Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Adventskalender – 10. Türchen…

Der Dezember

Das Jahr ward alt. Hat dünne Haar.
Ist gar nicht sehr gesund.
Kennt seinen letzten Tag, das Jahr.
Kennt gar die letzte Stund.

Ist viel geschehn. Ward viel versäumt.
Ruht beides unterm Schnee.
Weiß liegt die Welt, wie hingeträumt.
Und Wehmut tut halt weh.

Noch wächst der Mond. Noch schmilzt er hin.
Nichts bleibt. Und nichts vergeht.
Ist alles Wahn. Hat alles Sinn.
Nützt nichts, daß man’s versteht.

Und wieder stapft der Nikolaus
durch jeden Kindertraum.
Und wieder blüht in jedem Haus
der goldengrüne Baum.

Warst auch ein Kind. Hast selbst gefühlt,
wie hold Christbäume blühn.
Hast nun den Weihnachtsmann gespielt
und glaubst nicht mehr an ihn.

Bald trifft das Jahr der zwölfte Schlag.
Dann dröhnt das Erz und spricht:
“Das Jahr kennt seinen letzten Tag,
und du kennst deinen nicht.”

Erich Kästner


20 Antworten zu “Adventskalender – 10. Türchen…”

  1. Das Foto ist faszinierend, liebe Martha und Erich Kästners Gedichte immer wieder tiefsinnige schön!
    Liebe Grüße von Herzen und hab ein schönes 3. Adventswochenende 🤗🌟💖

    • Ich habe dieses Gedicht vor einigen Tagen auf Facebook entdeckt, und mir sogleich gedacht, dass es überaus passend für meinen Adventskalender ist. 😉
      Ich wünsche dir auch ein friedvolles und entspanntes drittes Adventswochenende!

  2. Liebe Martha,
    Der Kästner hat mich voll erwischt. ‘Nur mal kurz schauen, was heute hinter deinem Türchen ist’, dachte ich. Aber jetzt geht es doch nicht ohne Nachspüren und Kommentieren…
    Danke!

  3. In der Tat ein schönes und tiefsinniges Gedicht. Vielen Dank dafür.
    Tja, wir kennen zwar nicht das Datum, aber wir wissen, dass es immer näher rückt und es daran kein vorbei gibt. Das kann man jetzt so und so sehen. Es schreckt mich nicht wirklich.

    • Sehr gerne! 🙂
      Ja, wir rücken der Finalen Abschussrampe immer näher… In meinen jungen Jahren hat mich der Gedanke an den Tod oft sehr erschreckt. Mittlerweile sehe ich das weitaus gelassener. Manchmal freue ich mich sogar darauf.

      • Vielleicht freue ich mich nicht unbedingt darauf. Aber ich könnte gut damit leben (klingt ja irgendwie schizophren). Ich habe nicht das Gefühl, dass ich noch etwas zu erledigen habe oder dass ich etwas verpasst hätte, auch wenn ich durchaus noch viele Ideen für die verbleibende Zeit habe 🙂

        • Na ja, “freuen” war nicht unbedingt das richtige Wort, aber mir wollte kein besseres einfallen. Mit dem Gedanken an den immer näher rückenden Tod kann ich auch gut leben – und das klingt für mich eigentlich gar nicht schizophren. 😉 Ich würde so gerne noch viel mehr von der Welt sehen – aber das wird sich halt nicht machen lassen. Doch ich bin dankbar für all das, was ich bislang entdecken und erleben durfte. 😉

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