Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Ein Cold Case namens Mayerling (3)…

… Mit der siebzehnjährigen Baroness Mary Vetsera ist man übrigens nach der Tragödie höchst unmenschlich verfahren. Erst nach 36 Stunden wurde es ihrer Mutter gestattet, den Leichnam von Schloss Mayerling abzuholen. In der Zwischenzeit hatte man den Körper der jungen Frau auf dem Dachboden verstaut. Der Kammerdiener und ein Gehilfe steckten ihr einen Besenstiel in den Rücken und schleiften sie aufrecht zur wartenden Kutsche, um den Eindruck zu erwecken, sie würde noch leben. Die nach Mayerling entsandten Hofärzte attestierten Selbstmord durch Kopfschuss – ein Ding der Unmöglichkeit, denn die Kugel durchschlug den Schädel von links nach rechts, die Tote war jedoch Rechtshänderin. Sie wurde in den Morgenstunden des 1. Februar 1889 auf dem Friedhof Heiligenkreuz förmlich verscharrt. Später ließ ihre Mutter eine gemauerte Gruft errichten und den Leichnam in einen Prunksarg umbetten…

… Vielleicht hat es sich ja so zugetragen: Es ist Fakt, dass Rudolf am 26. Januar 1889 wieder einmal einen langen und sehr erbitterten Streit mit dem Kaiser hatte. Kann es sein, dass Franz Joseph im Laufe dieser Auseinandersetzung völlig die Beherrschung verloren und seinem Sohn angekündigt hat, ihn als Kronprinzen abzusetzen, ihm sämtliche Privilegien zu entziehen und statt dessen einen der Erzherzöge als Nachfolger zu ernennen? Für den sehr sensiblen und auch ehrgeizigen jungen Mann, der Zeit seines Lebens so gut wie all seine Kraft, sein Herzblut, seine Hingabe in das große Ziel investiert hatte, die Anerkennung, Zuneigung und das Verständnis seines Vaters zu erringen, und eines Tages als dessen Nachfolger Österreich in eine neue, vom alten und erzkonservativen Trott befreite Zukunft zu führen, wäre das womöglich der so unfassbar grausame Hieb gewesen, der ihm, aufgrund seiner sorgsam verborgenen Depressionen wegen labil, von jetzt auf gleich sämtliche Lebenskraft und -willen geraubt haben könnte. Die darauffolgende Nacht verbrachte er mit seiner langjährigen Geliebten und Vertrauten Mizzi Kaspar. Am Vormittag des 29. Januar ließ er durch den Kutscher Josef Bratfisch die blutjunge Mary Vetsera nach Schloss Mayerling bringen. Nachdem Rudolf völlig überraschend und sehr kurzfristig ein am Abend angesetztes Galadiner in der Hofburg abgesagt hatte, fand er sich ebenfalls in Mayerling ein. Er speiste mit zwei Freunden zu Abend – niemand hatte übrigens angeblich bis zum nächsten grauenvollen Morgen Kenntnis davon, dass sich die Baroness im Anwesen befand. Der Kammerdiener Loschek bekam allerdings mit, dass im Schlafzimmer des Kronprinzen bis spät in die Nacht hinein eine lebhafte Unterhaltung geführt worden war. Kann es sein, dass Rudolf sich der überaus schwärmerischen, naiven, weltfremden und über alle Maßen verliebten Mary Vetsera anvertraut hat? Dass er so sehr deprimiert, verstört, verletzt war, dass ihm ein Weiterleben in einer nun so ungewissen, haltlosen Zukunft völlig unmöglich erschien? Den Sinn seines Lebens zerstört sah? Die Baroness so mit ihm litt und seinen Kummer teilte, dass sie ihm zusicherte, mit ihm in den Tod zu gehen, weil sie nicht ohne ihn leben wollte? – Ganz ehrlich, nachdem ich viele Stunden im Internet recherchiert und mehrere Bücher über die Geschehnisse von Mayerling und den Kronprinzen Rudolf gelesen habe, erscheint mir diese Erklärung recht plausibel…

… Die Waffe, mit der Rudolf vermutlich zuerst Mary Vetsera erschoss und dann gegen sich selbst richtete, ist wie so Vieles – z. B. ungezählte Briefe und Akten aus dem Arbeitszimmer des Kronprinzen, Tagebucheinträge seiner jüngsten Schwester Marie Valerie, der Obduktionsbericht in voller Länge, sowie etlichen Zeugenaussagen von damals im Mayerling Anwesenden – scheinbar spurlos verschwunden. Es heisst, sie würde sich zusammen mit einigen leeren Patronenhülsen und Dokumenten, die angeblich hieb- und stichfest die tragischen Geschehnisse auf Schloss Mayerling aufklären würden, in einer Kassette in der Villa Austria in Pöcking am Starnberger See befinden, dem Wohnsitz derer von Habsburg-Lothringen. Der 2011 verstorbene Otto von Habsburg, Sohn des letzten österreichischen Kaisers Karl I., hatte kurz vor seinem Tod zugesagt, den Inhalt dieser Kassette nach seinem Tod der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Zudem sollen in den Niederlanden im Jahr 2015 Dokumente versteigert worden sein, die ebenfalls Licht in das Dunkel der Tragödie des Kronprinzen Rudolf und der Baroness Mary Vetsera bringen würden. Nach ziemlich ausgiebiger Recherche im WWW habe ich allerdings nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden…

… Schloss Mayerling wurde im Frühjahr 1889 an den Orden der Karmeliterinnen übergeben, dessen Nonnen bis zum heutigen Tage das Anwesen bewohnen und bewirtschaften. Kaiser Franz Joseph ließ an der Stelle, an welcher sich das Schlafzimmer seines Sohnes befunden hatte, eine kleine Kirche errichten, der Altar steht genau dort, wo seinerzeit Rudolfs Bett gewesen war. Ca. 100 Jahre nach der Tragödie hat man nahe des Schlosses eine Gedenkstätte errichtet, die alljährlich von mehr als 100.000 Besucher:Innen besichtigt wird…

… Das blutige Drama auf Schloss Mayerling am 30. Januar 1889 bleibt nach wie vor rätselhaft, einer der berühmtesten ungelösten, mysteriösen Kriminalfälle der europäischen Geschichte. Ob es jemals vollständig aufgeklärt werden wird?…

… Kronprinz Rudolf, ca. 1880…

Österreichische Nationalbibliothek – Wikipedia


2 Antworten zu “Ein Cold Case namens Mayerling (3)…”

  1. Danke für diese drei hoch interessanten Beiträge um den Tod von Kaiser Franz Joseph’s Sohn Rudolf auf Schloss Mayerling. Sollte ich mal wieder nach Wien kommen, werde ich es nicht versäumen, dort vorbeizuschauen.
    Liebe Grüße, Roland

    • Gerne! 🙂 Es war eine Wohltat, nach den langen Corona-Wochen mit endloser Müdigkeit und Konzentrationsschwierigkeiten endlich wieder einmal viele Stunden arbeiten, lesen, recherchieren und schreiben zu können.
      Für meinen nächsten Wien-Aufenthalt Anfang Mai habe ich einen Ausflug nach Schloss Mayerling schon fest eingeplant.
      Liebe Grüße!

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