… will wohl niemand von uns erleben…
… Frohgemut packte ich nach einer ausgiebigen Brotzeit meinen Schwarzen Blitz, um eine kleine Einkaufsrunde auf dem nahen Wochenmarkt zu drehen. Als ich im Erdgeschoss aus dem Lift trat, sah ich im Flur einen älteren Nachbarn liegen. Er war aschfahl im Gesicht, rang krampfhaft nach Atem und griff sich immer wieder an die Brust. Ich sprach ihn an, fragte, ob er wohl gestürzt sei, und bekam nur ein undeutliches Flüstern zur Antwort. Sofort zog ich das Handy und rief den Notarzt. Der Nachbar wedelte abwehrend mit den Händen und raunte, unterbrochen von mühsamen, rasselnden Atemzügen: „Nein! Nein! Keinen Arzt, keinen Krankenwagen! Die nehmen mich mit! Das will ich nicht! Helfen Sie mir auf!“ – „Das werde ich nicht tun. Beruhigen Sie sich, versuchen Sie gleichmäßig zu atmen, und bleiben Sie liegen. Und lassen Sie sich vom Arzt untersuchen und helfen!“ Er hauchte immer wieder: „Kein Arzt! Kein Arzt! Nicht ins Krankenhaus! Helfen Sie mir auf!“ Ich wurde dann ziemlich streng, sagte, dass das kompletter Blödsinn sei, aufzustehen, und befahl ihm dann noch einmal, ruhig liegen zu bleiben. Dann versuchte ich, ihn ein wenig von der Treppe wegzuziehen, denn er lag mit dem Oberkörper auf den Stufen, und das war mit Sicherheit höchst unbequem. Aber meine körperlichen Kräfte sind ja bekanntlich ziemlich eingeschränkt. Zum Glück kam ein weiterer Nachbar des Wegs, ein jüngerer und fit wirkender Mann, und der bugsierte den älteren Herrn dann vorsichtig in eine bequemere Position…
… Knappe zehn Minuten nach meinem Anruf kam mit Blaulicht und Sirene der Rettungswagen angebraust. Ich schilderte den beiden Sanitätern und dem Notarzt kurz meine Beobachtungen und fuhr dann hoch in den fünften Stock, um der Ehefrau des Nachbarn möglichst behutsam und ruhig bescheid zu sagen…
… Als ich wieder unten angelangt war, machte man grade ein erstes EKG. Dann packten die Sanitäter den Mann auf die Liege und verfrachteten ihn in den Rettungswagen. Seine Frau hatte inzwischen in der Wohnung die medizinischen Unterlagen des Nachbarn zusammengesucht, sie hastete an mir vorbei und rief mir mit von Tränen erstickter Stimme ein „Danke!“ zu. Ich streichelte kurz ihre Schulter, dann stieg sie mit dem Rettungsteam in den Wagen. Ich blieb ein Weilchen tief durchatmend an der Haustür stehen, um zur Ruhe zu kommen, und machte mich dann auf den Weg Richtung Wochenmarkt…
… Und nun hoffe ich ganz fest, dass es um meinen Nachbarn nicht allzu schlecht steht…