.. Zwischen den Deckeln vieler kostbarer und lesenswerter Bücher lebt unbehelligt und unentdeckt ein kleines, merkwürdiges Völkchen: die Nniggignaggs. Sie sind so winzig, dass man schon ein äußerst starkes Mikroskop bräuchte, um sie zu entdecken. Die Nniggignaggs sind von gar drolliger Gestalt, sehr kurzbeinig, mit gekrümmten Rücken und fässchenförmigen Bäuchlein. Ihre Körper sind mit einem ganz feinen aber sehr dichten, seidenweichen Pelz bedeckt. Auf dem Kopfe mit raubvogelähnlichem Profil tragen sie keine Haarpracht, sondern ein Federkrönchen, wie ein Wiedehopf, aus dem rundlichen Steiß entspringt ein imposant geschwungener Federschweif, dem eines Pfauen gleichend. Ihre Augen sind über die Maßen groß und tiefdunkel, sanft schimmernd, von betörender Schönheit, die Ärmchen, Patschhändchen und -füßchen wirken schwächlich, verfügen aber über enorme Kräfte…
… Nniggignaggs sind von morgens früh bis abends spät damit beschäftigt, mit Hilfe ihrer Federschweife die aufgedruckten Buchstaben abzustauben, um belesenen und wissbegierigen Menschen ihre geliebten Bücher zu erhalten. Durchblättert man versehentlich ein Werk, welches sie grade zu säubern in Begriff sind, lassen sie sich blitzschnell in die tiefe Spalte zwischen den einzelnen Seiten rutschen, um sich dort geschickt zu verbergen. Wenn sie mit der Reinigung eines Buches fertig sind, was nicht sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, denn sie sind ausgesprochen fleißig, umsichtig und gewissenhaft, versammeln sie sich an der Oberseite des Einbandes. Dann bringen sie ihre prachtvollen Federn zum Rotieren. Und reisen so einander fest an den kleinen Händen haltend fast lautlos schwebend zum nächsten Werk…
… Nniggignaggs leben ausschließlich in Gesellschaft von Menschen, die ihre gesammelten, bedruckten Güter hegen und pflegen und zu schätzen wissen. Es hält sie nicht sehr lange bei Schmutzfinken, Gesellen, die ihre Bücher mit Speis und Trank bekleckern, Fettflecken und Krümel zwischen den Seiten hinterlassen, die Blätter zu Eselsohren knicken oder gar einreißen. Dann verschwinden sie auf die gerade geschilderte Art und Weise. Für weite Reisen verbergen sie sich auch gerne im Gefieder eines braven, kleinen Singvogels, oder im Fell treuer Hunde und blitzgescheiter Katzen…
… Meine Mieze Smokey hat mir übrigens erst unlängst von den Nniggignags erzählt. Tiere können diese zwar auch nicht sehen, aber wahrnehmen. Sehr empfindsame, phantasiebegabte Menschen sind ebenfalls dazu in der Lage. Legt mal ein Ohr an eines eurer Lieblingsbücher. Und wenn ihr dann ein ganz, ganz, ganz leises „Wsch, Wsch!“ erahnt, dann wisst ihr, dass auch bei euch die Buchstaben all eurer geliebten und gehegten Lese-Schätze gewissenhaft abgestaubt werden…
