… Der Girgl von Schliers, wie Georg Jennerwein auch genannt wurde, hat wirklich und wahrhaftig Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schlierseer Gegend gelebt, und dort sein Unwesen als schneidiger, verwegener und tollkühner Wilderer getrieben. Wer Genaueres über seine tragische G’schicht lesen will – ich habe dem legendären bayerischen Volkshelden im Herbst 2019 bereits einen ausführlichen Blogpost gewidmet…
… Dass er vermutlich von seinem ehemaligen Kriegskameraden, dem Jagdgehilfen Johann Pföderl hinterrücks beim Wildern erschossen wurde (obwohl – so ganz gwiss woaß ma des bis zum heutigen Tag ned), hat die bayerische Volksseele dermaßen tief bewegt und empört, dass dem Georg Jennerwein sogar ein Lied gewidmet wurde:…
1.Ein stolzer Schütz in seinen schönsten Jahren, Er wurde weggeputzt von dieser Erd, Man fand ihn erst am neunten Tage bei Tegernsee am Peißenberg.
2. Auf den Bergen ist die Freiheit, Auf den Bergen ist es schön, Doch auf so eine schlechte Weise Musste Jennerwein zugrunde gehn!
3. Auf hartem Stein hat er sein Blut vergossen, Am Bauche liegend fand man ihn, Von hinten war er angeschossen, Zersplittert war sein Unterkinn.
4. Und es war schrecklich anzusehen; Als man ihm das Hemd zog aus, Da dachte jeder bei sich selber: Jäger, bleib mit’m Selbstmord z’Haus!
5. Du feiger Jäger, s‘ ist eine Schande, Du erwirbst dir wohl kein Ehrenkreuz; Er fiel mit dir nicht im offnen Kampfe, Wie es der Schuss von hint‘ beweist.
6. Man bracht ihn dann auf den Wagen, Bei finstrer Nacht ging es noch fort, Begleitet von seinen Kameraden, Nach Schliersee, seinem Lieblingsort.
7. Von der Höh ging’s langsam runter, Denn der Weg war schlecht und weit; Ein Jäger hat es gleich erfunden, dass er sich hat selbst entleibt.
8. Und als man ihn dort in den Sarg wollt legen, Und als man gsagt hat: Ist jetzt alles gut? O nein! sprach einer von den Herren, o nein! Auf seiner Brust, da klebt ja frisches Blut!
9. In Schliersee ruht er, wie ein jeder, Bis an den großen jüngsten Tag, Dann zeigt uns Jennerwein den Jäger, Der ihn von hint‘ erschossen hat.
10. Zum Schlusse Dank noch den Vet’ranen, Da ihr den Trauermarsch so schön gespielt, Ihr Jäger, tut Euch nun ermahnen, Dass keiner mehr von hinten zielt.
11. Am jüngsten Tag da putzt ein jeder Ja sein Gewissen und sein Gewehr. Und dann marschiern viel Förster und auch Jäger Aufs hohe Gamsgebirg, zum Luzifer!
… wie Georg Jennerwein auch genannt wurde, zählt nebst u. a. dem legendären Schmied von Kochel – siehe hier – zu den großen bayerischen Volkshelden…
… Geboren wurde er entweder am 24. März 1849 oder am 21. April 1852 nahe Holzkirchen, einem Markt im Landkreis Miesbach, ganz genau lässt sich das nicht mehr feststellen. Auch was die Vaterschaft des unehelichen Buben der Kleingütlerstochter Anna Jennerwein anbelangt, sind sich die Chronisten alles andere als sicher – es soll entweder der aus Otterfing stammende Peter Glas, oder der Miesbacher Schuhmachergeselle Benno Sturm gewesen sein. Georgs Mutter heiratete später einen anderen Mann, den Kleinbauern Geißler, wohnhaft in Geiting bei Wolfratshausen. Im Alter von zwölf Jahren musste der Girgl mitansehen, wie einer seiner mutmaßlichen Väter von Staatsjägern aufgrund von Wilderei erschossen wurde…
… Georg Jennerwein fand sein karges Auskommen als Holzknecht, im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 diente er zusammen mit seinem gleichaltrigen Kameraden aus dem Militärdienst, dem Jagdgehilfen Johann Josef Pföderl, als Soldat…
