… Jetzt ist die schönste Zeit zum Märchen erzählen. Vielleicht das vom Wolf und dem Rotkäppchen. Wobei die beiden als Großmütter verkleideten Wölfe auf dem Weihnachtsmarkt von Schloss Kaltenberg im Jahr 2019 kein bisschen schrecklich und Furcht einflößend wirkten… 😉
Erzählungen
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… während langer, finsterer Herbst- und Winterabende ist das Kartenspiel Watt’n. Mein Vater und sein jüngerer Bruder haben’s mir beigebracht, als ich so zehn Jahre alt gewesen sein mochte…
… Es wurde – und wird hoffentlich immer noch! – besonders in ländlichen, bayerischen Wirtschaften und Gasthäusern an den Stammtischen ausgesprochen gerne – hm! – zelebriert, kann man schon fast sagen. Eine Schar Mannsbilder beim Watt’n und Kiebitzer (in die Karten Schauende) können einen ganzen Saal unterhalten, es wird geschauspielert, diskutiert, geschrieen, überboten, vor Ärger auf den Tisch gehauen, die Haare gerauft, es ist schlicht und ergreifend eine wahre Gaudi…
Das Spiel…
… ist das Altbayerische Kartenspiel, welches auch zum Schafkopfen verwendet wird, allerdings ohne die Sechsen…
…Die Farben (von links nach rechts): Eichel, Schelle, Gras und Herz…
… Am interessantesten und lustigsten ist Watt’n, wenn es zu Viert gespielt wird. Die beiden schräg gegenüber Sitzenden helfen jeweils zusammen…
… Dies sind die drei höchsten Trümpfe: Der Herzkönig, Max genannt, er sticht alles ohne Ausnahmen, der Schell-Siebener, der heißt Schelli bzw. Belli und sticht alles außer den Max, und der Eichel-Siebener, man bezeichnet ihn als Spitz oder Soacher, darf alle Trümpfe außer Max und Belli stechen…
… Es werden fünf Karten pro Spieler ausgeteilt, der linkerhand neben dem Geber platzierte bestimmt danach den Trumpf-Schlag, also As, König, Ober, Unter, Zehner etc., der Vordermann die Trumpffarbe…
… Hier lautet die Ansage des Schlags eindeutig As. Zwei „Kritische“, also Haupttrümpfe – Spitz und Belli – noch dazu, und einen Partner mit einem halbwegs guten Blatt auf der Hand, da hat man gute Chancen, dieses Spiel für sich zu entscheiden…
… Nun bestimmt der links oder gegenübersitzende Spieler die Trumpffarbe, quasi für die Gegenpartei. Und da gibt es keinen Zweifel, Eichel ist’s, man hat mit dem Gras-As insgesamt vier Trümpfe auf der Hand, zwar keinen „Kritischen“, aber verloren ist da noch gar nie nix!…
…Außerdem, wer weiß, was der Partner so alles zu bieten hat. Und jetzt wird’s drollig, weil sich nämlich die Spieler untereinander über die Stärke ihrer Karten informieren. Lautlos, mit Grimassen und Gesten. Ein Kussmund ist das Zeichen für den Max. Rechts zwinkern bedeutet Belli, links Spitz. Zucken mit dem rechten Zeigefinger: Man kann mit einem guten Trumpf aufwarten. Zucken mit dem Mittelfinger: Na ja, net schlecht, aber halt a nix Überwältigendes. Zucken mit dem kleinen Finger: Bloß a ganz a kloans Trümpferl. Augen gen Himmel verdrehen meint „Plafond“, man hat nix, aber auch gar nix Brauchbares auf der Hand…
… Eine Spiel zählt zwei Punkte, zwölf Punkte zählt eine Partie insgesamt, die Verlierer erhalten das sogenannte Pummerl. Beim dritten Stich wächst die Hochspannung. Welches Duo geht als Sieger hervor? Wenn eine „Mannschaft“ gut zusammen agiert und sicher ist, dann kann sie „ausschaff’n“, das heißt, die Gegner zur Aufgabe auffordern: „Gemma!“ oder „Schleicht’s euch!“. Haben die Angesprochenen nur mehr wenig zu bieten, dann werden sie daraufhin lamentierend, wehklagend oder fluchend wie die Fuhrknechte ihre Karten auf den Tisch werfen. Wenn sie allerdings davon überzeugt sind, noch so gut bestückt zu sein, um das Spiel doch für sich entscheiden zu können, dann entgegnen sie laut und barsch die Punktzahl steigernd: „Drei!“ – „Vier!“ – „Fünf!“ Oh, oh! Der Gegner ist eine harte Nuss! Man kann sich hoch steigern, bis zwölf Punkte erreicht sind, dann heißt’s : „Ausg’schafft is‘!“ Und es folgt der Augenblick der Wahrheit…
