… Zu Beginn der industriellen Revolution Mitte des 18. Jahrhunderts wurde in England ein einzigartiges Netz künstlicher Wasserwege geschaffen, um den Transport von Gütern und Waren innerhalb des Landes zu erleichtern. Die großenteils noch während der Römerzeit entstandenen Straßen waren ihres schlechten Zustands wegen dafür ungeeignet. Da der damaligen technischen Möglichkeiten wegen die Kanäle recht schmal waren, und auch nur eine geringe Tiefe besaßen, wurden die Narrowboats erfunden, Leichter, die eine Breite von lediglich 2,20 Metern hatten, jedoch bis zu 22 Metern Länge erreichen konnten. Mithilfe von Pferden wurden diese mit oft tonnenschweren Lasten beladenen Kähne auf beidseitig verlaufenden Treidelpfaden über die Wasserwege gezogen, innerhalb der Tunnels, die zumeist sehr niedrig waren, bewegte man sie mit Manneskraft, entweder zog man sie an Ketten voran, die in die Wände eingelassen waren, oder die Mannschaft legte sich rücklings auf das Dach und „lief“ quasi kopfunter über die Tunneldecke…
… Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte der Niedergang der englischen Kanalschifffahrt, viele der oft sehr malerisch mit Blumenmotiven und kunstvollen Schriftzügen gestalteten Narrowboats wurden verschrottet oder verfielen. Bis zu Beginn der achtziger Jahre ein Roman eines englischen Autors wiederveröffentlicht wurde, der eine romantische Hochzeitsreise an Bord eines solchen Schiffes schildert. Seitdem erfreuen sich England-Reisen mit dieser speziellen Art von Leichtern zunehmender Beliebtheit. Nicht nur der Neubau von Narrowboats nahm einen erfreulichen Aufschwung, auch etliche der mittlerweile still gelegten und versandeten Wasserwege wurden rekonstruiert und wieder für den Verkehr freigegeben…
… Und auch das Wohnen auf auf dem Wasser erlebt seit einigen Jahren aufgrund stetig steigender und bisweilen horrender Mieten und Preisen für Eigentumswohnungen bzw. Häusern eine beachtliche Renaissance. Narrowboats sind als alternative Unterkunft besonders bei jungen Leuten beliebt. Man benötigt eine Bootslizenz, die je nach Größe des Gefährts pro Jahr zwischen 500 und 1.000 Pfund kostet. Damit kann man zwei Wochen lang einen Liegeplatz nutzen, muss dann allerdings zu einem anderen wechseln. Interessant, wenn man ungebunden ist, eher weniger vorteilhaft, wenn man einen festen Job oder/und Familie hat. Da empfiehlt sich ein fester Standort. In dem Fall muss man zusätzlich zu einer Liegegebühr die Gemeindesteuer berappen, allerdings den niedrigsten Satz…
… Für ein gebrauchtes Narrowboat muss man in etwa 30.000 Pfund hinblättern (und dann womöglich noch ein hübsches Sümmchen für Restaurierungen obendrauf), ein Neubau kostet ca. zehn Mal so viel. Instandhaltungen, Gebühren für den Liegeplatz, für Strom, Internet, Versicherung, die jährliche Lizenz und die Entsorgung der Abwässer durch das sogenannte Loo Boat im Wert von ungefähr 3.000 bis 5.000 Pfund kommen noch dazu. Das Einrichten eines Narrowboats ist wegen der maximalen Breite von 2,20 Metern nicht ganz einfach, der Stauraum aufgrund des geringen Tiefgangs doch recht begrenzt. Zudem kann es im Sommer unter Deck ziemlich heiß und an harten Wintertagen recht kalt werden…
… Die Vorteile des Lebens auf dem Wasser sind der starke Gemeinschaftsgeist der Narrowboat Community, die Nähe zur Natur beiderseits der Kanäle, man kann trotz der anfallenden Kosten inmitten einer Metropole wie London zu einem Bruchteil der aktuellen Mietpreise auch mit einem nicht exorbitant hohen Gehalt gut zurecht kommen, die Steuersätze sind niedrig, und man erfährt ein Gefühl von Freiheit, Abenteuer und Bohème-Leben. Und wenn einem die Nachbarschaft nicht mehr zusagt, lichtet man den Anker und tuckert davon… 😉
… Beiderseits des Regent’s Canals gibt es mehrere Anlegestellen, eine der größten dürfte Lisson Grove Moorings im Schatten eines Kraftwerks unweit Lord’s Cricket Ground sein. Als die Gardenia langsam an den schätzungsweise zwei Dutzend vor Anker liegenden malerischen Narrowboats vorbei tuckerte, keimte in mir die Sehnsucht, diese Art von Leben auch einmal auszuprobieren…
… Das berühmte schwimmende Puppentheater von Little Venice, ein umgebauter Lastkahn mit ca. 50 Sitzplätzen. Schirmherr ist kein Geringerer als Michael Palin, seines Zeichens Schauspieler, Komiker, Autor, Sänger und ehemaliges Mitglied der legendären Monty Python. Bis Mitte Juni liegt es hier noch vor Anker, dann geht es auf Tour kreuz und quer durch England, anschließend gastiert das Ensemble bis Ende des Sommers in Richmond…
… Die bunte, phantasievolle und die Phantasie und Sehnsucht auch anregende, alte, neue, verrückt anmutende, abenteuerliche Vielfalt an Narrowboats in Lisson Grove Moorings am Regent’s Canal…
… Die Mathilda – ein wahres Prachtstück. Sie soll im Besitz eines sehr namhaften englischen Schauspielers sein…
… Demnächst geht es wieder zurück nach Camden Town…
… Habt einen schönen und möglichst unbeschwerten Tag!…
