… hatte ich neulich während der wunderschönen Kundgebung Zammreißen Bayern! auf dem Münchner Odeonsplatz. Ich war sehr früh dort, um mir einen Platz ganz weit vorne an der Bühne sichern zu können, und kam sogleich mit der kleinen, zierlichen Dame rechts neben mir ins Gespräch. Ihr Gesicht kam mir so bekannt vor, ich wusste, dass ich schon viel über sie gesehen, gehört und gelesen hatte, aber mir fiel ihr Name nicht ein. Ich fasste mir ein Herz und fragte – und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen…
… Fadumo Korn kam in Somalia in einer Nomadenfamilie zur Welt. Sie lebt in München, arbeitet als Dolmetscherin, Buchautorin, Kulturmittlerin, und engagiert sich gegen die weibliche Genitalbeschneidung, die auch an ihr vollzogen wurde, als sie noch ein kleines Mädchen war…
Foto: Michael Lucan, Lizenz: CC-BY 3.0
… Fadumo Korn zog in ihrer Kindheit mit der Familie und den Tieren von Weidegrund zu Weidegrund. Sie lernte, Kamele und Ziegen zu hüten, Spuren zu lesen, die Umwelt zu verstehen, Gefahren wie aufziehende Stürme oder lauernde Raubtiere zu wittern. Sie ertrug quälenden Durst und wurde Zeugin von Kämpfen zwischen verfeindeten Sippen. Sie fühlte sich von ihrer Familie geliebt und geachtet…
… Als sie sieben Jahre alt wurde, gab man ein Fest für sie. Sie bekam wunderschöne Geschenke. Nebst ihrem Bruder aus der großen Stadt war eine alte, unbekannte Frau Gast der Geburtstagsfeier, die Beschneiderin. Fadumo hatte bei ihrem Anblick ein mulmiges Gefühl. Über das Ritual der Beschneidung der äußeren weiblichen Geschlechtsteile sprach man nicht, nicht einmal hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton…
… Am nächsten Morgen wurde sie von ihrer Mutter geweckt und ein Stück weit weg vom Lagerplatz geführt. Die Beschneiderin gesellte sich zu ihnen. Blind vor Panik wollte Fadumo weglaufen, doch ihre Mutter und eine Tante hielten sie fest. Das Mädchen wurde niedergedrückt, man schob ihr ein Beißholz zwischen die Zähne. Dann spreizte die Beschneiderin ihre Beine und zückte eine Klinge. Fadumo Korn: “Ich sah das Gemetzel wie von oben, innerlich tot. Dann wurde ich ohnmächtig, Gott sei Dank.” Die Beschneiderin verschloss die Scheide des Kindes mit Dornen, nur eine reiskorngroße Öffnung verblieb, durch diese müssen Urin und Menstruationsblut tröpfchenweise abfließen. Was dies für Qualen verursacht, können wir Mädchen und Frauen hier in keinster Weise nachvollziehen…
… “Rein, schön und leuchtend,”, sei sie nun, sagte nach der Beschneidung Fadumos Mutter, “und von Gott geliebt. Denn Gott mag keine unreinen Mädchen in seinem Paradies.” Doch das Kind fühlte sich in keinster Weise leuchtend, sondern vergewaltigt und versehrt. Sie war traumatisiert und litt an hohem Fieber, Schmerzen und Entzündungen…
… Weil sie kaum mehr laufen konnte, wurde Fadumo zu einem Onkel nach Mogadischu geschickt. Dort entdeckte sie nicht nur das europäisch geprägte Großstadtleben, sie besuchte eine Schule und schloss sie ab – doch ihre Verletzungen peinigten sie weiterhin. Eine Rheumaerkrankung, die ihre Finger und Zehen stark verkrümmte, wurde diagnostiziert. Ihre Knie waren oft steif und geschwollen, jede Bewegung wurde zur Qual…
… Fadumo wurde von ihrem Onkel zu Behandlungen nach Europa geschickt, nach Rom, Bonn und München. Es war ein schier endloser Reigen von Therapien und Operationen, monatelang, jahrelang. Sie wuchs zur jungen Frau heran, lernte, mit den körperlichen Einschränkungen und auch Schmerzen zu leben, fand Freunde, die große Liebe und ein Zuhause, heiratete, und traf schließlich auf einen Arzt, der beschnittene Frauen behandelt und operiert, und ihnen so zu einem völlig neuen, genussvollen Frausein verhilft. Sie machte eine Ausbildung und bekam einen Sohn…
