… Jedesmal, wenn ich Freitag mittags langsam mit dem „Hackenporsche“ Richtung Alter Nördlicher Friedhof schlendere – was in der Regel so zwei bis drei Mal im Monat der Fall ist – bin ich neugierig auf das, was man in der kleinen Zweigstelle der Münchner Tafel ausgeben wird. Denn die Lebensmittelspenden ändern sich quasi von Woche zu Woche. Nur eines ist sicher: An Kartoffeln, Karotten und Äpfeln herrscht so gut wie nie Mangel… 😉
… Da kann man natürlich küchentechnisch kaum vorplanen, wie man das ja bei einem normalen Einkauf im Supermarkt so zu halten pflegt. Denn das Angebot und auch die ausgegebenen Mengen variieren permanent…
… Hier in München werden ausschließlich Lebensmittel an den Tafel-Dependancen ausgegeben. Vieles davon ist in der Regel nicht mehr taufrisch bzw. hart am Mindesthaltbarkeitsdatum. Deshalb lernt man als Tafelgast sehr schnell zwei Dinge: Zum einen so zügig als möglich die Spenden zu verarbeiten bzw. einzufrieren, und zum anderen: Mindesthaltbarkeitsdatum heisst ganz ohne Zweifel „Haltbar bis“ und nicht „Tödlich ab“. 😉
… Man hat mir schon öfters erzählt, dass einige von uns Tafelgästen derb beschimpft worden sind: „Ihr unverschämten Sozialschmarotzer fresst uns Steuerzahlern die Haare vom Kopf!“ Mir selber ist das zum Glück noch nicht widerfahren, ich glaube, ich würde ordentlich zornig werden, würde man mir das an den Kopf werfen…
… Kein/e Steuerzahler/in muss für die bundesweit 947 Tafeln auch nur einen einzige Cent berappen. Die Tafel Deutschland e. V. finanziert sich fast ausschließlich über Spendengelder. Zu den Spendern gehören nebst regionalen Einzelhändlern, Bäckereien, Metzgereien, Kfz-Betriebe, Druckereien und Banken auch große Supermarktketten, Lebensmittelproduzenten, Automobilhersteller, Mobilfunkanbieter und Werbeagenturen. Hier in München zählen auch einige weltberühmte Größen des FC Bayern wie Paul Breitner, Jerome Boateng und Manuel Neuer zu den Wohltätern – sie unterstützen die Tafel nicht nur monetär, sondern werben auch neue Spender an, und arbeiten des Öfteren beim Sortieren und Verteilen der Lebensmittel mit…
… Zwar fordert der Vorsitzende der Tafel Deutschland e. V., Jochen Brühl, staatliche Hilfe an, ausschließlich für den logistischen Bereich, d. h. für die Instandhaltung des Fuhrparks, für Lager- und Kühlhallen. Sehr viele Ehrenamtliche – und bei den Tafeln sind beinahe ausschließlich Ehrenamtliche tätig! – stehen einer finanziellen Beteiligung des Bundes allerdings äußerst kritisch gegenüber. Eine Mitfinanzierung der 1993 gegründeten NGO durch staatliche Hilfen würde bedeuten, dass der Staat in die Organisation eingreifen könne. Das sollte unter allen Umständen vermieden werden…
… Ca. 19 Millionen Tonnen Lebensmittel landen alljährlich im Müll, 43 % dieser schier unvorstellbaren Menge wird von Privatpersonen entsorgt, 57 % stammen aus dem Großhandel. Etwa die Hälfte davon ist noch genießbar, es handelt sich dabei um Retouren, Waren mit kleinen Schönheitsfehlern, Überproduktionen, sowie Erzeugnisse mit nahendem Mindesthaltbarkeitsdatum. Die ehrenamtlichen HelferInnen retten zumindest einen Teil dieser Lebensmittel und geben diese an Menschen, die auf staatliche Transferleistungen angewiesen sind, wie Langzeitarbeitslose, GeringverdienerInnen und SeniorenInnen mit niedrigen Renten. Die Zahl der bedürftigen Tafelgäste steigt seit Jahren schon kontinuierlich an…
… Die Bedürftigkeit muss schriftlich nachgewiesen werden. Hier in München führt die Tafel für jede der mittlerweile 27 Verteilstellen Gästelisten. Man bekommt auf dieser eine feste Nummer, meine ist die 28. 😉 An jedem Spendentag wird mit einer anderen Nummer begonnen, in Zwanzigerschritten wechselnd – 1, 21, 41, 61 usw. -, damit in regelmäßigem Rhythmus so gut wie jede/r mal vorne dran ist. Das bedeutet, dass man an diesen Tagen mehr Glück bei der Zuteilung haben kann. Natürlich darf man sich nicht nach Gusto an den Spenden bedienen, wie in einem Supermarkt, man bekommt sein Kontingent zugewiesen…
… Dass viele der Tafelgäste notorische RaucherInnen und TrinkerInnen wären, wie neulich mal in einem Kommentar zu einem anderen Blogbeitrag unterstellt worden ist, kann ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen nicht bestätigen. In meiner ca. 42 Jahre währenden beruflichen Laufbahn im Dienstleistungsgewerbe – Gastronomie und Schutz- und Sicherheitsdienst – habe ich recht gut gelernt, Mitmenschen einzuschätzen. Und aufgrund privater Erfahrungen, ich war einige Jahre lang mit einem Alkoholiker liiert, kann ich alkoholkranke Personen fast auf Anhieb erkennen. Ich bin mir daher sehr sicher, dass sich zumindest in unserer Tafelgruppe von 120 Gästen kaum mehr als eine Handvoll TrinkerInnen befindet. Wer Vorurteile gegenüber jenen Menschen hegt, welche die segensreiche Hilfe der Tafeln in Anspruch nehmen, sollte sich doch mal ausgiebig mit ihnen unterhalten. Mich zumindest machen die Gespräche mit den Mitgästen häufig sehr betroffen…
… Dass die Tafelgäste ausschließlich „unteren sozialen Schichten“ entstammen, ist aus meiner Sicht ebenfalls nicht zutreffend. Unter meinen Mitgästen befinden sich u. a. ein junger und sehr intelligenter ehemaliger Unternehmensberater, der aufgrund schwerer Depressionen eine glänzende berufliche Zukunft verloren hat, eine Ex-Bankangestellte, eine frühere Ingenieurin, die lange Jahre in Südafrika tätig war, ich kenne einige alleinerziehende Mütter und NiedriglohnempfängerInnen. Es geht während der Wartezeiten gesittet zu, ich habe noch nie beobachtet, dass es zu verbalen oder gewalttätigen Ausfällen kam – von unserem Tafelleiter einmal abgesehen, der sich sehr gerne ab und an laut brüllend aufzuführen pflegt wie ein Drill-Seargent. Eines ist allerdings leider nicht von der Hand zu weisen, wie ich bereits in zahlreichen Diskussionen erfahren musste: Tafeln sind eine Brutstätte rechten Gedankenguts. Geschuldet ist dies dem nicht nur meiner Meinung nach immer weitmaschiger werdenden Sozialen Netz. Da muss von politischer Seite aus höchst dringend nachgebessert werden…
… Mit Tafelspenden lassen sich übrigens gesunde und auch schmackhafte Gerichte zubereiten, wie z. B. dieser Quarkauflauf, der mindestens genau so gut gemundet hat, wie er ausgesehen hat… 😉
… Informative und interessante Links zu den Tafeln in Deutschland:
https://www.tafel.de/fileadmin/media/2020-08-12_Zahlen_und_Fakten.pdf