… Als ich am Samstag Abend beschwingt von all der schönen Musik am Bahnhof Prien angelangt war, zeigte die große Uhr ziemlich genau 22:00 Uhr. Der Regionalzug Meridian nach München hätte um elf Minuten nach Zehn eintreffen müssen. Dass auf der Anzeigetafel zu lesen war, dass mit einer Verspätung von ca. zehn Minuten zu rechnen sei, überraschte mich nicht im Geringsten. Ich bin in der vergangenen Woche mit fast einem Dutzend Züge kreuz und quer durch Oberbayern gereist – und kein einziger war pünktlich gewesen…
… Als die Regionalbahn in Prien einfuhr, wechselte die Anzeige am Triebwagen plötzlich von „München Hbf“ zu „Rosenheim“. „Was soll das denn?“, wurde ich von einem Mitreisenden gefragt, der Bayerisch mit leichtem, amerikanischem Akzent sprach. Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein, dass wir in Rosenheim in einen anderen Zug umsteigen müssen. Zur Zeit ist das Bahnfahren in dieser Gegend wegen einiger Baustellen manchmal ziemlich kompliziert.“…
… An Bord des Meridian befand sich niemand, den man um Auskunft hätte bitten können. Als wir in den Rosenheimer Bahnhof einfuhren, wurden wir vom Lokführer per Ansage dahingehend informiert, dass der Zug aufgrund einer Baustelle bei Ostermünchen jetzt hier enden würde, und Busse des Schienenersatzverkehrs am Bahnhofsvorplatz auf uns warten würden. Die Durchsage erfolgte ausschließlich auf Deutsch. Da der Meridian aus Salzburg kam, gab es sehr viele ausländische Tagestouristen, die logischerweise nun sehr verwirrt und orientierungslos waren…
… Hunderte Reisende durchquerten die verwaiste Schalterhalle. Sämtliche Geschäfte, und natürlich auch der Informationsschalter der DB bzw. Meridian, hatten bereits geschlossen. Auf dem Vorplatz und dem nahen Busbahnhof war kein Schienenersatzverkehr zu sehen! Nichts! Keine Busse, die uns, wie angekündigt, nach Ostermünchen bringen würden! So warteten wir. Und je länger die Wartezeit wurde, umso mehr wuchsen natürlich auch Unverständnis und Ärger. Viele machten ihrem Zorn laut Luft: „Das darf doch nicht wahr sein! So ein Sch…verein!“…
… Nach einer halben Stunde – es war mittlerweile nach 23:00 Uhr – hatte sich immer noch kein SEV eingefunden. Irgend jemand setzte das Gerücht in Umlauf, dass gleich auf Gleis 7 ein Zug aus Kufstein eintreffen würde, und der würde garantiert nach München fahren. Die vielköpfige Horde inzwischen höchst verärgerter Passagiere eilte daraufhin zurück in den Bahnhof. Ich eierte langsam hintendrein, obwohl ich dieser Nachricht keinen rechten Glauben schenkte…
… Während meines „Sprints“ Richtung Gleis 7 fiel mir auf Gleis 2 eine Zuganzeige auf: „Railjet von Budapest nach München Hbf – Verspätung ca. 80 Minuten“. Ich sah kurz auf die Uhr und rechnete, und kam zu dem Schluss, dass dieser Zug in Kürze einfahren müsste. Zwar darf ich mit meinem Behindertenausweis keine ICEs, ECs und Railjets benutzen, aber das war mir an diesem Abend ziemlich egal. Als ich mich langsam die Treppe zum Bahnsteig hochquälte – der Aufzug war nämlich defekt – hörte ich hinter mir, wie die Horde inzwischen noch zorniger gewordener Passagiere wieder zum Busbahnhof zurück strömte. Der Regionalzug von Kufstein fand nämlich auch ganz überraschend in Rosenheim ein Ende. Und auch da hatte man die Leut‘ auf den Schienenersatzverkehr hingewiesen – der nach wie vor nicht eingetroffen war…
… Der Railjet brauste nun mit gut eineinhalbstündiger Verspätung heran. Diesmal war ich dafür sogar dankbar, denn wäre dieser Zug pünktlich gefahren, würde ich jetzt wie die meisten anderen ziemlich ziel-, rat- und planlos da stehen. Ich stieg ein und wartete auf den Zugbegleiter, um die misslichen Umstände zu erklären, und ein Ticket zu kaufen. Aber während der ganzen Fahrt ließ sich niemand blicken. Ich war keineswegs böse deswegen…
… Wegen der Baustelle bei Ostermünchen wurde der Railjet über die eingleisige Strecke via Holzkirchen umgeleitet. Aus diesem Grunde durfte er nur sehr langsam fahren, und musste an der S-Bahn-Haltestelle Kreuzstraße zwanzig Minuten auf einen Gegenzug warten, der sich im Schritttempo an uns vorbei pirschte…
… Gegen halb Eins – nach zweieinhalbstündiger Reise für eine Distanz von ca. 60 Kilometern – war endlich der Münchner Hauptbahnhof erreicht. Eine Dame meines Alters, die mit mir den Railjet geentert hatte, erzählte mir vor Wut bebend, dass sie gerade den Anruf einer Bekannten erhalten hätte: Nach über einer Stunde wäre in Rosenheim endlich ein Ersatzbus eingetroffen – ein einziger Bus für Hunderte Passagiere. Obwohl die Menschen sich zusammenpferchten wie die Ölsardinen, hätten viele zurückbleiben müssen. Der Bus sei bis Ostermünchen gefahren. Auf die Frage, wann denn nun ein Zug Richtung München kommen würde, hätte der Busfahrer mit den Schultern gezuckt und recht unwirsch geantwortet, dass er das nicht wissen würde. Jetzt, nach halb ein Uhr nachts, sei noch immer kein Meridian nach München in Sicht, sie würde nun zu trampen versuchen, da sie keine Lust darauf hätte, womöglich die ganze Nacht in einem winzig kleinen und zugigen Wartehäuschen in der südbayerischen Provinz zu verbringen…
… Ich bin für Umweltschutz. Aber nach diesem Erlebnis und dem Übermaß an Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit des Schienenverkehrs, welches ich in einem gerüttelt Maß erleben muss, seitdem ich häufig die Bahn nutze, kann ich jeden verstehen, der lieber mit dem Auto fährt. Wenn ich das Geld hätte, um mir einen behindertengerecht umgebauten Kleinwagen leisten zu können, dann würde ich mir auf der Stelle so ein Gefährt zulegen…
… „Ich bin mir sicher, dass sich sehr Viele beschweren werden.“, meinte meine Mitfahrerin Samstag Nacht abschließend. „Nutzen wird das nichts.“, ewiderte ich. „Beschweren kann man sich bei diesem Verein, bis die Hölle einfriert. Ändern wird sich dadurch nicht das Geringste. Ich habe seit langem schon den Verdacht, dass man bei der Bahn Reklamationen ungelesen einfach in die Tonne tritt.“ Auf meine beiden Beschwerden, die ich vor etwa vier Wochen an die Deutsche Bahn gerichtet hatte, habe ich übrigens bislang keine Antwort erhalten…