… So ein oder zwei Mal pro Monat bekommt man nur einen halben Tag Dienst zugeteilt, und darf dann gegen vierzehn Uhr schon nach Hause gehen. Vergangenen Dienstag fiel das Los auf mich, da ich bereits am Abend zuvor darüber informiert worden war, packte ich nebst einer kräftigen Brotzeit natürlich auch meine große Kamera samt Tele- und Makro-Objektiv in den Rucksack…
… Nach Verlassen der Residenz wandte ich mich gen Hofgarten. Am ausladenden Eingangsportal gab der Edelweißprinz, ein sehr namhafter Münchner Straßenkünstler, seine Gesangs- und Akkordeon-Künste zum besten. Sonnenanbeter, Cafehaus-Besucher, Müßiggänger, Boulé-Spieler, Musikanten, Touristen, sie alle ergingen sich behütet von der Tellus Bavarica – eine Allegorie Bayerns, welche die runde Haube des Hofgarten-Pavillons ziert – in der sehr harmonisch gestalteten Anlage…
… Zuerst brotzeitete ich genüßlich, und dann schlenderte ich voll Behagen an der Staatskanzlei vorbei Richtung Prinz-Karl-Palais…
… Während ich nach einem feinen Feierabendspaziergang vom Hofgarten zum Chinesischen Turm auf den Bus wartete, beobachtete ich eine ausgelassene Schar Raben, die an einem kleinen Wasserlauf viel Spaß hatten – mit Stöckchen und Steinchen ins Wasser werfen, sich haschen, auch Liebe machen – und ein ausgiebiges Bad nehmen… 😉
… „Komm doch auch ‚rein hier, im kühlen, klaren Frühlingswasser plantschen ist so schön!“…
… Ich bin müde, meine lieben, kleinen Helferlein, und geh‘ jetzt ins Bett. Würdet ihr bitte die Kerze ausmachen?“ – „Na, klar, Chefin! – Jungs, Wasser marsch!“…
… Das stolze Ausflugsschiff „Seeshaupt“ wurde während einer kurzweiligen, zweistündigen Rundreise auf dem Starnberger See von einer Drohne begleitet, ich nehme mal an, dass sich ein Filmteam an Bord befunden hat, um mit diesem doch etwas unheimlich einher kommenden Fluggerät – man beachte nur die rotglühenden „Augen“! – Außenaufnahmen zu machen…
… Ich verbrachte einen sehr vergnüglichen Nachmittag an Bayern’s zweitgrößtem See, und meine Kamera und ich sahen interessante Menschen, einen Steinbeißer-Hund, Kunstwerke, Schlösser, Villen, die Alpen und noch so manches mehr…
… machte die mittlere der insgesamt drei Ansichten des Nymphenberger Schlosses und der Stadt München, die gegen Mitte des 18. Jahrhunderts von Bernardo Bellotto, besser bekannt als Canaletto, geschaffen wurden, und die nun wieder vereint im Zweiten Vorzimmer der Kurfürstenzimmer der Münchner Residenz zu sehen sind: Zunächst wurde das Gemälde an das Bayerische Nationalmuseum verliehen, danach an eine Wanderausstellung kreuz und quer durch Bayern, anschließend ging es nach Peking, und zum Schluß war die Vedoute etliche Monate Bestandteil der Canaletto-Präsentation in der Alten Pinakothek München…
… Anlässlich der Heimkehr des Gemäldes, welches die Stadt München vom damals noch unverbauten, ländlichen Rücken des Gasteigs aus zeigt, wurden mit einer Spezialkamera etliche Aufnahmen gemacht. Dieser Foto-Apparat sieht auf den ersten Blick recht vorsintflutlich aus, man muss sich sogar wie anno dunnemals ein dunkles Tuch überstreifen, wenn man sich an das Okular begibt. Doch der oberflächliche Eindruck täuscht, das Innere der Kamera, und auch die zahlreichen, dazu gehörigen Objektive sind auf dem neuesten Stand digitaler Foto-Technik…
