… ist das heuer für Francesco (72) und seinen Lebenspartner Karl (73). Eine deutsche Immobilienfirma hat das große Haus auf der anderen Seite „meiner“ Straße übernommen. Man will die Wohnungen „luxussanieren“ und hat nun den Beiden zum Jahreswechsel den kleinen, schmucken Laden gekündigt, in welchem sich fast dreißig Jahre lang ihr „Fresh Bagels & Muffins Coffeeshop“ befunden hat. Alle Verhandlungen Francescos und Karls mit den Vermietern sind erfolglos verlaufen, man habe nicht mit sich reden lassen…
… Jedesmal wenn ich in diesen Tagen sehe, wie die Zwei nun mithilfe einer Unzugsfirma ihr Geschäft ausräumen, packen mich Trauer, Mitgefühl und auch Zorn. Der mit viel Liebe, Herzblut und Leidenschaft betriebene „Fresh Bagels & Muffins Coffeeshop“ war der Lebensinhalt dieser Männer, eine Institution hier im Viertel. Die spärlich bemessenen Urlaube von Francesco und Karl in den vergangenen achtundzwanzig Jahren kann ich locker an den Fingern einer Hand abzählen. Sie haben sich kaum Ruhe vergönnt, standen sechs Tage die Woche von elf Uhr vormittags bis in die späten Abende hinter dem Tresen, kümmerten sich immer freundlich und gelassen um die Gäste. Jeden zweiten Freitag gab es abends eine winzige offene Bühne, auf der jede Person, die sich dazu berufen fühlte, musizieren oder vortragen konnte. Vor vielen Jahren, während einer meiner Lebenskrisen, durfte ich im „Fresh Bagels & Muffins Coffeeshop“ an einigen Montagen Lesungen aus meinem im Selbstverlag veröffentlichen Buch halten, die Gage bestand aus Kaltgetränken und einer warmen Mahlzeit – das werde ich euch nie vergessen, Francesco und Karl. Die letzte der insgesamt sehr spärlich besuchten Lesungen war an einem Weihnachtsfeiertag, wir saßen im leeren Laden bei Bagels und Bier und haben uns bis in die Nacht so wunderbar unterhalten…
… Ein paar Jahre lang hätten sie den Laden noch weiterführen wollen, sagte Francesco in einem Interview mit einem Reporter der Süddeutschen Zeitung neulich. Am liebsten wäre es ihm gewesen, man hätte ihn eines Tages mit den Füßen voraus aus dem Lokal getragen – „Was soll ich denn jetzt den ganzen Tag über machen? Zeitung lesen? Fernseh glotzen?“…
… Da bricht nun eine Welt zusammen, verdammt noch mal! Was wäre dabei gewesen, den Jungs ihren so erwünschten Lebensabend in ihrem kleinen persönlichen Paradies zu ermöglichen? Hätte da irgendjemand in dieser Immobilienfirma darben müssen, gar Bürgergeld beantragen? Ganz sicher nicht! – Aber Rücksicht, Mitmenschlichkeit, Wärme, Verständnis und Toleranz scheinen heutzutage vor allem im Wohnungsmarkt nicht mehr viel zu zählen. Es muss gentrifiziert und luxussaniert werden auf Teufel komm raus. Nicht nur der „Fresh Bagels & Muffins Coffeeshop“ wird in Kürze Vergangenheit sein. Vor einigen Jahren noch war das Viertel hier durchsetzt von einer Vielzahl an Antiquariaten. Man konnte stundenlang von einem Bücherladen zum nächsten schlendern, schmökern und stöbern. Bis auf einige wenige sind sie allesamt verschwunden. Statt dessen reiht sich nun ein hipper und trendiger Schnellfress-Laden an den nächsten, durchsetzt von hochpreisigen Boutiquen und Supermärkten mit überteuertem Sortiment. Altehrwürdige Wohnhäuser verschwinden, an ihrer Stelle werden rasend schnell Neubauten mit luxuriös ausgestatteten Eigentumswohnungen hochgezogen. Oder man lässt sie leer stehen und verfallen, als Spekulationsobjekte. – Die Mieten sind mittlerweile so hoch hier im Studentenviertel Maxvorstadt, dass sich die jungen Leute zu dritt oder zu viert Zweizimmerwohnungen teilen müssen, um sich das Leben und Studieren leisten zu können. Die menschliche Kälte wird immer spürbarer, mittlerweile zieht sie bei fast jedem meiner Spaziergänge tief in meine alten Knochen. Und dann packt mich die Angst davor, eines nicht mehr allzu fernen Tages auf die Straße gesetzt zu werden. So wie es Francesco und Karl nun ergeht…
… Es geschieht immer öfter, dass ich aus Leibeskräften jenen Tag verfluche, an welchem die Menschheit das Geld erfunden hat. Und die Gier…
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… Ein Bild aus glücklichen Tagen:…
