nährboden für Sagen von tollkühnen, wagemutigen, dem Feinde und dem Tode furchtlos gegenüber tretenden Recken. Und wir kleinen Erdenbürger benötigen seit jeher Vorbilder der Treue, Tapferkeit und Ehre, und jene Geschichten über sie, die man sich am prasselnden Lagerfeuer genauso gut erzählen kann wie im Schein künstlichen Lichts – in heutigen Zeiten vielleicht so sehr wie niemals zuvor…
… Während meines Bummels durch die entzückende Welt der Marionetten in der Salzburger Hohenfeste ist mir dieses Märchen aus meiner Heimat wieder einmal in den Sinn gekommen:…
… Zwischen dem Salzburger und dem Berchtesgadener Land türmt sich der wuchtige Koloss des Untersberg-Massivs. Dieser Bergstock hat eine Besonderheit: Er ist fast so durchlöchert wie ein Stück Schweizer Käse. Zahlreiche Höhlen – darunter die Schellenberger Eishöhle, die St.-Kolowrats- sowie die vor einigen Jahren durch eine spektakulären Rettungsaktion zu Ruhm gelangte Riesending-Höhle – und Dolinen durchziehen das Felsgestein…
… Seit Alters her erzählt man sich, dass in den schier unzählbaren unterirdischen Kammern und Gelassen ein Zwergenvolk hausen soll, die Untersberg Manndln. In ihren Hallen und Sälen tief im Fels verborgen sollen gar wundersame Blumen blühen, und heilkräftige Quellen sprudeln, Gold und Juwelen ohne Zahl glitzernd und funkelnd die Wände schmücken. Die Zwerge werden als scheu und sich vor den Menschen zurück haltend beschrieben, allerdings auch als neckisch und schelmenhaft. Armen und Ausgestoßenen erweisen sie gelegentlich warmherzige Wohltaten, und beschenken sie mit Reichtümern. Sie lieben Musik und Tanz und wohnen deshalb gerne unentdeckt Festen und Hochzeiten bei. Zusammen mit anderen märchenhaften Wesen wie Riesen und Wildfrauen bilden sie die Schutzmacht eines der größten Herrscher Europas, der in einem prächtig ausgestatteten Saal im steinernen Kern des Untersbergs thronen soll…
… Die Rede ist vom Kaiser Karl dem Großen. Umgeben von seinem Hofstaat und den tapfersten Ritten befindet er sich in einem tiefen, todesähnlichen Schlaf. Sein dichter Bart ist schon so lange gewachsen, dass er sich zweimal um den Marmortisch, der vor ihm steht, herum windet. Sobald der Bart des Kaisers das dritte Mal um den Tisch reichen wird, wird das Ende der Welt gekommen sein…
… Alle hundert Jahr‘ erwacht der Kaiser und sendet einen Edelmann hinauf zum Gipfel des Geierecks, um nachzusehen, ob immer noch Raben den Berg umkreisen. Währenddessen misst die Tochter Karls des Großen das Barthaar nach, und wenn sie sieht, dass dieses immer noch nicht die dritte Runde vollendet hat, entströmen Tränen ihren Augen, und werden im Geflecht des Bartes zu Perlen. Auf des Edelmannes Nachricht, dass nach wie vor Raben am Geiereck ihr munteres Spiel mit den Bergwinden treiben, neigt sich des Kaisers Haupt auf die Brust, und mit einem Wehruf versinken er und seine Getreuen erneut in tiefem, tiefem Schlaf…
… in und um München ist ganz ohne Zweifel das Asam-Haus in der Sendlinger Straße. Es wurde vermutlich im 16. Jahrhundert erbaut, 1729 von Egid Quirin Asam erworben, und ab 1733 von ihm und seinem Bruder Cosmas Damian – beide geniale Baumeister des Spätbarocks und Rokoko – mit einer prachtvollen und sehr detailreichen Fassade versehen…
… Jedesmal, wenn ich die Praxis meines Orthopäden ansteuere, dann komme ich an diesem sehenswerten Anwesen vorbei, und dann muss ich einfach ein Weilchen stehen bleiben und schauen, und staunen, und mich an diesem Anblick erfreuen…
