Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Der Montagsmotz…

… Vor einigen Tagen antwortete die „CS“U-Landtagskandidatin Dr. Andrea Behr während einer Podiumsdiskussion zum Thema Bürgergeld und Kinder-Grundsicherung auf den Zwischenruf: „Sollen Kinder nichts essen? Dann wird’s billiger!“ mit dem unverhohlen zynischen Satz: „Die sollen doch zur Tafel gehen.“ Die Empörung war berechtigterweise groß, der Ausspruch, der schon sehr an das Fake-Zitat von Marie Antoinette (in Wahrheit von Jean Jaques Rosseau) erinnerte: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen.“, ging wie ein Lauffeuer durch sämtliche Medien. Frau Behr wiegelte inzwischen ab und ließ verlauten, so habe sie das doch gar niemalsnienicht gemeint gehabt, sie habe in der Diskussion lediglich erwähnen wollen, dass es ja auch noch die Tafeln für materiell schwache Bürger:innen geben würde. Und dann schlüpfte sie – wie soll es auch anders sein – in die inzwischen allseits so beliebte Opferrolle (der Trumpel hätte sich das patentieren lassen sollen!) – hach, man habe ihr ja so bitterlich unrecht getan, und das Ganze sei von den Medien und den pösen, pösen Grünen nur aus wahlkampftaktischen Gründen so aufgebauscht worden…

… Auf die Tafeln zu verweisen machen Politiker:innen sämtlicher Couleur mittlerweile ausgesprochen oft und gerne. Und lassen dabei völlig außer acht, dass es sich dabei um ein Angebot einer ausschließlich ehrenamtlich agierenden bundesweiten Organisation handelt, das ursprünglich lediglich für die vorübergehende Erleichterung von monetär prekären Situationen gedacht war, und keineswegs, um permanent die Schwächen der sozialen Gesetzgebung, die Not der ständig anwachsenden Anzahl der von Armut betroffenen Bürger:innen und die immer größer werdenden Löcher des Sozialen Netzes auszugleichen…

… So bestürzend und erschreckend solche Bemerkungen mancher Staats“diener:innen“ auch sein mögen – verwunderlich sind sie nicht, wenn man sich vor Augen führt, dass über 80 % der Abgeordneten im Bundestag sowie den Länderparlamenten aus gut situierten Familien stammen und studiert haben – im Wahlvolk sind es lediglich 18,5 %. Jede/r fünfte Abgeordnete hat promoviert – in der Gesamtbevölkerung grade mal einer von Hundert. Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen sind in den Parlamenten also deutlich unterrepräsentiert. Genauso in der Minderzahl sind nebst Frauen – ja, immer noch! – und Personen mit Migrationshintergrund Politiker:innen, die aus der unteren Mittelschicht oder gar den Unterschichten Deutschlands stammen (Quelle hier). Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer spricht von einer „Akademikerrepublik“ (Quelle: taz House of Academics)

