… Impressionen eines Nachmittagsspazierganges…

Glück ist die Summe schöner Momente
… Impressionen eines Nachmittagsspazierganges…
… (1622 bis 1726), wegen der blauen Schärpe, die er in Gefechten stets trug, auch der Blaue König genannt, nicht so verschwenderisch und auch größenwahnsinnig gewesen wäre, dann würde es die Türkenstraße in München heutzutage wahrscheinlich gar nicht geben. Nachdem sein Vater, Kurfürst Ferdinand Maria, nicht unbedingt von Ehrgeiz geprägt gewesen war, trat diese manchmal recht unselige Eigenschaft umso stärker bei Max Emanuel auf. Er wollte deutscher Kaiser werden. Und dazu musste man prunken und protzen, was das Zeug hielt. So brütete er dereinst die Idee aus, die Münchner Schlösser Nymphenburg, Schleißheim und die Residenz durch Kanäle miteinander zu verbinden, auf welchen man dann wie in Venedig in Gondeln ruhend, Wein trinkend, schmausend und von schöner Musik geleitet lustwandeln hätte können…
… Der maßlose Umgang mit Gut und Geld brachte Bayern während der Regentschaft Max Emanuels mehrfach an den Rand des Bankrotts, und so mussten schließlich die Pläne eines Kanalnetzes in und um München fallen gelassen werden. Damals befand man sich bereits mitten im Aushub der Wasserstraße, die Schleißheim und die Residenz miteinader verbinden sollte. Die Arbeiten wurden von Zwangsarbeitern, Soldaten und einigen Gefangenen verrichtet, die der Blaue König von seinem erfolgreichen Feldzug gegen die Türken bei Wien mitgebracht hatte. Fälschlicherweise entstand daraus in späteren Jahren die Legende, es wären beinahe ausschließlich Osmanen gewesen, die beim geplanten Kanal zugange gewesen wären – und somit der spätere Straßennamen…
… Viele Jahre lang lag lag das Gelände brach. Dann baute man zu Zeiten König Max I. Joseph zunächst die sogenannte Türkenkaserne, die im 2. Weltkrieg beinahe völlig zerstört wurde, dort befindet sich heute das sogenannte Kunstareal mit den drei Pinakotheken sowie der Sammlung Brandhorst. Unter König Ludwigs I. im Zuge der Gründung der Universität und der Anbindung Schwabings an München bildete sich allmählich die sogenannte Maxvorstadt, was vom Kanal – Türkengraben – noch zu sehen war, wurde zugeschüttet und als Baugrund ausgewiesen…
… Vieles vom einstigen Glanz, dem früheren Charme, dem etwas exzentrischen Bohéme-Charakter der Türkenstraße ist mittlerweile verschwunden. Für mich allerdings ist sie immer noch eine der spannendsten und interessantesten Straßen Münchens. Vor einigen Tagen erst bin ich sie wieder einmal entlang geschlendert, von ihrem Anfang an der Brienner Straße bis sie nahe der Münchner Kunstakademie in die Georgenstraße mündet…
… Anstelle des früheren Wittelsbacher Palais, in dem unter anderem nach ihren Rücktritten die bayerischen Könige Ludwig I. und Ludwig III. residierten, und die Gestapo von den dreißiger Jahren bis zum Ende des 2. Weltkriegs ihre Kerker, Folterkammern und Verhörräume hatte, befindet sich heute der Glas-Beton-Stahlpalast der Bayerischen Landesbank, auf der anderen Straßenseite sind sehr moderne Zweckbauten bzw. Baugruben zu sehen…
… Interessant wird die Türkenstraße meiner Meinung nach ab der Kreuzung mit der Gabelsbergerstraße mit der Jugendstilfassade des sogenannten einstmaligen Officiums, inzwischen ein Versicherungsgebäude…
… Etwa fünfzig Meter weiter nordwärts befindet sich dieses schmucke Anwesen, welches nicht nur durch die Vorderfront hervor sticht, sondern auch durch die etwas schräge Kunst im Tor und einer üppig wuchernden Hinterhofidylle…
… Nach der Kreuzung Theresienstraße hat man zum Glück gut die Hälfte der einstigen Fassaden im Stil des Neubarocks und der Neurenaissance nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgebaut – mehr als drei Viertel der Türkenstraße sind durch die Bombenangriffe auf München zerstört worden. Und einige der alten Läden aus längst vergangenen Tagen haben sich bis in die Jetztzeit erhalten, so z. B. das kleine Antiquitätengeschäft in Hausnr. 66, sowie das Antiquariat und der Tabakladen schräg gegenüber, und der Baumarkt Suckfüll, bei dem man noch Nägel, Schrauben, Muttern etc. einzeln kaufen kann (allerdings ist das Haus ein Neubau und nicht recht fotogen 😉 )…
… In eine ehemalige Bedürfnisanstalt zogen in den Sechzigern das Bürgerbüro der Maxvorstadt sowie der kleinste Jeansladen der Stadt…
… Das wohl legendärste Etablissement in der Türkenstraße ist Kathi Kobus‘ „Alte Simpl“, bis 1903 das Kaffeehaus Kronprinz Rudolf. Die Liste der berühmten und illustren Stammgäste, die sich während der Blütezeit des Lokals quasi die Klinke in die Hand gaben, ist schier endlos, ich will hier nur einige nennen: Franz Wedekind, Ludwig Thoma, Olaf Gulbransson, Thomas Mann, Karl Valentin, Liesl Karlstadt, Joachim Ringelnatz, Alfons Gondrell. Am 13. Juni 1944 zerstörte eine Bombe den „Alten Simpl“ vollständig. Nach dem Wiederaufbau übernahm die Schauspielerin Toni Netzle von 1960 bis 1992 den Simpl, unter ihrer Leitung erlebte die Gaststätte eine letzte Blütezeit und war vor allem ein Treffpunkt für Theater- und Filmleute sowie Journalisten…
