Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Ein Cold Case namens Mayerling (1)…

… Vor gut fünfzig Jahren verbrachten meine Familie und ich zwei schöne Ferienwochen am Plattensee. Auf dem langen Weg dorthin bog mein Vater kurz vor Wien von der Autobahn ab, um die Fahrt durch Österreichs Hauptstadt zu vermeiden. Als nach einer Weile linkerhand ein kleines Schlösschen sichtbar wurde, wies Papa kurz darauf und erzählte die nach wie vor rätselhafte Tragödie, die sich Ende des 19. Jahrhunderts dort abgespielt hatte…

… Luftaufnahme von Schloss Mayerling…

Mit freundlicher Genehmigung C.Stadler/bwag

… Diese Episode versank alsbald in Vergessenheit, bis ich Mitte Dezember zum dritten Mal ein paar Tage in Wien verbrachte, und zusammen mit @Myriade unter anderem die Kapuzinergruft besuchte, die Grablege der Habsburger. Ich war beeindruckt und erstaunt, rechts neben den an sich schlichten Särgen von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth auch den ihres einzigen Sohnes Rudolf zu sehen. Und erinnerte mich unvermittelt an die Geschichte, die mein Vaters während unserer Reise in den Urlaub an uns weiter gegeben hatte. Sie ließ mich auch während meiner Covid19-Infektion nicht mehr los, und kaum war ich freigetestet, orderte ich in der nahen Stadtbib. einen ansehnlichen Stapel Bücher über die Habsburger, aber vor allem über den Kronprinz Rudolf und Schloss Mayerling…

… Am 30. Januar 1889 gegen halb sieben Uhr morgens trug der österreichische Kronprinz Rudolf in Schloss Mayerling, das ca. 27 Kilometer westlich von Wien liegt, seinem Kammerdiener Johann Loschek auf, das Frühstück um eine Stunde zu verschieben und die Kutsche anzuspannen. Kurz darauf ertönten zwei Schüsse aus dem Schlafzimmer Rudolfs. Zusammen mit dessen langjährigem Freund und Jagdgenossen Graf Hoyos brach Loschek die Tür auf. Im Bett lagen nebeneinander die blutüberströmten Leichen der 17-jährigen Baroness Mary Vetsera, seit kurzem eine der Geliebten Rudolfs, und des 30 Jahre jungen Kaisersohnes. Die sterblichen Überreste Rudolfs wurden in aller Eile nach Wien transportiert. Dort machten, befeuert durch die übereilt veröffentlichen falschen Meldungen über die Todesursache des Thronerben, binnen kurzem die abenteuerlichsten Gerüchte über das Ableben des jungen Mannes die Runde. Lange Zeit wurde verschwiegen, dass der Thronfolger allem Anschein nach zuerst seine blutjunge Geliebte Mary Vetsera erschossen hatte, bevor er sich selbst richtete. Damit Rudolf christlich beigesetzt werden konnte, wurden die Hofärzte dazu angehalten, im Obduktionsbericht, der kurz danach spurlos verschwunden ist, anzugeben, dass der Sohn des Kaisers aufgrund angeblich deformierter Gehirnstrukturen unzurechnungsfähig und geisteskrank gewesen sei. Und bis heute konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob es sich in Schloss Mayerling tatsächlich so abgespielt hat…

… Rudolf war der einzige Sohn des österreichischen Kaiserpaares. Er war hoch intelligent, vielseitig interessiert, gut aussehend, ein Charmeur, der die schönen Dinge des Lebens durchaus zu schätzen wusste. Zeit seines Lebens bemühte er sich mit all seinen Kräften um die Zuneigung und Wertschätzung Franz Joseph, der ihm meistens nur mit unnahbarer Kühle, herablassender Distanziertheit, ja, sogar Verachtung begegnete. Ihre völlig entgegen gesetzten politischen Neigungen sorgten mehr als einmal für bitterböse Konflikte zwischen dem erzkonservativen Vater und seinem Sohn – Rudolf vertrat eine am Hofe sehr mit Missbilligung zur Kenntnis genommene sozial-liberale Haltung. Er tat unter einem Pseudonym schreibend in der Zeitung eines engen Freundes häufig seine fast schon revolutionär zu nennenden Ansichten kund. Zu gerne wäre Rudolf auf die Universität gegangen, und nach erfolgreichem Studium Wissenschaftler geworden. Doch der Kaiser wies die Bitten seines Sohnes immer wieder schroff ab und steckte ihn statt dessen ins Militär. Bereits im Alter von fünf Jahren wurde der Kronprinz auf seine militärische Laufbahn vorbereitet. Der Drill, den sein Erzieher, Leopold Graf Gondrecourt, ihm unterwarf, kann nur als unmenschlich und unfassbar brutal bezeichnet werden. Zum Glück wurde Gondrecourt nach einigen Monaten durch Joseph Graf Latour abgelöst, der die wissenschaftlichen und humanistischen Neigungen des Kindes förderte, und dem Rudolf bis ans Lebensende verbunden blieb. Als der Kronprinz 23 Jahre alt war, wurde er von seinem Vater quasi zwangsverheiratet. Die Ehe mit der belgischen Prinzessin Stephanie soll keine allzu glückliche gewesen sein…

… Wird demnächst fortgesetzt…


19 Antworten zu “Ein Cold Case namens Mayerling (1)…”

  1. Guten Morgen,
    ja, die Faszination kann ich nachvollziehen. Bin ich der auch erlegen, nach meinem ersten Wien-Besuch. Schon lange her. Hab die Bücher von Brigitte Hamann verschlungen. Es ist tragisch, was mit Rudolf passierte, aber wie so oft, sind die Eltern schuld. Heute wie damals passiert es so oft.
    Wünsche einen entspannten Montag

    • Ich denke, Rudolf hätte ein guter Kaiser werden können, wären Franz Joseph und Elisabeth etwas liebevoller und respektvoller mit ihm umgegangen. Es ist so schade, dass es diese Tragödie gegeben hat.
      Danke schön, hab du auch einen guten Wochenstart!