… Vor Beginn der munteren Runde ist bereits entschieden worden, wie viele Pummerl insgesamt ausgetragen werden. Und was ein solches Pummerl wert ist, denn a bisserl a Belohnung soll’s nach so viel Einsatz von Hirn, Lautstärke, schauspielerischen Talenten, auch Muskelkraft schon geben! Es wird um Geld genau so gern gespielt wie um einige Runden Bier oder Schnaps. Ich meinerseits habe vor vielen Jahren einmal mit einem Ex-Chef als Partner um Frankenwein gewattet, pro Pummerl ein Bocksbeutel. Und wir hatten eine dermaßen starke Gewinnsträhne, dass ich danach die Lokalität auf allen Vieren verlassen musste…
Ich hoffe sehr, dass Watt’n, diese prächtige, zünftige, lebensvolle Gaudi, trotz hochmodernster elektronischer Spielereien auch heutzutage noch in den bayerischen Wirtschaften weiterhin gebührend gewürdigt wird…
… Nach einer ausgedehnten und sehr feucht-fröhlichen Freiflug-Feier am Abend zuvor, die wieder einmal bis in die frühen Morgenstunden gedauert hatte, durfte ich den ganzen langen Tag über lediglich die Schulmaschinen mit den sogenannten Lepos, den Rückholfahrzeugen, von der Landebahn zum Startplatz bugsieren und dort durch zu checken. Nicht ein einziges Mal hatte mich mein Fluglehrer Max aufgefordert, mit ihm eine Übungsrunde zu drehen, obwohl er doch wissen musste, dass ich so danach lechzte, in den makellosen Sommerhimmel aufzusteigen…
… Lustlos die Schultern hängen lassend überprüfte ich zusammen mit einem quirligen und lustigen Mitschüler die Funktionen der ASK 13, einem schon etwas betagten, orangefarbenen Doppelsitzer. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Max quer über den üppigen, sommerlich grünen Rasen des Flugfeldes schlenderte, ich blickte bitterlich enttäuscht gar nicht mehr auf, als er näher kam. Er verzog das wettergegerbte, markante Gesicht zu seinem typischen lausbubenhaften Grinsen und klopfte mir mit einem Zwinkern seiner tiefblauen Augen auf die Schulter. „Marsch, hol‘ dir deine Gewichte. Wenn du in einer Minute noch nicht im Cockpit sitzt, ziehe ich dir die Ohren lang!“
… Als „leichtes Mädchen“ – ich wog damals grade mal fünfundfünfzig Kilo auf gut ein Meter siebzig Körpergröße – musste ich bei jedem Flug schwere Bleiplatten mitnehmen, damit sich die Maschine richtig trimmen ließ. Zusammen mit meinem Kumpel zog ich die ASK 13 in Startposition, wuchtete das Blei auf den Vordersitz, zwängte mich in die enge Kanzel und machte einen letzten Check…
… Das Rückholfahrzeug mit dem zweitausend Meter langen Stahlseil der Motorwinde donnerte in einer Staubwolke näher. Max stieg hinter mir ein. Ich gurtete mich an und schloss die Plexiglaskuppel der Kabine, das Windenseil wurde in die Schwerkraftkupplung an der Unterseite des Segelfliegers eingeklinkt. Der Starthelfer hob die linke Tragfläche, um uns waagrecht zu stellen…
… Max winkte ab, öffnete das Cockpit, schlängelte sich aus dem Sitz und versetzte mir einen kleinen Knuff auf die Wange. „Hals- und Beinbruch, Mädel.“ Ich schluckte verdutzt, hatte aber keine Gelegenheit, mir Gedanken zu machen, das Kabinendach wurde wieder geschlossen, der Startposten streckte bereits den Arm in die Höhe. „Fertig!“ Er senkte die Linke waagrecht. „Seil straff!“ Es gab einen leichten Ruck, als die Trosse von der Winde gespannt wurde. „Start frei!“…
… Kurz schrammte der Bauch des Flugzeugs über die Betonpiste. Dann befreite es sich vom Boden. Ich zog den Steuerknüppel an. Beinahe senkrecht ging es mit gut fünfzehn Metern in der Sekunde himmelwärts. Der Höhenmesser kreiselte. Leichter Seitenwind von Backbord, ich hielt sachte mit dem Ruder dagegen, damit ich nicht abdriftete…
… Der Höhenmesser zeigte vierhundertachtzig Meter über Grund. Die ASK 13 lag nun waagerecht. Ein metallisches Klicken, das Zugseil löste sich. Und nun verspürte ich einen Anflug von Panik. Hilfe! Ich bin völlig allein hier oben! Kalter Schweiß machte meine Handflächen klamm und feucht. Krampfhaft umklammerte ich den Steuerknüppel und starrte wie ein verschrecktes Kaninchen stur geradeaus. In jenen Sekunden bereute ich es ungemein, mich jemals in ein Segelflugzeug gesetzt zu haben…