… Über die angrenzende Asam-Kirche (ich habe leider kein eigenes brauchbares Foto, denn grad als ich die Fassade knipsen wollte, gab der Akku den Geist auf), gibt es eine hübsche kleine Anekdote: Als Cosmas Damian Asam mit der Gestaltung des Deckengemäldes zugange war, auf seinem Gerüst verborgen hinter allerlei Farbtöpfen und anderem Gerät, kam ein Hofstallbediensteter herein. Er lästerte seiner Begleitung gegenüber gar schlimm über die Asam-Brüder und ließ kein gutes Haar an ihnen. Mit wachsendem Zorn hörte Cosmas Damian Asam den Verunglimpfungen zu. Als es ihm zu bunt wurde, rief er zu dem verdatterten und peinlich berührten Hofschranzen hinunter: „Mein lieber Herr, für Eure wohlmeinenden Worte, die ihr der Arbeit meines Bruders und meiner gezollt habt, werde ich Euch zum Dank verewigen!“ Das ist der Grund, warum auf dem Deckengemälde dieser Hofstallbedienstete in einer nicht eben schmeichelhaften Darstellung zu sehen ist…
… Wohin ich mich auch fragend wandte, niemand konnte mir sagen, wo denn nun das Konterfei des respektlosen Lästerers zu sehen sei. Auch die Klosterfrau, die Führungen durch die Asamkirche veranstaltet, hat noch nie von dieser Geschichte vernommen. So machte ich mich heute Nachmittag mittels Teleobjektiv auf die Suche, und ich glaube, ich bin fündig geworden:…
… Es ist schon wenig schmeichelhaft, als nackter Affe verewigt zu werden. Aber recht geschieht’s dem Kerl, was muss er auch über zwei der größten Künstler seiner Zeit spotten…
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… Das Deckengemälde ist übrigens so raffiniert gestaltet, dass es aussieht, als wäre die Decke der Kirche gewölbt, was nicht der Fall ist, sie ist bretteleben. Eine solche Kunst der Perspektivmalerei ist schon atemberaubend, vor allem wenn man bedenkt, dass es in der damaligen Zeit – erste Hälfte des 18. Jahrhunderts – keinerlei „modernen“ Hilfsmittel gegeben hat…
… Der wuchtige, bisweilen einem etwas abgeschrägtem Tafelberg gleichende, Koloss des Untersbergs ruht zwischen dem Berchtesgadener Talkessel, dem Salzburgerischen und dem Voralpenland. Sein Rücken mit der v-förmigen Einkerbung der Mittagsscharte ist weithin zu sehen. Dieses Bergmassiv ist von Dolinen, Kavernen und Höhlen durchlöchert wie ein Schweizer Käse, spektakuläre Berühmtheit ob einer wagemutigen und aufwändigen Rettungsaktion erlangte im Frühsommer vergangenen Jahres die Riesending-Höhle…
… Sagen und Legenden zufolge soll im verborgenen und verzweigten System von unterirdischen Gängen und Sälen ein zwergenhaftes Völkchen hausen, die sogenannten Untersbergmanndln. Man beschreibt sie gerne als recht unansehnlich, mit graufahler Haut, und grotesk übergroßen Köpfen. Sie sind kaum größer als ein vierjähriges Kind, in grobes Tuch gewandet, auf den Häuptern tragen sie schwarze, breitkrempige Hüte oder auch Tarnkappen. Gerne spielen sie Wanderern, die bei ungutem Wetter unterwegs sind, so mancherlei Schabernack, verdrehen Wegweiser und führen sie in die Irre. Wer jedoch besonders reinen Herzens ist, wird von ihnen bisweilen in ihr geheimnisvolles Reich geleitet, und überreich beschenkt…
… Steht ein ganz furchtbares und die Menschheit erschütterndes Unheil bevor, dann ist während finsterster Nacht am Grenzübergang Hangender Stein an der Ostflanke des Untersbergs und nahe der Berchtesgadener Ache der unheimliche, schweigende Zug der schwarzen Mönche zu sehen. Es gibt einige alte Einheimische, die unweit des Hangenden Steins beheimatet sind, welche immer noch Stein und Bein beschwören, dass sie unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs diese schauerliche Prozession beobachtet haben…
… In einer tief im Fels verborgenen, riesigen, mit edlen Metallen, Perlen und Juwelen reich geschmückten Halle ruht Kaiser Karl der Große in tiefem, tiefem Schlaf. Er sitzt auf seinem Thron an einem runden, einbeinigen Tisch, und wenn sein silberweißer, üppiger Bart sich dreimal um dieses Tischbein gewundet hat, dann wird auf dem Welserfeld bei Salzburg bei einem uralten Birnbaum die letzte Schlacht der Menschheit gegen das Böse und den Antichrist ausgefochten werden. Das Gute wird siegen, und angeführt vom Kaiser Karl in strahlender Rüstung werden die tapferen Recken in die Hohe Feste Salzburg einziehen und den Beginn eines neuen Zeitalters in Frieden, Liebe und Wohlstand verkünden…
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