  2. Das ist ja wieder sehr interessant, liebe Martha und freu mich richtig darüber durch dich bzw deine Beiträge noch so viel über Wien zu erfahren!
    Dankeschön und ganz liebe Grüße von mir zu dir 🤗

      • Stimmt und dein Vater bog kurz vor Wien von der Autobahn sogar ab, um die Fahrt durch Österreichs Hauptstadt Wien zu vermeiden… Aber deine Erzählung über das Schicksal des Habsburger Kronprinzen ist wirklich sehr interessant und ich bring zur Zeit wegen Geburtstagsvorbereitungen eh so manches bissl durcheinander…. bin wohl auch wieder reif für die Insel. 😉

  3. Da ist irgendwas schief gelaufen. Ich habe Nummer 3 schon gelesen, aber Nr. 2 noch gar nicht gesehen. Chaos bei den Habsburgern, das passt sehr gut 🙂 🙂
    Zu Mayerling war mein Wissensstand immer, dass Rudolfs Syphilis-Erkrankung ein Stadium erreicht hätte, in dem es begann das Nervensystem anzugreifen und dass dies einer der Gründe für den Selbstmord gewesen wäre. Aus anderen Quellen habe ich gehört, dass er gar keine Syphilis hatte, sondern dass dies nur ein Vorwand gewesen sei um ihn mit harten Drogen zu versorgen. Das erklärt allerdings beides nicht, warum er dieses naive, junge Mädchen erschossen hat. Man könnte sagen „mitgenommen“ das setzt aber den Glauben daran voraus, dass dann beide in irgendeinem Paradies oder ähnlichem gelandet wären.
    Es ist alles widersprüchlich und intransparent. Ich glaube auch nicht, dass man jemals die Wahrheit herausfinden wird. Das einzige, was ich mir irgendwie erfolgsversprechend vorstellen könnte, wären Tagebücher oder vielleicht eine Zeugenaussage von Bratfisch …

    • Ja, ich hatte nachts beim Schreiben aus Versehen bei Teil 3 auf „veröffentlichen“ geklickt und den Fehler erst etwa eine halbe Stunde später bemerkt. 😉
      Rudolf hatte nachweislich Gonorrhoe, nicht Syphilis. Und er war auch weder drogen- noch alkoholabhängig. Genauer werde ich das morgen ausführen. Als sehr kritischer Geist, dem die Kirche ausgesprochen suspekt war, hat er wahrscheinlich nicht an das Paradies geglaubt. Wie ich in Teil 3 beschrieben habe, ist meine Vermutung, dass Franz Joseph die Thronfolge ändern und Rudolf als Kronprinz absetzen wollte, und ihm das während des heftigen Streits in der Hofburg am 27. Januar mitgeteilt hatte. Das hätte Rudolf nach seinen lebenslangen Bemühungen dermaßen den Boden unter den Füßen weggezogen, dass es für mich durchaus nachvollziehbar ist, dass er seinem Leben ein Ende setzen wollte. Und Mary Vetsera, die ja stets als naiv, weltfremd und als „Drama Girl“ beschrieben wurde, sich eine Zukunft ohne ihn nicht vorstellen konnte und deshalb mit ihm in den Tod gehen wollte.
      Der Bratfisch ist Zeit seines Lebens stumm wie ein Fisch geblieben und hat niemandem auch nur ein einziges Wort über Mayerling anvertraut. Im Auftrag von Franz Joseph sind kurz nach dem Ableben seines Sohnes viele Tagebuch-Aufzeichnungen, Schriftstücke, Akten und Briefe von Rudolf und seinem persönlichen Umfeld konfisziert und vernichtet worden. Auch das ist meiner Meinung nach ein Zeichen dafür, dass der Kaiser die Thronfolge hat ändern wollen, und hinterher um eine möglichst gründliche Vertuschung seiner Absicht bemüht gewesen ist.

        • Das freut mich aber, dass ich dich mit dem Mayerling-Virus infiziert habe. 😀
          Danke für den Link! Da sind ja einige „nette“ Theorien angesprochen, die ich noch gar nicht kannte!
          Ich habe mich schon mal bei der ÖBB Fahrplanauskunft erkundigt, wie man mit Zug und Bus von Wien aus zum Schloss Mayerling kommt. Ich würde das zu gerne einmal mit eigenen Augen sehen.
          Ich finde es so toll, mich mit dir über die Mayerling-Tragödie zu unterhalten! An den drei Teilen habe ich von gestern auf heute fast die ganze Nacht durchgearbeitet, und du bist die einzige, mit der sich richtig gut darüber reden lässt. Den meisten ist dieser Post wohl zu sehr text- und geschichtslastig, zu wenige einfache Bildchen zum Ansehen. Da wird dann gleich wieder weggeklickt, weil noch so viel von der Blogroll „abzuarbeiten“ ist und deshalb keine Zeit zum Lesen da ist.

  4. Danke, liebe Martha, fuer diese ausfuehrliche Darstellung. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.
    Liebe Gruesse,
    Pit

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