… Am gleichen Tag löste ein Kollege der Bayerischen Schlösserverwaltung auch ein kleines Rätsel, das mich seit einigen Wochen beschäftigte. Schon oft waren mir in den Kurfürsten- und Reichen Zimmern an den Vertäfelungen kleine Symbole aufgefallen, die zwei schwarzen, an den Spitzen aufeinander gestellten Dreiecken gleichen. Dies sind Vermessungspunkte. Da in jenen Räumen bei der Rekonstruktion nach dem Zweiten Weltkrieg zum großen Teil die ursprüngliche, weit über vierhundert Jahre alte Bausubstanz verwendet worden ist, werden sie zweimal pro Jahr mit Spezialgeräten überprüft, um fest zu stellen, ob sich die Statik der Mauern, Decken oder Böden im Laufe der Zeit verändert hat…
… Etliches Mobiliar in den Kurfürsten-Zimmern stammt von dem renommierten Pariser Kunstschreiner Charles Cressent. Dieser brockte sich gegen Mitte des 18. Jahrhunderts enorm viel Ärger mit einigen Ständen ein. Zur damaligen Zeit durften Schreiner lediglich Holz verarbeiten, Kunstschlosser ausschließlich Metall, Steinmetze nur Marmor, Granit etc. Cressent setzte sich darüber hinweg, indem er seinen Möbelstücken in einer einzigen Werkstätte, seiner eigenen, die vergoldeten Bronze-Figuren und -Verzierungen sowie die Oberflächen aus Marmor anbringen ließ. So wundervoll die Kommoden des Franzosen auch anzuschauen sind, so sind sie doch sehr unhandlich im Gebrauch. Durch die vorne und an den Seiten angebrachten metallenen Schmuckelemente verlieren sie das Gleichgewicht, wenn man eine der Schubladen aufzieht, drohen vornüber zu kippen, und müssen daher gleichzeitig gestützt werden… 😉
… Erbaut wurde dieses Münchner Stadttor im Jahre 1302 im Zuge der Errichtung einer massiven Befestigungsanlage. Allerdings hieß es bis ins Jahr 1797 Neuhauser Tor, da von hier aus die für den bayerischen Handel eminent wichtige Salzstraße ins unweit gelegene Dörfchen Neuhausen führte – heute ein Stadtteil der Landeshauptstadt…
… Erst zu Zeiten des höchst unbeliebten Kurfürsten Karl Theodor, der einer Pfälzer Seitenlinie der Wittelsbacher entstammte, der letzte bayerische Sproß des Herrschergeschlechts, Kurfürst Max III. Joseph – der Vielgeliebte – war 1777 kinderlos verstorben, wurde das imposante Bauwerk in Karlstor umbenannt. Der „Zwangs“-Herrscher Karl Theodor, der viel lieber in Mannheim und Heidelberg verblieben wäre, ließ die davor liegende Bastion schleifen, und einen weiten Platz errichten, der, wie sollte es anders sein, Karlsplatz geheißen wurde…
… Doch die Münchner weigerten sich beharrlich, dies zu tun, sie bezeichneten den Ort weiterhin als Stachus. Dieser Name geht auf den Namen eines Schankwirts zurück – Eustachius Föderl, kurz Stacherl, der Mitte bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts südwestlich des Neuhauser Tors eine Gastwirtschaft betrieb. Und wen wundert’s, dass die Einheimischen auch heutzutage ausschließlich vom Stachus und nicht vom Karlsplatz sprechen…
… Hinter dem Karlstor hat sich in früherer Zeit der sogenannte Mittelturm befunden. Die Zöllner, welche die Fuhrwerke zu kontrollieren hatten, raunten bisweilen Händlern zu, wenn sie einen großzügigen Obolus spendieren würden, würde man ihnen einen dreigesichtigen Götzen zeigen, den man in einer Turmstube aufbewahren würde, und dessen Antlitze schwarz, weiß und rot gefärbt wären. – Dabei könnte es sich um den Gott Baphomet handeln, eine Symbolgestalt, die den Tempelrittern zugeschrieben wird. Wenn man bedenkt, dass der Orden der Templer bis ins frühe 14. Jahrhundert hinein europaweit stark vertreten war, und München bereits damals eine sehr reiche und blühende Handeslmetropole gewesen ist, liegt es eigentlich nahe, dass sich auch in der bayerischen Hauptstadt eine Komturei der Tempelritter befunden haben könnte…
