… Und nun stand ich hier und gehorchte den leisen Anweisungen der um mich herumwuselnden Unaussprechlichen, die gewissenhaft Maß für ein protziges Hochzeitskleid nahmen, in dem ich bestimmt aussehen würde wie ein viel zu groß geratenes Sahnebaiser, verbrämt mit üppigen Rüschen und allerlei Zierrat. Vielleicht würde man mir auch einen von diesen kleinen Christbäumen aufs Haupt setzen, denn zwei meiner kleinen Freunde machten sich gerade daran, ein Maßband um meinen Kopf zu wickeln.
Mir war entsetzlich blümerant zumute und ich zerbrach mir nach zwei schlaflosen Nächten immer noch den Kopf, wie und ob ich aus dieser Nummer jemals heil wieder rauskommen würde. Ich war ganz sicher nicht zur Gemahlin eines schier omnipotenten Herrschers geschaffen, das war mir so was von glasklar. Warum hatte ich diesen Heiratsantrag nur angenommen?
In der LiZAS war nach der Abreise des Großen Gnuffs und seinem Gefolge die Arbeit zum Erliegen gekommen, denn die Atmosphärenschnüffler hatten als idealen Zeitpunkt für die Vermählung den letzten Tag des derzeitigen Stalenk festgelegt, und der war bereits übermorgen. Natürlich musste die Hochzeit hier in der Rotunde stattfinden, die Unaussprechlichen waren nun damit beschäftigt, allen Anweisungen des Hofmarschalls und seiner Lakaien nachzukommen, die sich nahezu unaufhörlich in ungezählten gesiegelten Schreiben in der Luft manifestierten und auf den glänzenden Marmorboden schneiten. Und Caspisian hatte seine liebe Not, mir das höchst umfangreiche und komplizierte Hofprotokoll des Salmeyden-Herrschers einzubläuen, wozu ich nicht die geringste Lust hatte. Im Trichter hatten sich Zeitblasen aller Größen fast bis hoch zur runden Öffnung der Kuppel angesammelt, weil wir nicht mehr dazu kamen, sie in Gläser zu füllen und in den Schränken zu verstauen.
Plötzlich drangen von draußen die Geräusche vieler im Gleichschritt Marschierender an, untermalt vom metallischem Scheppern. Caspisian lief zur angelehnten Eingangstür, spähte hinaus und fuhr erschrocken zurück. „Die Palastgarde in voller Rüstung! Sogar ihre langen Donnerspieße haben sie dabei! – Und wer ist das jetzt? – Oh, oh! – Beim dreifach verdorbenen Hoggenpfuhl – Benni, das wird jetzt verdammt gefährlich für dich, hau ab, versteck’ dich, rasch!“
Und schon schallte eine posaunenhafte Altstimme: „Wo ist dieses Miststück, das versucht, mir meinen Verlobten abspenstig zu machen! Ich will dieser Kanaille das Gesicht zerkratzen und sie dann für den Rest ihres Lebens in die Wüste Kartagonnia verbannen, so wahr ich Temendzia bin, die einzig wahre Braut des Großen Gnuff! Tausende Male hat er mir in den vergangenen hundert Jahren die Ehe versprochen – und nun will er auf einmal so eine dürre, hässliche, faltenlose Schnepfe zum Altar führen!“
Die kleine Schar Unaussprechlicher, die bislang an mir herumgezupft hatte, wirbelte herum und eilte behende durch das Portal in die Rotunde. Ich tat es ihnen nach, doch bevor ich die wuchtige Tür ins Schloss fallen ließ, tat ich noch einen kurzen neugierigen Blick durch einen schmalen Spalt. Ein hünenhaftes Weib, in ein feuerrotes bodenlanges Gewand gehüllt, fegte in die Vorhalle, gefolgt von mindestens zwei Dutzend kleinwüchsiger Salmeyden in silbern schimmernden Harnischen. In den Händen trugen sie übermannshohe dünne Speere, an deren Spitzen bläuliche Flammen züngelten.
