… und gar is’, schad is’, dass’ wahr ist – so lautet ein alter, bayerischer Spruch…
… Einer langjährigen Tradition folgend werden am letzten Wiesn-Sonntag die vorjährigen Schützenkönige und -königinnen verabschiedet, die Nachfolger/innen ermittelt, und mit laut donnernden Saluten von Böllerschützen/innen geehrt. Zum letzten Mal dirigierte der langjährige Oberbürgermeister Christian Ude den Tölzer Schützenmarsch. Sehr viele mochten sich angesichts dieser Zeremonie gefragt haben, wer wohl im nächsten Jahr auf dem Podium stehen und das Staberl im Takt heben und senken wird…
… Zum letzten Mal öffneten wir um neun Uhr morgens unseren Tabakstand. Mit gemischten Gefühlen – irgendwie war meiner lieb gewonnenen Kollegin und mir feierlich zumute. Und doch waren wir auch froh, dass diese zwei Wochen, die mir in der allerersten Rückschau wie eine konzentrierte, geballte, urgewaltige, verstörende und auch wunderschöne Essenz an Leben erscheinen, sich dem Ende neigten. Zumindest ich verspürte an diesem Sonntag aber durchaus auch Wehmut. Die Aussicht, in absehbarer Zukunft meine Tage in einem überaus ruhigen, stillen, gesetzten Museum, einem “Kulturtempel”, zu verbringen, erschreckte mich auf einmal ein wenig…
… Zum Glück gab es Ablenkung genug, zwischen den lieb gewonnenen Kollegen/innen von den Nachbarsständen und uns flogen übermütige Scherzworte hin und her. Und in den späten Vormittagsstunden gab sich sogar Bayern’s Märchenkönig samt Kofferträger, oder besser -zieher, die Ehre, und ließ sich leutselig und gut gelaunt mit mir ablichten…
… Ich habe in diesen gut zwei Wochen nicht nur ungemein viel gearbeitet und dabei recht ordentlich verdient, sondern auch eine Freundschaft gewinnen dürfen, die hoffentlich von Dauer sein wird. Wir sind ohne Zweifel ein wirklich gutes Team gewesen, haben all die anstrengenden und langen Stunden ohne jeglichen Streit, ohne große Disharmonien überstanden. Diese Zeit auf dem Oktoberfest hat meinem Selbstbewusstsein, das während der letzten Monate im Nobelhotel arg gelitten hatte, neuen Aufschwung verliehen – ich habe diese Zeit körperlich und auch seelisch gut überstanden, so manche Herausforderungen gemeistert, und bin jetzt ein klein wenig stolz auf mich…
… Wir haben viele schöne Dinge gesehen – allmorgendlich die Scharen der kleinen Kindergartenzöglinge, die behütet von ihren Erzieherinnen, allerliebst angetan in Dirndln und feschem Trachteng’wand, geschmückt mit Lebkuchenherzerln, einander an den Händchen haltend, das riesige, üppige Areal mit seiner Unzahl an Attraktionen, Geräuschen, Lichtern, Gerüchen erkundeten. Wir sahen verträumte Liebespaare. Wir durften die Großzügigkeit so manch netter Mitmenschen erleben, die uns an den kalten Tagen frisch gebrannte Mandeln vorbei brachten, damit wir unsere Mägen und Hände damit aufwärmen konnten, die Freude und das Behagen von Kennern, wenn wir ihnen eine gute Zigarre anzündeten, den jungen Mann, der uns gestern Abend noch eine Wiesn-Mass spendierte, nachdem er erstaunt vernommen hatte, dass wir während der ganzen zwei Wochen kein einziges Bier getrunken hatten. Wenn wir morgens erschöpft und müde von den Vierzehn-Stunden-Schichten waren, brachten uns die Pop-, Rock- und Hardrock-Oldies, die im “Play-Ball”, dem Fahrgeschäft gegenüber, gespielt wurden, wieder ordentlich auf Touren…
… Wir lernten die Eigenheiten so mancher ausländischer Mitmenschen kennen, zum Beispiel, dass ein/e Italiener/in, der/die sich Zigaretten, oder auch nur einen simplen Kaugummi kaufen möchte, stets von einer ganzen Sippe begleitet wird, und zunächst einmal eine sehr, sehr lange Zeit eine angeregte Grundsatzdiskussion über den bevorstehenden Erwerb geführt wird. Dass sich angetrunkene Amerikaner/innen tausendmal für Dinge entschuldigen, die sie gar nicht getan haben. Dass es trotz gut fundierter Englischkenntnisse so gut wie unmöglich ist, angeheiterte Iren, Australier, Neuseeländer und Schotten verbal zu verstehen…
… Wir wurden auch Zeugen recht unschöner Dinge. Wir sahen ein Pärchen, das sich ungeachtet der regen Betriebsamkeit ringsum, und allen Blicken ausgesetzt, ungehemmt sexuelle Befriedigung verschaffte. Menschen, die mitten auf der Straße bar jeglicher Hemmungen ihre Notdurft verrichteten, Betrunkene, die sich bereits in den Vormittagsstunden übergaben. Wir mussten Streitereien und Schlägereien mitansehen, einen jungen Kerl, der vor Trunkenheit die Besinnung verlor, zusammen brach und sich am Kopf Platzwunden zuzog…
… Wir erlebten Zeitgenossen – und das waren in der Regel Deutsche – die wohl der Meinung waren, mit dem Kauf der Ware auch das Recht erworben zu haben, frech, ausfallend und beleidigend zu werden – “Du feige Sau!” war der schlimmste Ausdruck, mit dem mich ein feister, besoffener Bursche am zweiten Wiesn-Wochenende titulierte…
… Trotz der unschönen Dinge möchte ich diese vergangenen zwei Wochen aber keinesfalls missen – ich bin der Meinung, dass die positiven Eindrücke bei weitem überwiegen. Ich bin jeden Morgen gerne aufgestanden und freudig auf die Wiesn gegangen. Als wir uns am Sonntag Spätabends voneinander verabschiedeten, fragte mich mein Chef, ob ich es mir vorstellen könnte, im nächsten Herbst wieder in seinem Tabakstand zu arbeiten. “Aber ja!”, gab ich ihm im Brustton der Überzeugung zur Antwort…
Der Märchenkönig naht…
… Und gewährt leutselig einen Fototermin…
Böllerschützen zu Füßen der Bavaria
Münchens OB Christian Ude
Die altertümlichen, klobigen Böller werden gestopft
Zum letzten Mal für heuer: Die abendliche Aussicht vorm Tabakstandl