… Max meldete sich mit ganz ruhiger Stimme: „Dreizehnachtundvierzig (die Kennziffer der Schulmaschine), der Start war gut. Beim nächsten Mal ziehst das Höhenruder aber nicht ganz so abrupt an. – Na, wie fühlst‘ dich?“ Ich brachte nur ein heiseres Krächzehn zustande. „Das sieht nach einem schönen Flug aus, Mädel.“ Ah, seine Worte waren wie Balsam! „Du fliegst jetzt bis zur Achenbrücke, wie bei jeder Übungsrunde. Und wenn du über ihr bist, dann machst‘ eine Backbordkurve um neunzig Grad. Verstanden?“ – „Okay.“…
… Ich fixierte die winzig kleine Brücke unter mir, gab sehr gefühlvoll Seiten- und Querruder, stützte etwas mit dem Höhenruder und glitt in einen perfekt gezirkelten Linksbogen. „Fein. Jetzt fliegst‘ geradeaus zur Gärtnerei, und machst dann eine zweite Neunzig-Grad-Kurve nach Backbord. Alles klar?“ – „Yepp!“ – „Und – wie fühlst‘ dich jetzt?“ Ich holte tief Luft und der große Knoten aus Furcht, Überraschung und Unsicherheit, der sich in meinen Eingeweiden zusammengeballt hatte, löste sich auf und wich der Euphorie. „Großartig geht’s mir!“…
… Hurra, ich fliege, ich schwebe, allein! Ach, wie inbrünstig hatte ich während all der vergangenen Wochen, die mit Unterricht, Platzrunden, Feiern, Hingabe, Leidenschaft randvoll angefüllt gewesen waren, dieses wundervolle Erlebnis herbei gesehnt!…
… Viel zu schnell kam die Gärtnerei in Sicht. Nun war bereits die Hälfte der Übungsrunde vorbei. „Dreizehnachtundvierzig, jetzt fliegst‘ bis zu unserem Grillplatz, und dort kreist du dann deine Höhe ab, bis auf zweihundert Meter. – Was zeigt dein Höhenmesser?“ – „Vierhundertachtzig – und steigend!“ Meine Begeisterung kannte keine Grenzen mehr – mein Jungfernflug – und ich hatte Thermik!…
… Sanft ging’s aufwärts. Ein kurzes Ruckeln, als eine kleine Turbulenz mich erfasste. Es störte mich nicht in meiner Euphorie. Ich verschmolz förmlich mit dem Flugzeug, es waren nicht länger Tragflächen aus Kunststoff und Holz, es waren meine Schwingen, wie ein Adler kam ich mir vor, auf dem Rücken des Windes reitend…
… Wie winzig klein doch die Welt da unten wirkte! Und was für ein Anblick sich mir darbot! Zwischen den beiden Hügelrücken rechts von mir schimmerte die spiegelglatte Fläche des Chiemsee schiefergrau im Licht der tief stehenden Sonne. Zum Greifen nahe schienen die Berggipfel ringsum – die Schroffen und Zacken der Kampenwand, der langgezogene Grat des Hochgern, die Kegel des Geigelsteins, der rundliche Buckel des Hausbergs. Und darüber die unendliche Weite des makellos blauen Sommerhimmels. Könnte ich doch nur die Nase meiner ASK 13 hoch ziehen, bis das tiefe, seidige, verlockende Blau dem unergründlichen Schwarz des Alls weichen und die Sterne mich grüßen würden. Könnte ich doch nur ewig so schweben!…
… Bei fünfhundertzehn Metern blieb der Höhenmesser stehen, vorbei war’s mit der Thermik. Ausgelassen Reinhard Meys wunderschönen Fliegersong trällernd zirkelte ich eine saubere Acht nach der anderen. Gemächlich ging’s tiefer…
… „Dreizehnachtundvierzig – wie schaut’s aus?“ – „Bestens. Bin auf Zweihundert.“ – „Gut. Jetzt fliegst du zum Steinbruch, und machst dann eine Backbordwende um hundertsiebzig Grad.“…
… Nur wenig später lag die Landebahn vor mir. Meine Jubelstimmung verflüchtigte sich, denn Start und Landung sind die schwierigsten Manöver beim Fliegen. Ich umklammerte den Steuerknüppel fester. Über dem Steinbruch herrschten Seitenwinde und böige Strudel und rüttelten mich unsanft durch. Ich lenkte energisch dagegen. Jetzt ja nicht die Nerven verlieren!…
… „Fahr‘ die Sturzflugbremsen aus.“ Ich betätigte den Hebel für die Landeklappen und senkte die Nase der Maschine leicht. „Wie schnell bist du?“ – „Hundert KmH.“ – „Okay.“…
… Das darf nicht wahr sein, ich komm‘ zu kurz! Ohne Zögern fuhr ich die Klappen wieder ein. „Was machst du da?“ – „Ich bin zu knapp dran.“…