… Jennerwein muss ein rechter Luftikus gewesen sein, ein guter Zitherspieler, Gstanzl- (Scherzreim) Sänger, Schuhplattler, zudem ein hervorragender Schütze. Er verbrachte wohl weitaus lieber seine Zeit im Schlierseer Wirtshaus „Hennerer“, als seinem Tagwerk nachzugehen. Manche Zeitgenossen schilderten ihn auch als arbeitsscheuen Raufbold und Weiberhelden, wobei er bevorzugt zwei Verhältnisse pflegte: Zur schönen Kellnerin Reserl, und zur Sennerin Agathe, die Mutter seiner Tochter, die er – was für ein Schelm! – Reserl nannte. Auch der Johann Pföderl soll der Agathe, dem „Agerl“, sehr zugetan gewesen sein, der Girgl von Schliers soll dem Jagdgehilfen die Sennerin sogar abspenstig gemacht haben. Und Pföderls Kollege Simon Lechenauer zählte ebenfalls zu den glühenden Verehrern der Sennerin…
… Dass Georg Jennerwein ein Wildschütz war, der seine Beute nicht nur den Wirtsleuten verkaufte, sondern auch den Armen des Schlierseer Tales zugute kommen ließ – gleich einem bayerischen Robin Hood – war allgemein bekannt, er brüstete sich auch sehr gerne damit und verhöhnte die Staatsjäger und Jagdgehilfen unverhohlen. Denen ist es jahrelang nie gelungen, ihm auf die Schliche zu kommen und ihn zu stellen…
… Am 13. November 1877 wurde seine grausig zugerichtete Leiche auf einer Waldlichtung beim Peißenberg, einem Bergrücken zwischen dem Schliersee und dem Tegernsee, gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war Georg Jennerwein mutmaßlich bereits seit acht Tagen tot. Sein rechter Fuß war barfuß, der große Zeh steckte im Abzug seines Gewehrs, der Unterkiefer war zerschmettert, ein Teil seiner Wange hing in den Zweigen einer nahen Fichte. Zusätzlich hatte er eine Schussverletzung im Rücken, die allerdings nicht tödlich gewesen sein soll, wenngleich die Kugel die linke Brust und Lunge durchdrungen hatte…
… Der Jugendfreund und Jagdgehilfe Pföderl wurde verhaftet und im Namen des Königs wegen „Vergehens der Körperverletzung“ zu acht Monaten Gefängnis verurteilt, obwohl er nach einem recht schnellen Geständnis bis an sein trauriges Lebensende stets die Tat bestritten hatte, und ein begründeter Verdacht, dass sein Kollege Lechenauer den Girgl von Schliers erschossen hatte, nicht von der Hand zu weisen war – trotz angeblichem Alibi. Jennerweins Jugendfreund Pföderl hätte etlichen Quellen zufolge durch zwei Schüsse aus der Waffe des Wilderers und dem sorgfältigen Arrangieren des Toten dessen Selbstmord vorgetäuscht, um Lechenauer zu entlasten. Nach seiner Entlassung wurde Pföderl seines Lebens in der Schlierseer Gegend nicht mehr froh. Man versetzte ihn in die Valepp, einem einsamen Gebirgstal im Mangfallgebirge. Alsbald wurde er von Wahnvorstellungen geplagt und ergab sich dem Suff…
… Während eines Gewitters verstarb Johann Josef Pföderl am 12. Juli 1889 im Tegernseer Krankenhaus. Ein Bettnachbar berichtete, als in der Nähe ein Blitz eingeschlagen hatte, hätte der Pföderl sich aufgerichtet, laut nach dem Teufel gerufen, und dann sei er entseelt in die Kissen gesunken…
… Georg Jennerwein wurde auf dem Westenhofener Friedhof in Schliersee beigesetzt. Nicht lange danach versetzten einflußreiche Gemeindemitglieder die Grabstätte, da sie ihre Angehörigen nicht neben dem Wilderer zur letzten Ruhe betten wollten. Das umgesiedelte Grab verwilderte über die Jahre, wurde aber 1947 wieder freigelegt, seit 1961 kümmern sich die Mitglieder des Schlierseer Trachtenvereins um Erhalt und Pflege. Wo sich die eigentliche Ruhestätte des Girgl von Schliers befunden hat, und ob sich seine sterblichen Überreste tatsächlich unter dem gepflegten Grabhügel befinden, ist mittlerweile ebenso mysteriös wie die genauen Umstände seines Todes…
… Die Gedenkstätte für den Wildschütz Jennerwein auf dem Westenhofener Friedhof. Sie ist nicht leicht zu finden, liegt inmitten vieler anderer Gräber ca. 30 Meter östlich der kleinen Kirche St. Martin…
… Ein fesches Mannsbild ist er schon gewesen…
… Die Kirche St. Martin, erbaut von 1734 bis 1737, war bis Ende des 19. Jahrhunderts die Schlierseer Pfarrkirche…
… Die melancholische, spätherbstliche Stimmung am Schliersee passte am Dienstag Nachmittag sehr gut zur bewegten und auch geheimnisvollen Geschichte des Georg Jennerwein, seines Zeichens Wildschütz und bayerischer Volksheld…