… Am Donnerstag begab ich mich erneut auf Achse, ich wollte unbedingt eine Besichtigung nachholen, die ich am Sonntag während meiner ausgedehnten Reise durch’s Voralpenland verpasst hatte. Es herrschte starker Fön, als der Regionalzug den Starnberger See passierte, wirkte es, als sei die Gipfelkette der Nordalpen zum Greifen nah…
… Nach einer etwa zweistündige Fahrt mit Zug und einem teilweise sehr vollen Bus – es war grad Schulschluss in Weilheim gewesen, und munter plappernde Kinder saßen und standen dicht an dicht wie die Sardinen in der Büchse – hatte ich mein Ziel erreicht…
… Einst gab es an jenem Ort eine Wallfahrt, bei der eine zu Beginn des 18. Jahrhunderts geschnitzte Statue des gegeißelten Heilands getragen worden war. Die Figur geriet 1738 in den Besitz eines Bauern nahe Steingaden, dessen Frau Maria Lory eines Junimorgens Tropfen in den Augenwinkeln Jesus‘ entdeckt hatte, die sie für Tränen hielt. Kurz darauf wurde eine kleine Kapelle errichtet…
… Einige Jahre später begannen die Gebrüder Johann Baptist und Dominikus Zimmermann mit dem Bau einer stattlichen Kirche im Stile des Rokoko – die Wieskirche, kurz Wies genannt…
… So einzigartig und idyllisch wie in der damaligen Zeit, lediglich von zwei Bauernhöfen und einem Wirtshaus umgeben, präsentiert sie sich heutzutage nicht mehr so ganz, man hat eine riesige, betonierte Parkfläche geschaffen, um in der Hochsaison den unverzichtbaren fahrbaren Untersätzen der Massen von Besuchern ausreichend Platz bieten zu können, es gibt Souvenirstände mit allerlei Kitsch, sowie Imbissbuden. Aber wenn man ein kleines Stückerl beiseite geht, dann kann man durchaus noch um diese hässlichen Zweckbauten herum fotografieren…
… Betritt man die Kirche, hat man zunächst mit den Tücken einer streng schließenden Türe zu tun. Und dann – bleibt man schier überwältigt stehen, und schaut und staunt fassungslos und gebannt. Der Himmel scheint sich mit einem überirdischen Leuchten und Strahlen geöffnet zu haben, das eine Kuppel vortäuschende Deckengemälde zieht einen förmlich in sich hinein. Obwohl im Stil des Rokoko geschaffen, wirkt dieses Gotteshaus keineswegs überladen, sondern licht und leicht, gleichsam schwebend, gen Himmel strebend, es wirkt wie zu Stein gewordener Jubel. Während ich mich langsam herum bewegte, immer wieder inne haltend, um all die großen und kleinen, wundersamen Details in mich aufzunehmen, fühlte ich mich so frei, zutiefst fröhlich und unbeschwert und leichtherzig wie seit langem nicht mehr…
… Frohgemut gestimmt genoss ich noch ein wenig den herrlichen Anblick der Berge, dann enterte ich den nächsten RVO-Bus, und ließ mich zum Bahnhof in Füssen chauffieren. Und nahm mir fest vor, immer wieder mal zurück an jenen geradezu magischen Ort zu kehren…