… Pünktlich um zwölf Uhr mittag hat mich der Endokrinologe angerufen. Eine Unterfunktion der Nebennieren könne man mit Sicherheit ausschließen. Doch da der entsprechende, bei mir irrtümlich durchgeführte S…-Test (mir ist die genaue Bezeichnung immer noch nicht in den Sinn gekommen) recht zeitnah vor dem sogenannten und eigentlich geplanten Dexter-Test gemacht worden war, der die Überproduktion von Cortisol genau anzeigen sollte (siehe hier!), konnte das Labor das Zuviel am Stresshormon nicht eindeutig bestimmen. Deshalb muss ich am Nachmittag noch einmal in die Praxis, um mir ein weiteres Mal die Tablette für den Dexter-Test abzuholen. Und morgen in aller Frühe dann wieder zum Blut abzapfen eintrudeln. Und danach ist der gute Onkel Doktor samt seinem Praxisteam eine Woche in Urlaub. Und erst dann wird man auf’s Neue die Testergebnisse beurteilen und besprechen können. Ich vergönne den guten Leuten die wohl verdiente Erholung durchaus, finde aber die Situation momentan nicht unbedingt prickelnd…
… Kommt noch dazu, dass seit Anfang der Woche in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung die Trambahntrasse ausgebessert wird. In Nachtarbeit. Von zwanzig Uhr abends bis in die frühen Morgenstunden. Der Lärm, der dabei gemacht wird, ist teilweise höllisch, und an Schlaf trotz geschlossener Fenster und Ohrenstöpsel kaum zu denken…
… Irgendwie ist grad bei mir die Luft raus. Den geplanten Ausflug in den Nymphenburger Schlosspark kann ich knicken, da ich ja am Nachmittag in die Praxis des Endokrinologen muss. Na ja, shit happens, es wird mit Sicherheit auch wieder andere, bessere, schönere Tage geben…
… Am Montag musste ich in aller Herrgottsfrüh in die Praxis des Endokrinologen, aufgrund eines sogenannten Dexter-Tests, der dann angewendet wird, wenn der Cortisol-Spiegel zu hoch ist – man zapft eine kleine Menge Blut ab, dann bekommt der/die PatientIn eine Tablette mit, die spätabends eingenommen wird. Diese soll in der Nacht die Produktion von Cortisol unterbinden. Am nächsten Morgen wird dann noch einmal eine Blutprobe entnommen, und wenn sich bei der Labor-Untersuchung herausstellt, dass von den Nebennieren trotzdem Cortisol ausgeschüttet wurde, dann ist was faul im Staate Dänemark…
… Ich hatte mich um halb Sieben aus den warmen Federn gequält, was absolut nicht meine Zeit ist, ich bleibe lieber abends länger auf, und schäle mich dann erst am späten Morgen, bei schlechtem Wetter gerne auch am Vormittag, aus dem kuscheligen Bettchen. So wartete ich recht verschlafen im der Praxis auf den Aufruf des Labormädchens. Nach wenigen Minuten nur riss die junge Dame die Verbindungstür auf und artikulierte etwas, das sich genau so anhörte wie mein Nachname – auch wenn das Wort durch die Mund-Nasen-Maske ziemlich verschliffen wurde. „Yepp! Da bin ich!“, krähte ich, erhob mich so rasch als möglich, und folgte ihr…
… Während sie mich zur Blutentnahme platzierte, erklärte sie mir: „Bei Ihnen wird jetzt ein S…-Test (die genaue Bezeichnung ist mir leider entfallen) gemacht. Ich werde Ihnen etwas Blut abnehmen, dann eine kleine Spritze geben, dann müssen Sie bei uns eine Stunde lang warten, und dann mache ich noch einmal eine Blutprobe.“ Ich war etwas verwirrt – das hörte sich jetzt so ganz anders an als das, was telefonisch besprochen worden war. Aber wer weiß, vielleicht hatte der Herr Doktor ja inzwischen andere Anordnungen getroffen…
… Kurz nachdem ich ins Wartezimmer zurück gekehrt war, wurde mir höchstwahrscheinlich wegen der Injektion ziemlich blümerant zumute – Übelkeit plagte mich, und ein gelegentlicher, dumpfer Schmerz im Oberbauch. Ich nahm mir fest vor, tapfer zu sein, und klaglos durchzuhalten. Nach etwa einer Viertelstunde verschwanden die Symptome allmählich wieder…
… Es dauerte nur etwa ein halbes Stünderl, dann wurde ich erneut aufgerufen. In der Zwischenzeit hatte sich wohl herausgestellt, dass das Mädel vom Labor diesen S…-Test irrtümlich bei mir durchführte – er wird bei zu geringen Cortisol-Werten gemacht, nicht bei zu hohen! Dieser Test war anscheinend auch für eine andere Patientin mit einem ähnlichen Nachnamen gedacht gewesen, die sich allerdings nicht in der Praxis gemeldet hatte. Nachdem die beiden Damen vom Labor eine Weile recht hektisch miteinander geflüstert und getuschelt hatten, versicherte man mir, dass alles in Ordnung sei. Der Dexter-Test würde trotzdem wie geplant ablaufen…