… Heute wird der „Alte Simpl“ vor allem von jungen Studenten/innen frequentiert. In der Kulturszene spielt er allerdings keine Rolle mehr…
… Demnächst wird dieser Stadtspaziergang noch ein bisserl fortgesetzt… 😉
… Das sogenannte Münchner Kunstareal, auf dem sich die drei Pinakotheken sowie sich das Museum Reich der Kristalle befindet, wird im Osten von der Türkenstraße begrenzt, dem einstmaligen Türkengraben. Kurfürst Max Emanuel, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts Ambitionen bezüglich der Kaiserkrone hegte, wollte seine Schlösser Schleißheim und Nymphenburg mittels Kanal mit der Münchner Residenz verbinden lassen. Die Bauarbeiten begannen 1701, sie wurden von Soldaten der Kurfürstlichen Infanterie durchgeführt, in späteren Jahren entstand das Gerücht, der Kanal wäre von türkischstämmigen Kriegsgefangenen ausgehoben worden, die Max Emanuel, der Blaue Kurfürst (wegen der blauen Schärpe, die er stets in Gefechten trug), vom erfolgreichen Feldzug gegen die Türken vor Wien mitgebracht hatte. Die Bauarbeiten an der Wasserstraße wurden 1704 eingestellt, 1711 schüttete man den verbliebenen Graben auf, und verkaufte die Grundstücke. Die heutige Türkenstraße folgt sehr grob dem geplanten Kanal-Verlauf…
… Gut hundert Jahre später enstand unter der Herrschaft des ersten bayerischen Königs Max I. Joseph entlang der Straße die sogenannte Türkenkaserne mit Platz für mehr als 2.100 Soldaten des Königlich Bayerischen Infanterie Leibregiments. Während des Wiederaufbaus Münchens nach dem 2. Weltkrieg ebnete man die verbliebenen Reste der schwer zerstörten Kaserne ein, das einzige, bis in die heutige Zeit verbliebene Relikt ist das sogenannte Türkentor. Zur Jahrtausendwende nahm sich ein renommiertes Architekturbüro der Sanierung des vom Verfall bedrohten Bauwerks an. Sie beließen die historische Front zur Türkenstraße hin, und schufen im Inneren einen völlig quadratischen Kubus, in dessen Mitte sich auf einem runden, schwarzen, dreistufigen Podest ein modernes Kunstwerk befindet. Ich hab’s so gar nicht mit moderner Kunst, doch als ich vor ein paar Tagen von der lieben Renate zu The Large Red Sphere von Walter de Maria geführt wurde, stockte mir kurz der Atem…
… Die riesige, blank polierte Kugel aus rotem Granit hat einen Durchmesser von ca. 2,60 Metern und wiegt stolze 26 Tonnen. Nach ihrer Fertigstellung in einem Granitwerk in Aicha vorm Walde (Niederbayern) und dem Transport nach München musste sie durch das im Jahr 2009 noch offene Dach des Türkentors mittels Kran auf ihren Standplatz gehievt werden…
… The Large Red Sphere strahlt etwas Magisches aus, sie hat eine geradezu überwältigende Anziehungskraft. Sowohl die Maserung des dunkelroten Granits als auch die vielfältigen Spiegelungen auf der glatten Oberfläche faszinierten mich sehr. Der überaus auskunftsfreudige und geschichtskundige Herr, der ein wachsames Auge auf die Kugel hatte, erzählte uns, dass manche Menschen seltsame Schwingungen verspüren würden, wenn sie ihre Hände auf das Kunstwerk legen würden. Ich tat wie geheißen und breitete beide Hände auf dem kühlen, glatten Granit aus, Schwingungen konnte ich keine wahr nehmen, aber ein seltsames, sanftes Prickeln…
… Danke, liebe Renate. Wenn du dich mit mir am Donnerstag nicht zum Eis essen getroffen hättest, dann wüsste ich höchstwahrscheinlich immer noch nicht, was für eine bemerkenswerte moderne Schöpfung sich nur wenige Steinwürfe von meinem Zuhause entfernt befindet…
… Das Türkentor. Die Inschrift in der Kartusche lautet „Dem ruhmreichen Königlich-Bayerischen Infanterie Leibregiment 1814 – 1919″…
… Oben: Die Türkenkaserne…
… The Large Red Sphere von Walter de Maria…
… Allerdings fürchte ich, dass ich trotz bester Bemühungen nach wie vor keinen ausgeprägten Draht zur modernen Kunst haben werde. Während unseres Aufenthalts im Türkentor kamen wir auch darauf zu sprechen, welches Kunstwerk für uns das schönste in ganz München sei – meines wird auf immer und ewig die Bronzestatue des Neptun sein, geschaffen Ende des 16. Jahrhunderts von dem leider viel zu früh verstorbenen Georg Petel…
… Allerdings weiß ich die Farbenspiele der mit vielen bunten Elementen versehenen Außenfassade der Sammlung Brandhorst mit dem sommergrünen Laub der Bäume längsseits der Türkenstraße durchaus zu schätzen…
This function has been disabled for Marthas Momente-Sammlung.