… Ich deutete Max‘ Schweigen als Zusimmung. Einige Augenblicke später setzte ich erneut die Sturzflugbremsen ein, einem Gefühl folgend, das aus dem Hosenboden stammte, einem der wichtigsten Organe beim Segelfliegen. Ich sah den Grasboden der Landepiste auf mich zu rasen. Als ich mich in gleicher Höhe mit dem Flachdach des linkerhand liegenden Hangars befand – etwa drei Meter über der Erde – zog ich den Steuerknüppel ganz sanft an. Das Flugzeug wurde langsamer, reckte den Bug, nur wenig später setzte ich sacht auf und rutschte noch etwas auf dem dichten Rasen dahin. Ich war heil gelandet…
… „Meinen herzlichen Glückwunsch zum Jungfernflug, Mädel! Hast dich wacker gehalten. Ich bin stolz auf dich!“…
… Ich tat einen triumphierenden Jubelschrei, schnallte mich los und stieg aus. Liebkosend fuhr ich mit der Rechten über die schimmernde Tragfläche, dann reckte ich mich und blickte zurück in den Himmel, jeder Zoll eine stolze Fliegerin…
… Natürlich folgte am Abend eine höchst ausgelassene und mehr als feucht-fröhliche Feier an unserem Grill- und Lagerfeuerplatz. Und ich bin jetzt beim Schreiben wieder am Steuerknüppel der guten alten ASK 13 gesessen – der erste Alleinflug bleibt auf ewig unvergessen…





… Wenn man sich im Rentenstand befindet, kann man schon auch mal auf krause Ideen kommen. So fasste ich vor einer Weile den festen Entschluss, meine Bude mal ordentlich zu entrümpeln und auf Vordermann zu bringen. Allerdings als eine Art Langzeitprojekt, immer schön langsam und gemütlich, ja keinen Stress aufkommen lassen! Deshalb begann ich vor ein paar Tagen mit dem gemächlichen Sichten, Sortieren und Ausmisten alter Akten. Und dabei geriet mir unversehens ein Foto in die Hände, das mich vor ungefähr siebenunddreißig Jahren zeigt, als kühne „Fliegerbraut“ an der Segelflugschule Unterwössen…
… In meinen jungen Jahren hatte mein Leben so manch wilden Haken geschlagen. Nach einer gescheiterten Beziehung und beileibe nicht dem ersten – und auch nicht dem letzten – Zerwürfnis mit meinen Eltern lebte ich einen Sommer lang quasi als Obdachlose, meine gesamte Habe befand sich in meinem kleinen roten Fiat 128. Dort, auf der sehr schmalen und unbequemen Rückbank, schlief ich auch gelegentlich. Oder aber heimlich in einer der verschwiegenen, selten genutzten Unterkünfte für Fluglehrer hinter dem Hangar der Flugschule – der äußerst gutmütige Hausmeister und Monteur hatte mir, nachdem er mich ein wenig ausgeforscht hatte, verstohlen einen Generalschlüssel zugesteckt. Oder aber bei einer meiner „heissen“ Affären, die ich in jener Zeit laufen hatte. War ich bei Kasse – ich hatte einen Gelegenheitsjob als Aushilfskellnerin in Reit im Winkl, glänzte aber nicht unbedingt durch Zuverlässigkeit – dann nächtigte ich in einem Unterwössener Hotel…
… Trotz dieser eher widrigen Umstände war jener Sommer einer der schönsten meines Lebens, eine wilde, bunte, verrückte, atemberaubend spannende Zeit. Ich war regelrecht süchtig nach dem Segelfliegen, nach diesem rauschähnlichen, befreienden, verzückenden Gefühl, wenn die häufig schon recht betagten, größtenteils aus Holz und lackiertem Tuch bestehenden Maschinen mit ihren endlos langen Tragflächen sich am Startplatz vom Boden lösten, gezogen vom Seil der einige hundert Meter entfernt stehenden Motorwinde. Kurz schabte der Bauch des Fliegers noch am Asphalt, und dann stieg man steil in den klaren, sich über einem wölbenden Himmel hoch, so schnell, dass es in den Ohren knackte, und der Blick glitt immer wieder von den Instrumenten im Cockpit in das unfassbar lockende, makellose Blau des Firmaments. Und oben dann, wenn sich der Haken des Zugseils gelöst hatte – was für eine Ruhe, was für ein Frieden, was für ein Glück! Die einzigen Geräusche waren das Säuseln und Rauschen der sommerwarmen Luft, die man mit den Tragflächen durchschnitt…
… Jeden Abend gab es eine Party auf dem großen Feuerplatz inmitten einer Waldlichtung nahe des Flüsschens Tiroler Achen. Denn beinahe täglich flog sich ein/e Mitschüler/in frei, will heissen, bestand den ersten Alleinflug. Wir grillten, sangen, fachsimpelten, liebten intensiv, tranken noch intensiver, oft bis in die frühen Morgenstunden. Und dann schritten wir durch den duftenden Wald, der mit ungezählten, in der frühen Sonne wie Diamanten glitzerten Tautropfen geschmückt war, Richtung Hangar, wuschen uns an einem uralten, ramponierten Spülbecken die Nacht und den Alkohol aus dem Gesicht, rollten die großen Tore auf, und bugsierten die Maschinen ins Freie, um sie durchzuchecken…