… Aber – …
… „Nix G’wiß woaß ma net.“…
… So lautet der auch heute noch im Bayerischen häufig gebrauchte Spruch eines jener vier Münchner Originale, deren Halbstatuen im Hauptbogen des Karlstores zu sehen sind…
… Der Finessen-Sepperl war ein kleinwüchsiger, stets griesgrämig blickender Mann, der zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts lebte. Sein Broterwerb war, in einem großen Weidenkorb vom damaligen Schrannenplatz (Marktplatz) – heute der Marienplatz, der absolute Mittelpunkt Münchens – die von wohlhabenden Bürgerfrauen eingekauften Waren zu deren Häusern zu transportieren. Was die wenigsten wussten: Der Korb des Finessen-Sepperls hatte einen doppelten Boden, in welchem er unter Obst, Gemüse, Fisch und Fleisch verborgen amouröse Botschaften zwischen Liebenden hin und her beförderte. Befragte man den Herrn nach seiner Meinung zu allerlei aktuellem Geschehen, lautete seine Antwort zumeist: „Nix G’wiß woaß ma net.“… 😉
… „Wer ko, der ko!“…
… Franz Xaver Krenkl war ein Lohnkutscher. Berühmt wurde er, weil er vierzehn Mal in Folge das Kutschenrennen des Münchner Oktoberfests gewann. Aber nicht nur deshalb…
… Begaben sich die Wittelsbacher Herrscher auf Fahrt, durften sie auf gar keinem Fall von „Normalsterblichen“ überholt werden. Eines Tages musste der Herr Krenkl eine gar eilige Fracht transportieren. Bei der Durchfahrt des Englischen Gartens bummelte die Kalesche des Thronprinzen Ludwig I. entnervend langsam vor ihm her. Schließlich platzte dem Lohnkutscher der Kragen, er gab seinen Rössern die Peitsche, und preschte am zukünftigen Regenten Bayerns vorbei. Der, sein Chauffeur und die Leibgardisten schimpften natürlich Zeter und Mordio. Worauf der Franz Xaver Krenkl sich vom Bock beugte, und ihnen charmant lächelnd zu verstehen gab: „Ja mei, wer ko, der ko.“…
… Der Kontrabassist und Kapellmeister Josef Sulzbeck – 1767 – 1845 – und seine Spezln Bacherl, Huber – der den Spitznamen Canapé trug und auf mysteriöse Weise in der Isar ertrank – und Straubinger galten als erste bekannte Volkssänger Bayerns. Zumeist traten sie im Hofbräuhaus auf, ohne Bezahlung, doch sie durften am Ende ihrer Darbietungen einen Teller rundum gehen lassen, auf welchem sich die Münzen stets nur so häuften. Sulzbeck prägte den ebenfalls noch weit verbreiteten, übermütigen Ausruf: „Hurraxdax, pack’s bei da Hax‘!“… 😀
… Vom letzten der Vier ist kein stehender Spruch überliefert, jedoch eine jener skurrilen Anekdoten, die ich so sehr liebe: Georg Prangerl…
… Er war der Hofnarr des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph, und der letzte seiner Zunft. Georg Prangerl galt als ein hervorragender Violin-Spieler. Als eines Tages ein berühmter italienischer Musiker in der Residenz von der Familie des Herrschers sehr umschmeichelt und bewundert wurde, wurde Prangerl vom Neid übermannt. Kurzerhand sperrte er den vermeintlichen Konkurrenten in einen kleinen, finsteren Abstellraum, maskierte und schminkte sich, so dass er dem Musikus recht ähnlich sah, und gab statt diesem im Hoftheater ein Konzert. Nach rauschendem und höchst begeistertem Beifall kam jedoch der Schwindel auf, und der letzte Hofnarr hängte flüchtenderweise seinen Job an den Nagel… 😉
