… Der samstägliche Wochenmarkt in der kleinen Stadt im Südwesten des Gardasees soll der größte und der schönste weit und breit sein, so hatte ich mehrfach gelesen. Deshalb machte ich mich am Samstag nach einem gehaltvollen Frühstück auf den Weg zur Bushaltestelle in Limone, in der Tasche ein Ticket für den Regionalbus. Ich war guten Mutes, unbeschwert und binnen kurzem mein Tagesziel zu erreichen, und freute mich auf einen ausgedehnten Bummel und viele bunte Eindrücke…
… Mit fast einer halben Stunde Verspätung traf der kleine Regionalbus endlich ein und es ging Richtung Süden, die Gardesana entlang…
… Vogelnestern gleich kleben kleine Ansiedlungen an den steil abfallenden Felswänden…


… Nach einer etwa einstündigen Kurverei durch ungezählte Tunnels und viele Stopps bog der Fahrer schließlich in Maderno, etwa sechs Kilometer nördlich von Salo, in eine große Haltestelle ein und hieß uns allesamt aussteigen. Zwei Mitreisende meines Alters, die recht gut italienisch sprachen, wandten sich verdutzt an den Chauffeur: “Sie fahren nicht nach Salò?” – “Nein, ich fahre zurück nach Riva.” – “Wie kommen wir jetzt weiter? Wir wollen nach Salò! Wann geht der nächste Bus dorthin?” Der Mann zuckte unwirsch die Schultern. “Keine Ahnung. Kann sein, dass in einer halben Stunde ein Anschlussbus kommt. Oder in zwei Stunden. Oder gar keiner.” Er schloss die Türen, legte den Gang ein und brauste davon…
… Die kleine Schar Passagiere und ich standen herum wie bedröpelt. An der großen Haltestelle gab es keinerlei Fahrpläne. In der Nähe standen zwei größere Busse, doch auch deren Chauffeure konnten uns keine Auskunft geben…
… Das Innere Stimmchen riet mir, den Wochenmarkt sein zu lassen, und sich lieber etwas in Maderno umzusehen, aber natürlich schenkte ich dem guten Rat kein Gehör…



… Es dauerte beinahe eine Stunde, bis endlich ein Linienbus Richtung Brescia eintraf, der durch Salò fahren würde. Mittlerweile war elf Uhr vorbei, und ich sah die Chancen, wie geplant eine entspannte Runde über den Wochenmarkt zu drehen, zügig dahinschmelzen. Nach Maderno verdichtete sich das Verkehrsaufkommen und es ging großenteils wirklich nur mehr schübchenweise und im Schritttempo weiter. Und es überkamen mich zusehends Übelkeit und Bauchgrummen – mir war wohl etwas nicht gut bekommen, oder ich hatte mir einen leichten Infekt zugezogen. Hoffentlich wurde mir nicht so schlecht, dass ich mich im Bus übergeben musste! Zum Glück saß ich nahe der hinteren Tür. Stark schwitzend spannte ich all meine Muskeln an, bereit, um im Falle eines Falles nach draußen “hechten” zu können…
… Als der Bus endlich die Autostazione Salò erreicht hatte, war es nach Zwölf, und der Marktplatz noch eine gute Wegstrecke entfernt – aber der Wochenmarkt war mir inzwischen höchst egal. Langsam quälte ich mich durch die historische Altstadt Richtung See, auf der Suche nach einer öffentlichen Toilette…
… Auch wenn mir die Übelkeit zusetzte – das Fotografieren konnte ich dennoch nicht sein lassen… 😉






… Ich schlich die Hafenpromenade entlang. Langsam weitergehen und tiiiieeeeef ein- und wieder ausatmen, instruierte ich mich. Ich wollte in einer Apotheke um ein Mittelchen gegen die Übelkeit bitten, doch der junge Pharmazeut ignorierte mich geflissentlich und sah durch mich hindurch, als wäre ich aus Glas – vielleicht hatte er Angst, ich würde ihm den Laden vollk***en. Frustriert setzte ich meine Wanderung fort. Kurze Zeit später kam mir ein uraltes Hausmittel in den Sinn, ich erstand in einem kleinen Geschäft eine Flasche Cola, ließ mich an der Piazza della Vittoria nahe des Hafens nieder, und trank die schwarze Brühe vorsichtig in kleinen Schlucken…
… Wenn ich auch nur den leisesten Hauch von Appetit gehabt hätte, dann hätte ich dieser Werbung einer kleinen Nudelmanufaktur ganz sicher nicht widerstehen können…
… Die Cola wirkte fast im Handumdrehen, die Übelkeit schwand, und ich fühlte neue Kräfte. Aber ich hatte für diesen Tag genug, und suchte den nächstgelegenen Kiosk von Navigarda auf, dem Öffentlichen Schiffsverkehr auf dem Gardasee, um mir ein Ticket für eine Rückfahrt nach Limone zu besorgen. “Rapido o normale?”, fragte mich die freundliche Schalterdame. “Rapido, per favore.”, antwortete ich entzückt, denn “Rapido” bedeutete eine Fahrt im Tragflächenboot!…
… Und nach einer Weile brauste sie rauschend und dröhnend heran, die “Galileo Galilei”…
… Auf dem Gardasee gibt es drei Tragflächenboote: Die “Galileo Galilei”, die “Freccia delle Riviere” (Küstenpfeil) und die “Goethe”. Diese Schiffe fliegen mit ca. 60 km/h förmlich über das Wasser…
… Die Fahrt von Salò nach Limone sul Garda war ein großes Vergnügen, und machte alle Unbillen des Tages wieder wett. Breit grinsend wie ein Honigkuchenpferd thronte ich in meinem Sitz an der Backbordseite, und genoss es über alle Maßen, wenn die “Galileo Galilei” mit der vollen Kraft ihrer Motoren beschleunigte, es mich in die Polster drückte, und ich beobachten konnte, wie sich die Tragflügel gischtsprühend auf die Wasseroberfläche hoben…



… Viel zu schnell war die rasante Fahrt vorüber. Eine Weile spielte ich, an der Anlegestelle in Limone stehend, mit dem Gedanken, noch eine kleine Runde mit dem Tragflächenboot zu drehen. Aber die Stimme der Vernunft riet mir, mich auf mein Zimmer zu begeben, und der Ruhe zu pflegen. Und diesmal schenkte ich ihr Gehör. Denn ich wollte am nächsten Tag unbedingt wieder fit sein, da ich eine ausführliche Besichtigung meines Lieblingsortes vor hatte…
… Während ich auf meiner Terrasse lümmelnd einen starken schwarzen Tee schlürfte und dazu ein paar trockene Kekse knabberte, zog sie weit unter mir auf dem See wieder Richtung Süden, die “Galileo Galilei”…