… In jenem riesigen Haus, das fast ganz aus Glas gebaut zu sein schien, und wo er nie enden wollende und qualvolle Wochen hatte verbringen müssen, fand der kleine Benny heraus, daß sein hellbrauner, flauschig weicher, großer Teddy mit den honigfarbenen Kulleraugen, Brumm genannt, sprechen konnte. Allerdings schien der zehnjährige Knabe der einzige Mensch zu sein, der die wundersame Gabe des Plüschtiers wahrnehmen konnte…
… Nun war er wieder zuhause angelangt, in seinem kleinen, hellen, freundlichen Zimmer mit der großen Schiebetür zur braunrot gefliesten Terrasse. Jenseits der Umfriedung und der ebenmäßigen Fläche des Rasens lockten die winterkahlen, kompliziert ineinander verschlungenen Stämme, Äste, Zweige und Büsche eines Waldstücks mit leise gewisperten Versprechungen des nahenden Frühjahrs…
… An der frisch gestrichenen Decke hingen an beinahe unsichtbaren Fäden die sorgsam abgestaubten Modelle vom Raumschiff Enterprise, des kantigen Ungetüms eines Sternenkreuzers aus „Star Wars“, eines Space-Shuttles und einer Saturn-V-Rakete, denn Benny war seit seinen frühesten Kindertagen dem Weltall und der Raumfahrt verfallen. Auf dem aus einer schlichten, aufgebockten Holzplatte bestehenden Schreibtisch gegenüber des Betts hockte ein nagelneues großes Spiegelteleskop, das von drei Streben in der dunklen Öffnung fixierte Objektiv war wie ein forschendes Auge auf den Jungen gerichtet. Der Vater hatte es mit einem Kissenbezug verhüllt, den er mit einem schwungvollen Ruck lüftete, als sein kleiner Sohn sichtlich erschöpft von der ungewohnten Anstrengung und der langen Fahrt Platz genommen hatte, und strahlend lächelnd gemeint: „Damit können wir die Milchstraße beobachten, Benny, wenn’s abends wieder wärmer ist, und all die fernen Sterne und Planeten.“ Der Junge stieß ein freudiges Keuchen aus und Brumm meinte mit funkelnden Augen gutmütig polternd: „Jau, feine Sache das! – Du nimmst mich dann aber mit, gell!“ Benny drückte den großen Teddy sanft und legte sein mageres Kinn auf den wohlig warmen, ebenmäßig gerundeten Scheitel…
… Das erste Mal sahen sie das seltsame Wesen, als sie aneinander gekuschelt unter der warmen Daunendecke lagen, und beobachteten, wie sich sanft die Dämmerung herab senkte und im Städtchen jenseits des Waldes die Lichter angingen. Es glich den zarten Lichtwolken eines unvorstellbar weit entfernten Sternennebels. Es schwebte zwischen der Fensterfront und dem Fußende des Bettes. Benny machte sich ganz klein, kuschelte sich an Brumm und flüsterte mit versagender Stimme: „Was ist das? – Ich fürcht‘ mich so!“ – „Hab keine Angst, mein Kleiner.“, grummelte es beruhigend aus der keilförmigen Teddyschnauze. Die Erscheinung, welche ständig ihre Gestalt änderte, mal glich sie einer Flocke, mal einer hauchfeinen Flamme, schien mit einer zarten Falsettstimme zu summen, eine eigenartige und doch so schöne Weise, der Knabe vergrub sein Gesicht ins Kissen und schlief ein…
… Benny verbrachte viel Zeit im Bett, dösend, tagträumend, lesend. Mit der Zeit gewöhnte er sich daran, daß die lichte Gestalt immer öfter förmlich aus dem Nichts zu ihm kam. Sie wusste nicht nur herrliche Schlaflieder, sondern brachte ihn auch zum Lachen, ließ sich mancherlei Schabernack einfallen, um ihn abzulenken und aufzuheitern. Eines Mittags grinste sie ihn aus dem Gemüseteller an, den seine Mutter liebevoll zubereitet hatte, und dem Bub glitt vor Lachen das Besteck aus den schwachen Händen und schepperte auf den Fliesenboden der Küche. Die Eltern machten sich große Sorgen, als Benny nach Atem rang, maßen seine Temperatur und schickten dem Hausarzt eine Nachricht. Doch ihr Sprößling winkte unwirsch ab. „Es geht mir gut, ehrlich, ich musste beim Essen nur an etwas Komisches denken.“…
… Die Tage wurden länger, der Lauf der Sonne änderte sich, nun ging sie jeden Morgen hinter der nahen, wilden Silhouette des Waldstücks auf, manchmal in einem Meer aus Rot und Gold und Violett badend, bevor sie sich in den blauen Himmel schwang. In einer dieser herrlichen frühen Stunden kam das seltsame Wesen an Bennys Bett. Mit kaum sichtbaren, tentakelartigen Strahlen griff es nach des Knaben kalte, kleine Hände und wisperte: „Es ist an der Zeit, daß du mich begleitest.“ – „Wo gehen wir hin?“, fragte das Kind, und mit einem Male war ihm ganz bange zumute. Brumm lächelte und nickte ihm zu: „Du wirst eine Reise machen, Benny, eine weite Reise, hinaus ins Universum. Du wirst Sterne voller Glanz und Herrlichkeit sehen, und sprühende Sonnen, bunte Planeten und Monde, und tanzende Kometen, Sternennebel in allen Regenbogenfarben und glitzernde, wirbelnde Galaxien.“ Benny’s Angst schwand. „Dann nimm mich mit.“…
… Die Eltern knieten an seiner Seite und hielten ihn, bis der letzte Lebenshauch von ihm gewichen war. Ganz, ganz zart streichelten sie seine mageren, noch warmen Wangen, und den kahlen, knochigen Schädel – während der Chemotherapie waren ihm alle Haare ausgefallen. „Grüß‘ mir die Sterne, mein lieber, lieber Sohn.“, murmelte der Vater, und die heissen Tränen der Mutter tropften auf Brumm’s linkes, flauschiges Ohr…