… Wer zu tief ins Glas geschaut hatte, wurde von den Fluglehrern dazu verdonnert, am Steuer eines sogenannten Lepo, einem Rückholfahrzeug, in der Regel waren das aus dem Verkehr gezogene Schrottautos, die Flieger von der Landebahn zurück zum Startplatz zu ziehen. Bis dann – endlich, endlich! – am späten Nachmittag die vertraute, langgliedrige Gestalt des Lieblingsfluglehrers auf einen zuschlurfte und knurrte: „Mach‘ dich langsam fertig, Küken. Wir starten in einer halben Stunde mit der alten ASK 13.“…

… Und davon erzähle ich euch demnächst…
… Das Foto unten hat allerdings nichts mit All Hallows Eve zu tun, ursprünglich ein keltisches Fest, an dem der Toten und des Totengottes Samhain gedacht worden ist. Ich habe es vor gut zwanzig Jahren während eines Bummels durch Manhattan aufgenommen, genauer gesagt durch TriBeCa – Triangle below Canal Street – dem damals angesagtesten Viertel New Yorks. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass meine Freunde und ich – wir hatten uns kurz nach Heilig Drei König im Big Apple getroffen – vom Battery Sea Park an der Spitze Manhattans zu Fuß bis Central Park West, bis zur Grenze zu Harlem, hochspaziert sind, das ist schon eine beachtliche Strecke. Damals bin ich noch sehr fit und mobil gewesen…
Die mit Kostümen ausstaffierten Skelette befanden am Eingang einer Spelunke namens Jekyll and Hyde, zu welcher der Eintritt unter Einundzwanzig verboten war. Natürlich zwickte uns die Neugierde, und wir wollten dem Etablissement einen Besuch abstatten, es öffnete allerdings erst am späten Abend, und da waren wir von unserer Tour dann so ermattet, dass wir in unseren Hotelzimmern nach einem üppigen Dinner lieber alle Viere von uns streckten als noch einmal außer Haus zu gehen… 😉
… die man nicht unbedingt in den Geschichtsbüchern findet, sind das Salz in der Suppe eines/einer jeden guten MuseumsführersIn. Gestern, als ich endlich einmal wieder im wunderschönen Antiquarium, dem größten Renaissance-Saal nördlich der Alpen, meinen Dienst versehen durfte, bin ich am Nachmittag zu meiner großen Freude einer Lieblingsführerin begegnet. Und bei der Gelegenheit habe ich natürlich ganz aufmerksam die Ohren gespitzt… 😉
… Als der bayerische Herzog Wilhelm V., von meiner Lieblingsführerin salopp Willi Fünf genannt, 1568 Renata von Lothringen ehelichte, wurde das mit enorm großem Aufwand drei Wochen lang nicht nur in der Residenz, sondern auch auf dem damaligen Schrannenplatz – heute bekannt als Münchner Marienplatz – gefeiert. Aus den Brunnen sprudelte tagelang Wein, Bier ist damals noch nicht das bayerische Nationalgetränk gewesen, und es wurden insgesamt ca. 500 gebratene Ochsen vertilgt – zum Vergleich: auf dem achtzehntägigen Oktoberfest 2017 waren es grade mal 146 gewesen. Würde man die Hochzeitsfeierlichkeiten von Willi Fünf und seiner Renata in der heutigen Zeit detailgetreu noch einmal veranstalten, würde man die stattliche Summe von 35 Millionen Euro hinblättern müssen! 1597 dankte der an Verschwendungssucht leidende Herzog ab – er hatte unter anderem einem Alchimisten, der ihm versprochen hatte, aus Blei Gold herstellen zu können, ein geradezu irrwitziges Honorar bezahlt – und überließ die Regierungsgeschäfte seinem Sohn Maximilian I., der danach 54 Jahre lang die Geschicke Bayerns lenkte…
… An die Heirat Herzog Wilhelms V. mit Renata von Lothringen erinnert tagtäglich mehrmals das Glockenspiel im Turm des Neuen Münchner Rathauses…
