… Vor einer Weile war der Hausverwalter kurz bei mir zu Gast. Er besah sich die Balkontür in meiner Wohnung, die nicht mehr richtig schloss, und vor Einsetzen der kalten Jahreszeiten dringend repariert werden musste. Im Laufe unserer Unterhaltung kamen wir auch auf mein mit Sperrmüll bis obenhin vollgepfropftes Kellerabteil zu sprechen. Er meinte, dass ich das demnächst mal entrümpeln lassen sollte, und ich pflichtete ihm schlechten Gewissens bei…
… Ich meldete mich bei guten Bekannten, die mir schon einmal geholfen hatten, fragte per WhatsApp, Facebook und Telefonnachricht mehrmals nach, ob sie wohl Zeit und Lust hätten, zusammen mit mir den Keller auszuräumen, bekam aber bis dato keinerlei Rückmeldung von ihnen…
… So beschloss ich, mich an die Profis von den Münchner Stadtwerken zu wenden. Bereits nach kurzem Stöbern geriet ich auf die Website vom Abfallwirtschaftsamt München – zumindest sah diese Internet-Seite exakt so aus und wirkte ausgesprochen Vertrauen erweckend auf mich. Es gab sogar ein Impressum und nebst einem städtischen Servicetelefon auch ein Online-Formular zur Terminvereinbarung. Es war früher Abend und die angegebenen Anrufzeiten bereits vorüber. So nutzte ich dieses Kontaktformular, nannte Namen und E-Mail-Adresse, beschrieb mein Kellerabteil und was sich darin angehäuft hatte, und bat um einen Termin zwecks Sperrmüllabholung…
… Ein paar Tage lang erhielt ich keine Rückmeldung, was ich völlig normal fand. Ich war schließlich mit Sicherheit nicht die Einzige, die eine Termin-Anfrage gestellt hatte. Dann, am Montag, 7.11., erhielt ich einen Anruf. Der Herr am anderen Ende der Strippe war der Stimme nach etwas älteren Datums, sprach mit einem slawischen Akzent und nuschelte ein wenig. Mit Mühe verstand ich „Abfallwirtschaftsamt München“. Er überprüfte noch einmal meine im Online-Formular gemachten Daten und stellte mir einen Termin für Dienstag zwischen neun und elf Uhr in Aussicht. Die Kosten würden ca. 150 Euro betragen. Freudig überrascht stimmte ich zu…
… „Da wäre noch etwas, worauf ich Sie leider hinweisen muss.“, meinte mein Gesprächspartner am Ende des Telefonats, „Wir haben zur Zeit massive Software-Probleme, man hat uns gehackt. Deshalb funktioniert die Buchhaltung nicht, wir müssen leider darauf bestehen, dass Sie den fälligen Betrag gleich in bar bezahlen. Sie bekommen eine Quittung, die Rechnung folgt dann in den nächsten Tagen, sobald unsere PCs wieder reibungslos laufen.“ Für mich ergab das Sinn, denn allenthalben hört und liest man doch immer wieder und immer häufiger von Hackerangriffen auf städtische Einrichtungen und große Unternehmen…
… Am Dienstag vormittag gegen halb Elf meldeten sich zwei junge Männer bei mir. Sie seien vom Abfallwirtschaftsamt. Der eine war ein muskelbepackter Kerl Mitte/Ende Zwanzig und überragte mich um Kopfeslänge – und ich bin über 1,70 groß. Der andere sehr zierlich und etwas kleiner als ich – ein Krischperl (schwacher Winzling), wie es auf gut Bayrisch heisst. Ich führte sie zu meinem Kellerabteil. Der Hüne zog sein Handy aus der Hosentasche und tippte ein wenig darauf herum. „Da kommen wir aber mit 150 Euro nicht hin.“ Ich machte große Augen. „Wie viel verlangen Sie denn?“ – „Mit 350 Euro sind Sie dabei. – Sehen Sie, das ist ja nicht nur Sperrmüll in Ihrem Abteil, sondern auch Pappkartons und sogar elektronisches Gerät, ein Uralt-Computer.“ Er fixierte mich beunruhigend eindringlich und streckte fordernd die Rechte aus…
… In dem Moment wurde mir glasklar, dass ich Betrügern auf den Leim gegangen war. Aber ich gab dem Großen die genannte Summe – ich hatte so viel Geld bei mir, weil ich mir anschließend einen neuen Wintermantel kaufen wollte. Weil mir bange zumute geworden war. Weit und breit war in dem finsteren, großen Keller keine andere Menschenseele. Handy-Empfang hatte ich mit Sicherheit auch nicht. Und keine Gehhilfen dabei. Der lange Lulatsch bräuchte mir nur einen Schubs geben, und ich würde hilflos auf dem Boden landen, den Beiden ausgeliefert. Es wäre ein Leichtes, sich nebst dem Geldbeutel die Wohnungsschlüssel in der Hosentasche zu angeln und statt dem Kellerabteil meine Bude auszuräumen…
… Binnen einer Viertelstunde war der Keller leer, aber ich verspürte nicht den geringsten Funken Freude oder Erleichterung. Wie ein geprügelter Hund schlich ich nach oben und bekam noch mit, wie die zwei jungen Männer in einen Kleintransporter stiegen und wegfuhren. Die Hälfte des Kennzeichens konnte ich mir merken. Innerlich völlig betäubt verbrachte ich den Rest des Tages im Bett, und auch am Mittwoch war ich nicht dazu in der Lage, das Haus zu verlassen. Niedergeschlagenheit, Frust, Zorn, Selbstvorwürfe und Trauer des verlorenen Geldes wegen hatten mich übermannt…
… Am Donnerstag zwang ich mich zu einem kleinen Spaziergang, änderte spontan die Route, suchte das nahe Polizeirevier auf und erstattete Anzeige. Die Vernehmung als Zeugin dauerte fast zwei Stunden. Die Chancen, diese Betrüger dingfest zu machen, stehen nicht allzu hoch. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt…
… Eines möchte ich euch nach diesem unschönen und bedrückenden Erlebnis dringend ans Herz legen: Nie das Kontaktformular einer Website nutzen, auch wenn sie noch so seriös aussehen mag. Mein zweiter Vorname ist leider Ungeduld. Wenn ich nur bis zum nächsten Morgen gewartet und das Servicetelefon kontaktiert hätte, hätte ich jetzt einen leeren Keller, einen neuen Wintermantel, und mir wäre eine ungemein bittere Erfahrung erspart geblieben. Und wenn euch jemand erzählen will, dass ihr in bar bezahlen müsst – sofort auflegen…
… Der MDR hat vor einer Weile einen kurzen TV-Beitrag über Sperrmüllbetrüger ausgestrahlt. Darin wird sehr gut erläutert, wie raffiniert die Schurken vorgehen, um ihre Opfer zu ködern und abzuzocken…