Caspisian streckte die Rechte aus. „Zeig mir das bitte noch mal.“ Ich drückte ihm das Schreiben in die Hand. Er studierte es Wort für Wort, und musterte mich dann mit zusammengekniffenen Augen. Mir schien, als hätte er große Mühe, sich das Lachen zu verkneifen. „Du heißt wirklich Greta Benedicta?“ Er hatte mich bislang nur unter meinem Kurznamen Benni gekannt – alle Welt nannte mich so.
„Yepp.“, knurrte ich knapp. Da konnte er nicht mehr länger an sich halten und prustete so laut los, dass es von den Wänden der Rotunde widerhallte. Ich verdrehte die Augen und beschloss, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, ich konnte ja schließlich nichts dafür, dass sich meine Eltern ausgerechnet diesen Doppelnamen für mich ausgesucht hatten – ich liebe die Beiden sehr, aber das werde ich ihnen bis zu meinem letzten Atemzug nicht verzeihen!
Kurze Zeit später hatte ich einen mir völlig unbegreiflichen Anflug von Heimweh. Zudem bekam ich Hunger, so beschloss ich, mir diesmal Zeitblasen mit dem Geschmack eines deftigen Schweinsbraten mit dunkler Biersoß’ und Kartoffelknödeln zu vergönnen. Es war ein Festmahl! Gierig geworden stopfte ich eine bunt schillernde kleine Kugel nach der anderen in mich hinein – und dann wurde mir mit einem Male ganz sonderbar zumute, ein Unwohlsein, das sich mit Worten überhaupt nicht beschreiben lässt. Ich blickte an mir herunter und sah, dass ich unsichtbar wurde! Meine Hände, Arme, Füße, Beine, der Rumpf, nun wohl auch der Kopf – weg! Ausgelöscht! Nicht mehr zu sehen! Ich schrie wie am Spieß!
Caspisian kam aus der Vorhalle herbei geeilt. Vorsichtig tastete er nach mir und sprach beruhigend auf mich ein: „Jetzt weißt du, warum es so unangenehme Folgen hat, wenn man zu viele Zeitkapseln isst. – Sch, sch, bleib ganz ruhig, tief ein- und ausatmen. Versuche, dich zu entspannen. Das ist ein ganz dummes Gefühl, ich weiß, aber es ist nicht von Dauer, versprochen. Bleib nur ganz ruhig und entspannt sitzen, in etwa einer Viertelstunde wird es dir wieder besser gehen, und du wirst wieder sichtbar werden.“
Er hatte recht. So nach und nach kam ich wieder zum Vorschein. Ich wischte mir mit zitternden Händen den Schweiß von der Stirn. Mein Freund tätschelte mir die Schulter. „Siehst du, alles wieder gut. Bleib ruhig noch eine Weile hier und erhole dich, im Trichter tut sich momentan nur wenig.“
Ein dicker heller Bogen Papier, über und über mit sehr amtlich aussehenden Stempeln und Siegeln versehen, erschien vor ihm aus dem Nichts und flatterte in seine ausgestreckten Hände. Nachdem Caspisian bedächtig den ziemlich ausführlichen Text gelesen hatte, wurden er unter seiner zerfurchten tiefbraunen Haut aschfahl.
„Er kommt… Er kommt…“, stotterte er völlig außer sich. „Nicht zu fassen – er kommt…“
„Wer?“
„Na, wer wohl! Der Große Gnuff! Morgen! Schon morgen!“ Er drehte sich mit rasender Geschwindigkeit um die eigene Achse und bewegte dabei seine Arme wie Dreschflegel. „Beim dreimal verdorbenen Hoggenpfuhl!“ (Das war sein Lieblingsschimpfwort) „Was tut mir diese Bürokratenbande im Großen Palast nur an! Schon morgen! – Nicht auszudenken, was ich nun alles zu arrangieren habe!“
Sprach’s und flitzte mit einer irrwitzigen Geschwindigkeit davon.
Fortsetzung folgt!