… Im August 1945, nachdem man notdürftig die zerbombte Residenz, von der großenteils nur mehr die Grundmauern standen, vom Schutt und den Trümmern befreit hatte, entschloß sich die Stadtverwaltung, im Grottenhof ein Konzert zu veranstalten, als Zeichen der Hoffnung auf eine von Frieden und Völkerverständigung geprägte Zukunft. Das Bayerische Staatsorchester würde Werke von Schumann aufführen. In den in der Stadt verteilten Flugblättern mit der Einladung stand auch die Bitte geschrieben, man möge die benötigten Sitzgelegenheit selber mitbringen…
… Schon früh am Abend drängelten sich im Grottenhof die Menschen dicht an dicht, sie saßen auf Bierbänken, Klappstühlen, Schemeln, Barhockern etc. Den meisten, die diesem Konzert beiwohnten, ist jener Abend als unvergesslich schön und bewegend in Erinnerung verblieben. Nicht nur wegen der wundervollen musikalischen Darbietung, sondern in der Hauptsache deshalb, weil man sich endlich wieder unbeschwert unter freiem Himmel aufhalten konnte, ohne Angst vor dem nächsten Bombenangriff haben zu müssen…
… Inzwischen war es früher Abend, und mich plagte ein recht ausgeprägtes Hungergefühl. Nahe des Brückentors befindet sich das Hotel-Restaurant Goldener Hecht. Obwohl ich ansonsten mit der Wahl der Lokalität ausgesprochen mäkelig bin, fühlte ich mich magisch angezogen, und nahm ohne viel Federlesen an einem kleinen Tischchen draußen Platz…
… Die Bedienung war sehr freundlich, und bereits nach kurzem hatte ich das bestellte Essen, sowie ein Glaserl heimischen Weins dazu. Es dauerte nicht lange, und ich führte nicht nur mit den drei lebhaften und netten jungen Männern am Nebentisch eine angeregte Unterhaltung, sondern auch mit einer vierbeinigen Passantin… 😉
… „Hallo! Was isst’n du da? Hast a kloins Häppchen für mich übrig?“…
… „Ich esse Leberknödl mit Kartoffelbrei und Sauerkraut – sehr fein.“…
… „Bäh! Igitt! Da kannst mich gern habn! I mag a pochiertes Lachsfilet oder gedünstete Hühnerbrüstchen! Leberknödl – Pfui Teufel!“…
… Gestärkt setzte ich meinen Altstadtbummel fort. Langsam füllten sich die vielen Kneipen und Lokale mit Leben…
… Ich passierte erneut den Marktplatz an der „Kehrseite“ der Heilig Geist Kirche und kam auf den Kornmarkt, und wusste sofort, dass dieser zu meinen Heidelberger Lieblingsorten zählen wird. Unter einer Linde mit ausladendem Geäst ließ ich mich auf einer Bank nieder, und genoss lange Zeit die wunderschöne ruhige Stimmung, die Weite des Platzes, die stattlichen Gebäude und das hoch aufragende Schloss darüber…
… Allmählich trat ich wohl gestimmt und sehr dankbar für die vielen schönen Dinge, die ich hatte sehen und erleben dürfen, am wuchtigen Massiv der Universitätsbibliothek vorbei den Heimweg Richtung Hotelchen an…
… Stolpersteine vor dem Hotel Acor:…
… Wer bei uns im Haus etwas nicht mehr braucht, aber nicht wegschmeissen will, der stellt diese Dinge auf den Sims über dem Heizkörper im Eingangsbereich oder in die Nische daneben. Wer will, darf sich gerne gratis bedienen. Auf diese Weise habe ich schon einige gute Schnäppchen gemacht. Vor zwei Jahren etwa wollte jemand aus der Nachbarschaft eine recht betagte aber tadellos funktionierende Küchenmaschine loswerden. Ich fackelte nicht lange, und griff mir das Teil, obwohl ich Gemüse und Obst in der Regel per Hand zerkleinere, das ist weniger umständlich und erfordert auch weitaus weniger Reinigungsarbeiten danach. Aber diese Küchenmaschine hat etwas ganz Besonderes: Eine rotierende Scheibe, die, wenn man sie in die Rührschüssel setzt, vibrierend und ratternd Sahne binnen weniger als einer halben Minute stocksteif schlägt. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue! Auch ein formidabler, kaum abgenutzter, herrlich rückenfreundlicher Bürostuhl, sowie Teller, Gläser sowie Salatschüsselchen gingen mir bereits ins Netz. Und immer wieder Bücher – ein sehr umfangreicher Bildband über Leonardo da Vinci zum Beispiel. Oder ein durchaus spannend und gut geschriebener Science-Fiction-Roman eines unbekannten Autors, publiziert in einem winzigen No-Name-Verlag. Die Geschichte handelt von Anthropologen, die im dichtesten Dschungel Zentralafrikas ein kleines Dorf entdecken, in welchem eine Handvoll Neandertaler überlebt hat. Das Forscherteam entführt eine der Frauen und verfrachtet sie nach Amerika, wo sie in Labors unsägliches Leid und Grausamkeiten erdulden muss, bis eine der Anthropologen sich ein Herz fasst, und sie wieder zurück in die Heimat bringen lässt…