… Seit 1999 engagiert sie sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung. Sie kümmert sich um Betroffene und leistet ihnen Beistand, sie spricht vor der Polizei, vor Jurist:innen, vor politischen Gremien, mit Krankenpfleger:innen und Hebammen. Wenn Fadumo Korn das Wort ergreift, dann wird es immer stiller. Denn sie erzählt ihre eigene Geschichte, und zwar so eindringlich, dass Chefärzt:innen gebannt lauschen, und sogar hartgesottene Politiker:innen Tränen in den Augen haben…
… Durch die hohe Zahl der Flüchtlinge auch aus afrikanischen Ländern ist in den vergangenen Jahren die Zahl der weiblichen Genitalverstümmelungen – FGM = Female Genital Mutilation – in Deutschland massiv angestiegen. Die Dunkelziffer ist hoch, doch man geht von ca. 100.000 beschnittenen Mädchen und Frauen aus. Viele Behörden, Sozialarbeiter:innen, Lehrer:innen, Ärzt:innen sind mit dem Thema überfordert…
… Im Jahr 2012 gründete Fadumo Korn die Organisation NALA e.V. Nala ist Suaheli und heisst auf Deutsch Löwin. Der Verein berät und unterstützt Mädchen und Frauen, die von FGM bedroht bzw. betroffen sind. Er führt eine weit gefächerte Betreuungs- und Aufklärungsarbeit nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland durch…
… Es war mir eine große Ehre und Freude, am 04. Oktober völlig zufällig Frau Fadumo Korn zu treffen. Diese Begegnung wird noch lange in mir nachhallen und unvergesslich bleiben. Und ich hoffe auf ein Wiedersehen…
10 Antworten zu “Eine mehr als interessante Begegnung…”
Was für eine beeindruckende Geschichte. Diese Frau hätte ich auch gern kennengelernt.
Schönen Sonntag noch!
Liebe Grüße Hedwig
Diese Begegnung war so was wie das i-Tüpfelchen auf einem ohnehin schon wunderbaren Tag.
Danke schön, und liebe Grüße zurück!
Tolles Engagement! Ich werde nie den Bericht bei “Mona Lisa” zu diesem Thema vergessen.
Ich war von der Dokumentation über sie in der Reihe “Lebenslinien” im Bayrischen Fernsehen so beeindruckt von ihr und ihrem Leben…
Das Thema Beschneidung ist erschütternd. Fadumo Korn hat mich zu einer diesbezüglichen Veranstaltung im November im Münchner Rathaus eingeladen, ich denke, ich werde hingehen.
Ja, wieder eines dieser Frauen-Themen, das einen zur Verzweiflung treibt … Das verdient mehr Aufmerksamkeit, weil diese Unsitte ja mit den Flüchtlingen zu uns kommt.
Das ist nebst Vergewaltigung die perfideste und widerlichste Art der Erniedrigung von Frauen. Und natürlich – wie soll es auch anders sein! – basierend auf einem religiösen Fundament. Da tut Aufklärungsarbeit bitter not, immer und immer wieder…
Und vor allem muss man auch in unserem Land hinschauen und aufklären und schützen und anzeigen.
Unbedingt!
Was für eine Löwin.
Bei dem Thema könnte ich vor Wut die Wände hoch gehen. Und was mich noch wütender macht, ist dass viele hier die Augen vor diesem Thema verschließen. Das ist für die meisten ganz weit weg und keiner will etwas davon hören. Das macht mich immer ganz fassungslos, dass so etwas in unserem ach so aufgeklärten Deutschland möglich ist und keinen interessierts.
Ja… Ich teile deine Wut und deine Meinung zum Thema weibliche Beschneidung.
Jedesmal, wenn ich darüber lese oder höre, dann habe ich körperliche Schmerzen, und zwar genau dort, wo eine Beschneidung durchgeführt wird. So sehr nimmt mich das mit. Ich gebe zu, dass dieses Thema bei mir auch bis jetzt eher am Rande vorgekommen ist. Aber ich habe ernsthaft vor, mich nun ernsthafter und tiefgehender damit zu befassen. Fadumo Korn hat mich zu einer Veranstaltung im November im Münchner Rathaus eingeladen, und ich möchte ihrer Einladung unbedingt Folge leisten.