… So nimmt es nicht weiters wunder, dass sich die Lebenswelten von „Staatsdiener:innen“ und dem Großteil ihrer Arbeitgeber:innen kaum mehr überlappen. Grade was sozialpolitische Themen anbelangt, treffen also die meisten Abgeordneten Entscheidungen über Probleme, die sie quasi nur vom Hörensagen kennen. Wie will jemand, der in finanziell wohlgeordneten Verhältnissen aufgewachsen ist, ohne die geringsten monetären Probleme aufs Gymnasium gehen, Abitur machen, studieren und sich dann wohlbestallt in seinem akademischen Job einrichten konnte, dazu in der Lage sein, nachzuvollziehen, wie bedrängt, niedergeschlagen, wertlos, mutlos sich Bürgergeld- und Niedriglohn-Empfänger:innen fühlen, wenn am End vom Geld noch so viel Monat übrig ist (und nein!, mit Bürgergeld „verdient“ man nicht mehr als wenn man zum Mindestlohn arbeiten geht – Quelle: hier)? Wie will jemand, dessen beruflicher Werdegang quasi vom Geld und den Beziehungen der Eltern geebnet worden ist, Mitgefühl für eine/n arbeitslose/n Bürgergeld-Empfänger:in aufbringen, der/die seit ewigen Zeiten schon Bewerbungen ohne Ende schreibt, und immer wieder abgewiesen wird (und ja!, die meisten Arbeitslosen sehnen sich nach einer Beschäftigung und wollen nichts lieber tun als endlich wieder arbeiten!). Wie will jemand, der es sich nach Feierabend in seinem schicken Haus, seiner Eigentumswohnung gemütlich macht, nachvollziehen können, wie Obdachlosen zumute ist, Mitmenschen, die aufgrund des grassierenden Mitwuchers ihr Dach über dem Kopf verloren haben? Wie will ein/e Abgeordnete/r, der/die Chef/in eines eigenen Unternehmens ist, wirklich objektiv die Erhöhung des Mindestlohns, der Entlohnung von Auszubildenden, oder des Ausgleichs von Überstunden, eine Verbesserung des Arbeitsrechts beurteilen können, wenn er/sie zugleich befürchten muss, dass sich dann die Lohnkosten und Sozialabgaben, die er in Zukunft wird zahlen müssen, um einiges erhöhen werden?…

… Ich finde, wir sollten in Zukunft bei Wahlen nicht nur darauf achten, dem braunen Gesindel keine Stimme zu geben, sondern auch darauf, dass sich die Verhältnisse im Bundestag sowie in den Länderparlamenten wieder etwas zugunsten der realen Gegebenheiten in der Bevölkerung verschieben. Lasst uns in Zukunft Politiker:innen wählen, die sich ihren Lebensunterhalt als einfache Arbeiter:innen verdienen, die ihre schulische Ausbildung mit Mittlerer Reife oder einem Quali abgeschlossen haben, die nicht den gehobenen Schichten entstammen, die wissen, wie es ist, wenn man sich seinen Aufstieg selbst erarbeiten muss. Lasst uns Menschen mit Migrationshintergrund wählen, die am eigenen Leibe erfahren haben, wie es ist, vor Gefahr für Leib und Leben zu fliehen, alles hinter sich zu lassen, in einem völlig unbekannten Land mit einer völlig unbekannten Kultur neu anzufangen. Lasst uns Leute wählen, die wissen, wie es ist, auf Bürgergeld bzw. auf den Mindestlohn angewiesen zu sein, die wissen, wie es sich anfühlt, wenn die Miete mehr als die Hälfte des monatlichen Einkommens verschlingt. Wir brauchen in der Politik wieder Menschen, die uns, die sogenannten kleinen Leute und somit den Großteil der Bevölkerung dieses Landes, verstehen, uns repräsentieren, und in unserem Sinne handeln. Wir brauchen dringendst wieder soziale und kein akademischen Parlamente!…

… Ich wünsche euch eine gute und möglichst stressfreie neue Woche!…


7 Antworten zu “Der Montagsmotz…”

  1. Ja, da kann ich zustimmen. Allerdings muss dann in einem ersten Schritt dafür gesorgt sein, dass solche Menschen sich auch zur Wahl stellen.
    Und da fängt es schon an: Wer zum Beispiel Schicht arbeitet, hat in einem kommunalpolitischen Zusammenhang schlechte Karten, da Ratssitzungen oder Ausschüsse meist am frühen Abend beginnen. Mit dem Hocharbeiten in der alltäglichen politischen Arbeit ist es also gar nicht so einfach.

  2. Ich habe schon Probleme damit, dass in diesem reichen Land, eine Institution wie die Tafel überhaupt sein muss. Einnoch größeres Problem habe ich, wenn Politiker:innen, die sozialen Probleme auf solche Institutionen abwälzen, es ist ja schließlich ihre Aufgabe für soziale Sicherheit zu sorgen und Chancengleichheit zu sorgen. Ein noch größeres Problem habe ich damit, wenn Politiker:innen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Institutionen wie die Tafel, arg zu kämpfen haben, kaum noch Leute aufnehmen. Alles Liebe

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