„Öffne das Portal! Sofort!“, hörte ich, wie Temendzia im rüden Befehlston Caspisian anherrschte. Während ich seinen wuchtigen Schlüsselbund rasseln hörte, kreiselte ich verzweifelt meine Hände ringend um die eigene Achse. Wohin nur, wohin! Mein Blick fiel auf ein Gefäß mit Zeitblasen in einem nahen Schränkchen. Mit zitternden Fingern schaufelte ich die schillernden kleinen Kügelchen in mich hinein. Wieder verspürte ich ein absolut unangenehmes Gefühl in meinen Eingeweiden und sah, wie ich nach und nach unsichtbar wurde. Gut, das verschaffte mir jetzt hoffentlich ein wenig Zeit.
Ich raste zum Paternoster, sprang hinein und fuhr bis ganz nach oben, taumelte in mein Zimmer, verriegelte die schmale Tür und verbarrikadierte sie mit einer schweren Kommode – die Angst verlieh mir Riesenkräfte. Dann sank ich nach Atem ringend und mit wild rasendem Herzen auf das Himmelbett. Anscheinend hatte Caspisian das Portal nun geöffnet, ich hörte das rhythmische Scheppern der Rüstungen tief unter mir in der Rotunde und Temendzias lauten Befehl: „Durchsucht jeden Schrank, jeden Winkel, jedes Regal!“
Obwohl mir der Herzschlag laut in den Ohren rauschte, vernahm ich hinter dem großen Garderobenspiegel neben dem kleinen Badezimmer ein Kratzen, wie wenn jemand mit dem Fingernagel über eine lackierte Oberfläche schabt.
„Benni! Ich bin’s! Caspisian! – Schieb den Spiegel zur Seite, dahinter befindet sich eine Tapetentür. Ich will dir helfen!“, tönte es hohl aus der Wand.
Ich tat wie geheißen und nur wenig später stand mein guter Freund vor mir, sein Frack war über und über mit Spinnweben bedeckt und der Zylinder wies einige Beulen auf.
„Uralter, leider sehr unbequemer Geheimgang mit viel zu vielen Stufen. Bei meiner Einstellung vor über zweihundert Jahren habe ich versprechen müssen, niemandem ein Wort darüber zu verraten.“
Allmählich ließ die Wirkung der Zeitblasen nach, ich wurde wieder sichtbar. Caspisian führte mich zum Fenster.
„Der Zeitpunkt ist gekommen, Benni, an dem du wieder zurück in deine Welt musst.“ Er rückte einen Stuhl ans Fenster, stieg hinauf und öffnete es weit. Dann deutete er auf den schmalen Sims, der an der Außenseite entlang verlief und aus dem sich die stattliche, kupferne Kuppel der LiZAS wölbte. „Du musst jetzt da rauf. Hab keine Angst, ich bin bei dir.“
Er nahm meine Linke und gemeinsam kletterten wir aus dem Fenster. Caspisian holte tief Luft. „Du bist mir eine gute Freundin und jeder Tag mit dir ist mir eine Freude gewesen. – Und jetzt mach die Augen zu und spring.“
Mir wurden die Knie weich und ich begann zu zittern. Beim Blick nach unten auf die schwindelerregend weit entfernte Allee schoss mir der Angstschweiß aus allen Poren.
„Keine Angst. Bald wirst du wohlbehalten in deiner Welt sein.“
Ich sah in seine tiefschwarzen übergroßen Augen. „Was wird mit dir? Wird man dich bestrafen?“
Der kleine Mann winkte schief lächelnd ab. „Aber nein. Mach dir um mich keine Sorgen. Vielleicht steckt man mich für ein paar Tage in die Wüste Kartagonnia, aber das habe ich schon mehrere Male unbeschadet überstanden. – Nun spring!“
Ich hörte, wie heftige Tritte gegen die verschlossene Zimmertüre donnerten, blickte mich um und sah, wie das Holz der Türfüllung nachgab und zu bersten drohte. Ich holte tief Luft. „Caspisian, ich hatte noch nie so einen guten Freund wie dich. Und die Zeit hier in der LiZAS werde ich bis ans Ende meiner Tage nicht vergessen.“
Ich drückte ihm einen Kuss auf die tiefbraune, gefurchte Stirn. Dann breitete ich die Arme aus, schloss die Augen und sprang…
………………………
… Und als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich wohlbehalten zuhause in meinem Bett.
ENDE