… Den Rest des Tages verbrachte ich großenteils im Bett, weil ich mich gar nicht gut fühlte – schlapp, unausgeglichen, kopfhängerisch, neben der Spur, dann wieder unruhig, ab und an gestört vom teils arhythmischen Trommelwirbel meines Herzens. Ich freute mich auf eine entspannte Nacht, da die Tablette, die ich gegen halb Elf einnahm, die Cortisol-Produktion verhindern soll, hoffte ich auf einen ungestörten und beschwerdefreien Schlaf. Aber ich wälzte mich ruhelos hin und her, und nickte erst im Morgengrauen für ein Weilchen ein…
… Die kleine Blutentnahme am Dienstag Morgen war in wenigen Minuten erledigt. Am Donnerstag mittag wird sich der Endokrinologe telefonisch bei mir melden, mir die Ergebnisse der Tests mitteilen und Weiteres besprechen. Na, dann schaun ma mal…
… die man nur höchst ungern bekommt: „Hallo, hier spricht Frau F. von der Praxis Dr. P… Bei der Untersuchung der Blutprobe, die wir Ihnen vor einer Woche abgenommen haben, haben wir einen auffälligen Wert entdeckt.“…
… Kurze Vorgeschichte: Vor drei Jahren war ich über einen längeren Zeitraum Patientin des Friedrich Baur Instituts für Muskelerkrankungen, und habe im Rahmen sehr vieler Untersuchungen zwei Wochen in der Neurologischen Station der Uniklinik verbracht (es hat gut eineinhalb Jahre gebraucht, bis endlich anhand einer humangenetischen Studie die Diagnose feststand: Ich habe eine Titinopathie, eine genetisch bedingte und sehr seltene, nicht heilbare und fortschreitende Form von Muskelschwund). Während des Klinikaufenthalts wurde ein kleiner Knoten in der Schilddrüse festgestellt, und mir wurde nahe gelegt, diesen im Laufe der kommenden Monate durch einen Endokrinologen näher untersuchen zu lassen. Was ich auch tat. Dr. P…, ein sehr freundlicher und einfühlsamer Arzt, bestätigte die Diagnose des „FBI“, und riet mir zur jährlichen Kontrolluntersuchung…
… Es dauerte allerdings drei Jahre, bis ich mich letzte Woche endlich mal wieder in der Praxis des Endokrinologen blicken ließ. Einige Symptome wie eine unnatürliche Gewichtszunahme – ich mache seit langem schon Intervallfasten, lege aber dennoch ständig zu -, sowie Herzrhythmusstörungen – ein Kardiologe hat vor kurzem mein Herz für völlig gesund befunden -, häufige Erschöpfungszustände, Schlaflosigkeit und das Gefühl, permanent an Kondition zu verlieren, trotz aller gewissenhaften Bemühungen, bezüglich meiner Restmuskulatur zumindest den Status Q aufrecht zu erhalten, beunruhigten mich seit einer Weile schon. Dr. P… hatte eine sehr gute Nachricht für mich: Der kleine Knoten hatte sich in der Zwischenzeit von selbst völlig aufgelöst. Mir wurde noch etwas Blut abgezapft, und dann entließ man mich. Ich solle mich in zwei Tagen nach den Ergebnissen der Blutuntersuchung erkundigen. Was ich natürlich postwendend vergaß…
… Und dann wurde ich heute vormittag angerufen: „Hallo, hier spricht Frau F. von der Praxis Dr. P… Bei der Untersuchung der Blutprobe, die wir Ihnen vor einer Woche abgenommen haben, haben wir eine Auffälligkeit beim Cortisol-Wert entdeckt.“…
… Ich muss nun gleich Anfang nächster Woche frühmorgens mit nüchternem Magen wieder in die Praxis, zu einer nochmaligen Blutabnahme. Dann bekomme ich eine Tablette, die ich spätabends schlucken muss. Und am nächsten Morgen wird mir dann erneut Blut abgenommen. Und einige Tage danach wird sich hoffentlich zeigen, was Sache ist…
… Cortisol ist eines der sogenannten Stresshormone. Es wird „auf Befehl“ der Hirnanhangdrüse in den Nebennierenrinden produziert. Ein Zuviel an Cortisol verursacht genau jene Symptome, die ich dem Endokrinologen geschildert hatte. Ursache dieses sogenannten Cushing-Syndroms könnte eine Entzündung der Nebennierenrinde sein. Die wäre medikamentös behandelbar. Etwa 80 % eines Cortisol-Überschusses hat seine Ursache allerdings in einem Tumor in der Hirnanhangdrüse. Auch so etwas ist mittlerweile gut behandelbar, entweder durch minimalinvasive Operationen oder Bestrahlungen…
… Kein Grund also, jetzt große Angst zu entwickeln, auch wenn ich mir natürlich so meine Gedanken mache. Aber ich bin zuversichtlich und gehe davon aus, dass nichts allzu Schlimmes auf mich zukommen wird. Ich habe in den letzten Jahren gelernt, halbwegs elegant, aufrecht und lebensfroh mit der heimtückischen Titinopathie zurecht zu kommen, da werde ich das, was da meiner harrt, auch wuppen. Es wird fröhlich weitergesegelt, ich habe immer noch mehr als eine Handbreit Wasser unterm Kiel… 😉
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