… Vor einigen Wochen schnappte ich mir zwei Büchlein, die so klein waren, dass sie bequem in die Innentasche meines Dienstjacketts passten – perfekt für die Arbeit, denn wir dürfen im Museum natürlich nicht lesen. Irgendwie muss man aber die Zeit bis zum Eintreffen der ersten Besucher/innen überbrücken – und das kann je nach Standort und Abschnitt über eine Stunde dauern. Die Verfasserin beider Romane heisst Rachel Joyce, eine Engländerin, die zuerst als Schauspielerin und danach als Hörspielautorin arbeitete. Mit ihrem 2012 erschienenen Erstling „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ erlangte sie ihren ersten weltweiten Erfolg. Bald darauf folgte die Fortsetzung „Das Geheimnis der Queenie Hennessy“…
… Es hat nur wenige Seiten gedauert, dann hatte ich mich in „Die unwahrscheinliche Pilgerreise…“ verliebt. Es hat mir beinahe körperliche Schmerzen bereitet, an jenem Morgen beim Eintreffen der ersten Touristen das Buch zuzuklappen und im Jackett zu verstauen. – Harold Fry ist ein unauffälliger, linkisch und schüchtern wirkender Mann Mitte Sechzig, der viele Jahre als Verwaltungsangestellter in einer Brauerei gearbeitet hatte, und vor kurzem in Rente gegangen war. Eines Tages erhält er die Benachrichtigung einer ehemaligen Kollegin – Queenie Hennessy – die einzige Person, zu der er je etwas wie tiefe Freundschaft empfunden hatte, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt sei und in einem Hospiz in Newcastle im nördlichsten Winkel Englands auf den Tod warten würde. Eigentlich will der völlig unsportliche Harold lediglich ein in knappen und dürren Worten abgefasstes Schreiben an Queenie, die er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, in den nächsten Briefkasten werfen – doch dann entschließt er sich spontan dazu, die ca. 1.000 km lange Strecke von Südengland bis Newcastle zu Fuß zu gehen. Siebenundachtzig Tage dauert sein Marsch der Hoffnung für seine einstige Kollegin und Freundin. Während seiner Wanderung stellt er sich zum ersten Mal seit langer Zeit einem entsetzlichen Schicksalsschlag, der vor langer Zeit sein Leben und das seiner Frau so hart getroffen und aus der Bahn geworfen hatte. Als er das Hospiz endlich völlig abgezehrt erreicht, kann er zwar ganz kurz mit Queenie sprechen, doch sie stirbt im Laufe der folgenden Nacht. Harold und seine Frau Maureen, die ihm nach langem Hadern, viel Spott und Zorn endlich nachgereist war, entdecken, dass ihre Liebe zueinander doch nicht völlig erkaltet ist, sie wagen einen Neuanfang…
… Ich habe dieses Buch förmlich verschlungen. Die Sprache ist so wunderschön, lyrisch, poetisch, vor allem wenn Rachel Joyce über die Natur schreibt, die Harold während seiner Reise umgibt, und für die er sich zusehends öffnet. Auch schildert sie die Schicksale von Harold und Maureen, dessen Sohn David, des Nachbarn Rex, und all der vielen Menschen, deren Bekanntschaft Mr. Fry auf seiner Pilgerreise macht, sehr warmherzig und einfühlsam und lebensnah…
… Die Fortsetzung handelt ausschließlich von Queenie Hennessy. Während sie auf Harold Fry wartet, und unaufhaltsam die letzten Lebensfunken verglimmen, versucht sie, diesem Mann, den sie so unendlich geliebt hatte, einen Brief zu schreiben. Sie schildert sehr eindringlich ihre Gefühle, und auch, wie eng ihr Schicksal mit dem des jungen David, Harold und Maureens Sohn, verknüpft gewesen war. Auch dieses Buch ging mir beim Lesen sehr zu Herzen, vor allem der unerwartete Schluss…
… Vielleicht erfahre ich eines Tages, welche/r meiner Nachbarn/innen diese Bücher auf den Heizungssims im Erdgeschoss unseres Hauses gelegt hat, ich würde mich so gerne bei dieser Person für die große Freude bedanken, die sie mir damit gemacht hat…
… I know dear Sue, this story has been already told very, very often, but it was the first that came into my mind when I saw the picture of the footprints on the beach…
