… Hertha und Walter wohnten seit fast vier Jahrzehnten schon im Ortskern eines beschaulichen Dorfes in den bayrischen Alpen. Sie residierten im ersten Stock eines beinahe zweihundert Jahre alten ehemaligen Gutshauses. Von den großen und hohen Fenstern ihres Wohnzimmers aus hatten sie den perfekten Blick auf den links der Straße gelegenen kleinen Lebensmittelladen, das dahinter sich auftürmende Hotel im alpenländischen Stil und den weitläufigen Platz vor dem Gemeindehaus. Zu ihren Gepflogenheiten gehörte es, sorgfältig hinter den stets makellos weißen Gardinen verborgen hinaus zu spähen und das alltägliche Geschehen zu kommentieren, in der Regel waren es abfällige Bemerkungen über ihre Bekannten und Nachbarn im Dorf, sowie Behauptungen, die leider oft nicht der Wahrheit entsprachen…
… Während eines meiner Besuche erzählten Hertha und Walter von einer Begebenheit, die sich jüngst ereignet hatte. Sie waren bereits ins Bett gegangen, als lautes Geschrei, das von der Hauptstraße nahe des Hotels zu kommen schien, sie wieder aus den Federn trieb. Sie schlichen ins Wohnzimmer, und beobachteten, wie immer hinter der Gardine verborgen, wie ein augenscheinlich angetrunkener Mann wild auf seine Begleiterin einschlug.
„So ein primitiver Bastard! So was Brutales und Unzivilisiertes!“, ereiferte Hertha sich beim Erzählen.
„Habt ihr denn das Fenster aufgemacht und dem Typen zugerufen, er soll gefälligst aufhören, seine Frau zu verprügeln?“
„Aber nein! Wie kommst du denn darauf! Der Kerl hätte einen Stein packen und nach uns werfen können! Oder uns sonstwie bedrohen.“
„Und unsere Nachbarn hätten aufwachen können.“, fügte Walter hinzu.
„Ich nehme an, dass die durch den Radau schon längst wach geworden sind.“, wandte ich ein. „Habt ihr wenigstens die Polizei gerufen?“
„Ach, nein.“
„Wie bitte? Und wieso nicht?“
„Ach, weißt du, die wären dann mitten in der Nacht zu uns in die Wohnung gekommen und hätten uns Fragen gestellt. Und wir wollten uns nicht einmischen, das Ganze ging uns ja gar nichts an! Und was hätten die Nachbarn von uns dann gedacht. Außerdem ist der junge Hotelier eingeschritten, hat die Streithansln getrennt, und kurz darauf ist auch ein Streifenwagen gekommen.“
Ich beugte mich über den Tisch und funkelte die Beiden an. „Die Nachbarn hätten doch auch von euch denken können, dass ihr Menschen mit Courage seid, die nicht tatenlos zusehen, wenn sich jemand an Schwächeren vergreift. Meint ihr nicht auch?“
Hertha und Walter starrten mich eine Weile stumm an. Dann murmelte Walter: „Du immer mit deinem Idealismus.“
So standen die Beiden noch viele Jahre lang am Wohnzimmerfenster, immer gut hinter der Gardine verborgen, und beobachteten, schimpfend und zeternd – und niemals offen Stärke und Rückgrat zeigend. Denn was sich da draußen abspielte, mochte es auch noch so unmenschlich und verstörend sein, ging sie ja nichts an…
Schlagwort: Zivilcourage
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… Sie folgten ihrem Gewissen, ihrem Glauben, ihrem Verstand und Herzen. Sie stellten sich gegen das NS-Regime, und mussten Ausgrenzung, Folter, Verrat und den Tod dafür in Kauf nehmen. Diesen Menschen gilt mein höchster Respekt. Sie sind wahre Vorbilder…
… Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des NS-Dokumentationszentrums München. Dort bin ich diese Woche zum Arbeiten eingeteilt. Obwohl der Dienst eine gute Stunde länger dauert als in der Residenz, ist die körperliche Belastung geringer, da man sich hinsetzen darf, wenn nicht viele Besucher/innen anwesend sind. Der Ablauf ist auch weitaus entspannter und ruhiger als im Stadtschloss. Aber was ich während meiner Dienste bisher zu sehen, zu hören und zu lesen bekam, wird mich noch eine sehr lange Weile innerlich beschäftigen…
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… Aufstand der Ghetto-Inhaftierten in Warschau…
… Ihr Mut soll uns ein Beispiel sein…