… Während der Fußball-WM 2006 lud mich mein irischer Kumpel und Arbeitskollege Johnny an einem neblig trüben Nachmittag in seine irische Lieblingskneipe ein, im Untergeschoss eines stattlichen Bürgerhauses nahe der Leopoldstraße gelegen. Die irische Nationalmannschaft trat gegen die Elf eines der Golfstaaten an, es war ein Achtelfinal-Spiel. Wir hatten uns rechtzeitig eingefunden, denn Johnny hatte mir prophezeit: „Eine halbe Stunde vor Anpfiff wird es hier sehr eng werden, Martha.“ Da der Schankkellner einer seiner ungezählten guten Spezln war, durften wir es uns in einem schummerigen Eck hinter der Theke gemütlich machen, und hatten einen unverstellten, feinen Blick auf den riesigen Bildschirm, der uns gegenüber an der Wand hing…
… Binnen kurzem herrschte im Lokal eine Stimmung, als würde es sich bei der Partie um das Endspiel handeln. Das dunkle Guiness und Whiskey flossen in Strömen, bei jedem gelungenen Spielzug der Iren wirbelten grüne Hüte und Mützen, irische Flaggen und Schals in allen Größen und Variationen durch den halbdunklen Raum…
… Die irische Nationalmannschaft gewann – dass der Sieg recht knapp ausgefallen war, störte niemanden. Man fiel sich lachend und jubelnd in die Arme, tanzte voller Freude, und beschloß dann spontan, eine kleine – unangemeldete und nicht genehmigte – Parade auf der Leopoldstraße zu veranstalten. So lud man mit viel „Hurray!“ ein Fäßchen Guiness und einige Tabletts Gläser auf einen Leiterwagen, welcher behende mit einem wilden Gestrüpp künstlicher Kleeblätter dekoriert worden war, und zog voll der überschäumenden Lebensfreude lärmend los. Die herbei eilenden Ordnungskräfte ließen Milde walten, und dirigierten den Feierabendverkehr behutsam um die ausgelassen Feiernden herum…
… Es war bereits finster, als ich mein Rad vorsichtig gen Zuhause schob, fahren getraute ich mich nicht mehr, ich hatte dem großzügig ausgeschenkten Freibier gar eifrig zugesprochen. Die wilden, sanften, wehmütigen, übermütigen Melodien irischer Volksweisen, die in mir noch nachklangen, wiegten mich rasch in einen traumlosen Schlaf…
… Ich mag die Iren sehr. Vor etlichen Jahren hatte ich einen irischen Arbeitskollegen, ein Original, wie es im Buche steht. Johnny hatte drei Herzinfarkte überlebt, er rauchte wie ein Schlot, trank wie ein tibetischer Wasserbüffel, verfügte über einen höchst skurrilen Humor, und hatte einen Hang zur überschwänglichen Sentimentalität. Seine schmalen, sehr intensiv blauen Augen konnten binnen kurzem schalkhaft funkeln, zornig aufblitzen, oder aber sich mit riesigen Krokodilstränen füllen. In seinen jungen Jahren ist er Ausbilder bei der Fremdenlegion gewesen, ein wohl überaus gefürchteter. Ab und an kamen ehemalige Kameraden in das wunderschöne Barock-Palais in einem kleinen Schwabinger Park, in welchem wir arbeiteten, und sie erwiesen ihm stets höchst beeindruckende Ehrerbietung. Wir hatten uns recht schnell angefreundet, und er pflegte mich manchmal seinen Kumpels solcherart vorzustellen: „This is my lovely Martha, she is a Bayrisch Irish.“…
… Diese Erinnerungen an längst vergangene Tage kamen mir wieder in den Sinn, als ich, mit dem Finger beständig am Auslöser der Kamera, das fröhliche und farbenprächtige Treiben der Parade von Herzen genoss. Und ich fragte mich, wie es Johnny wohl nun ergehen mag. Ist er wirklich zu seinen Verwandten nach Irland zurück gekehrt, wie er es vor gut zehn Jahren vor hatte?…
… Wo immer du auch bist, was immer du auch tust, alter Kumpel:…
… Mögest du warme Worte an einem kalten Abend haben, Vollmond in einer dunklen Nacht und eine sanfte Straße auf dem Weg nach Hause..
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