… At the end of my earthly existence I stood with the Creator of the Universe by my side. We where looking at the allegory of my life – a broad and white sandy beach with two lines of footprints, that where interrupted here and there. I pondered over this image a long time, then I turned to the Creator of the Universe: „May I ask You one question?“
It nodded softly smiling. „Sure.“
„Once You‘ve promised me to be always on my side.“
„Yes. And I kept my promise. I always do.“
„Would You then please tell me, why there is only one line of footprints during the darkest hours of my life?“
„Because I did carry you then, my beloved child.“…
… Nach etwa zweistündiger, sehr beschaulicher Fahrt – manchmal entstand der Eindruck, man könne durchaus neben dem Zug spazieren und Blumen pflücken – war Füssen erreicht. Eigentlich war ich schon dabei, mich der Stadtmitte zuzuwenden, doch dann sah ich auf dem Vorplatz einen großen roten Nahverkehrsbus stehen – der würde laut Leuchtschrift auf der Stirnseite nach Garmisch fahren. Eigentlich könnte ich da ja mal nachfragen, welche Buslinie zur Wieskirche fährt, jene weltberühmte bayerische Barockkirche im Alpenvorland…
… So marschierte ich hin und sprach mit dem Fahrer, einem sehr freundlichen und zuvorkommenden Griechen, und der gab mir die Auskunft, dass die Wies auf seinem Weg liegen würde. Ach, was soll’s, dachte ich mir, Füssen läuft mir nicht weg, das kann ich mir ein andermal auch anschauen, und stieg ein…
… Der Bus der Linie 9606 gondelte an den beiden Schlössern Hohenschwangau und Neuschwanstein vorbei, kurvte gemächlich durch manchmal sehr kleine, und gelegentlich etwas größere Ortschaften, und setzte mich nach etwa einer dreiviertel Stunde am Parkplatz nahe dem stattlichen, hoch aufragenden Gotteshaus ab. Direkt vor meiner Nase befand sich der Fahrplanaushang, und blitzschnell erkannte ich, dass dieser Bus an diesem Sonntag die letzte Möglichkeit für mich sein würde, von hier auch wieder wegzukommen – Abfahrt Richtung Garmisch in zwei Minuten – es ist halt noch Vorsaison, und da werden nahverkehrstechnisch am Sonntag auf dem Land um fünf Uhr nachmittags die Gehsteige hochgeklappt. So schnell ich konnte, enterte ich erneut die Linie 9606, ich nahm mir nicht einmal die Zeit, ein Foto von der Wieskirche zu machen. – Nun gut, dann fahr ich halt mit nach Garmisch, das letzte Mal, dass ich dort gewesen bin, liegt schon so lange zurück, dass ich mich gar nicht mehr daran erinnern kann…
… Weiter ging die Reise, hügelauf, hügelab, kreuz und quer durch das sanft geschwungene Voralpenland. Wir passierten Ortschaften wie Steingaden, Bad Kohlgrub, Saulgrub, Oberau, Unterammergau, Oberammergau, Ettal, Farchant, in den meisten drehten wir eine Runde, um mehrere Haltestellen abzuklappern. Ich hatte meine helle Freude dabei, und durfte sehr viel Interessantes und auch Schönes entdecken, so manches habe ich mir in der Denkbirne abgespeichert, um mir das irgendwann einmal genauer anzusehen…
… Gegen halb sieben Uhr abends ragte die kühne und steile Silhouette der Zugspitze vor mir auf, Deutschlands höchster Berg (bzw. Gipfel, denn die Hälfte des Berges liegt bekanntermaßen in Österreich 😉 ), es gelang mir, ein Bild davon zu machen, obwohl der Sonnenuntergang schon eine Weile vorbei war, und grad im sich bewegenden Bus die Lichtbedingungen alles andere als optimal. Im Garmisch-Partenkirchener Bahnhof hatte ich, während ich ein halbes Stünderl auf den Zug Richtung München wartete, die Wahl, mir für mein knapp bemessenes Reisebudget eine Brotzeit zu kaufen oder ein Buch – ich entschied mich für letzteres, und erstand „Winterkartoffelknödel“, der erste Band der Niederbayern-Krimiserie von Rita Falk, und hatte viel Freude und Kurzweil beim Schmökern…
… Müde aber glücklich kehrte ich nach insgesamt gut sechs Stunden Reise mit Bahn und Bus in meine kleine, warme Bude zurück. Und nahm mir fest vor, so bald als möglich wieder Zug-Roulette zu spielen… 😉