Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

„Gscheidhaferln“ – die zweite…

… Diesen Post hatte ich neulich nachts versehentlich freigeschaltet, obwohl ich mit dem Schreiben noch gar nicht fertig war…  😉

…“Gscheidhaferln“ – so bezeichnet man hier in Bayern Besserwisser bzw. „Klugsch***er:Innen“…

… Es handelt sich hierbei um eine spezielle Gattung Mensch, die einem gewaltig auf die Nerven gehen und lästig sein kann. Sie ist aber im Grunde genommen harmlos – von einigen Ausnahmen abgesehen…

… Es existieren mehrere Unterarten an Gscheidhaferln. Da wären zum einen jene, die sich viel auf ihre profunde Allgemeinbildung und vielseitiges Wissen zugute halten, und ihre Kenntnisse gerne anderen ungefragt in epischer Breite aufs Auge drücken. So kann es durchaus vorkommen, dass sie während eines Stadtbummels ein stundenlanges Referat über die bayrische Geschichte halten, während der Besuch insgeheim nichts mehr herbei sehnt als einen unkomplizierten Schaufensterbummel und das Plündern des nächstgelegenen Klamottenladens. In diese Sorte Gscheidhaferln reihe ich mich ein…

… Gscheidhaferln und Rechthaberei gehen häufig Hand in Hand – mir fällt das an mir selber auch manchmal unangenehm auf. Das tut schon hin und wieder beinahe körperlich weh, wenn man bei einer Diskussion den Kürzeren zieht und zugeben muss, dass der/die Andere halt doch etwas besser informiert bzw. eloquenter ist als man selbst. Für manche extrem rechthaberische Gscheidhaferln ist so etwas dermaßen unerträglich, dass sie ab und an auch gerne auf Lügen und spontan erfundene Fake News zurückgreifen, um ja nicht dem Gegenüber Recht geben zu müssen…

… Eine ziemlich entnervende Variation Gscheidhaferln sind jene „Experten“, die bei Übertragungen großer Veranstaltungen meiner Lieblingssportart Darts als Co-Kommentatoren geladen werden. Das sind in der Regel Landsleute, die zwar einige Male an Weltmeisterschaften oder anderen hoch dotierten Turnieren teilgenommen haben, aber stets bereits in den Vorrunden mangels Können ausgeschieden sind. Und die erzählen dann so ungemein gerne allen Zuseher:Innen, die es meistens gar nicht hören wollen, wie sie anstelle der Weltranglisten-Besten, die da grade atemberaubend meisterhaft am Oche agieren, spielen würden. Da frage ich mich stets, warum diese Gscheidhaferln ihre Tipps denn nicht während ihrer „Karriere“ in die Tat umgesetzt und einen Titel nach dem anderen gewonnen haben? Zum Glück gibt es auf der Fernbedienung die „Ton-Aus“-Taste…

… Sehr unangenehm sind jene Gscheidhaferln, die häufig vor Neid auf die guten Einfälle und Anregungen Anderer förmlich triefen, bei Gruppen-Diskussionen und -Entscheidungen, sei es in der Arbeit, in einer Wohngemeinschaft, einer Familie, einem Unternehmen deshalb permanent ein Veto einlegen und widersprechen, selber aber nicht einmal die kleinsten konstruktiven Ideen und Vorschläge haben. Ich denke mal, dass diese Unterart vor allem in der Politik häufig vorzukommen pflegt, und schon manch eine gute und sinnvolle Gesetzesvorlage verhindert hat. Und im Internet, vor allem in den sogenannten „Sozialen“ Netzwerken…

… Zu einer recht unleidlichen Sorte Gscheidhaferln gehören solche, die einem, nachdem man ihnen ein Missgeschick oder ein höchst ungutes Erlebnis geschildert hat, Bemerkungen wie „Also, ich an deiner Stelle hätte ja…“ oder „Ich hätte dem Typen … erzählt!“ bzw. „Ich als Mann hätte…“ (Mein absoluter „Favorit“!) um die Ohren hauen. Davon abgesehen, dass solche Kommentare offenbaren, dass jene Personen das Einfühlungsvermögen eines Betonklotzes besitzen – so etwas tut den Betroffenen weh, es deprimiert und demütigt sie noch mehr. Der einzige Zweck solcher Äußerungen ist, dass man sich dem Opfer gegenüber erhöhen, sich klüger, schlagfertiger, erfahrener, stärker wähnen kann. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Gscheidhaferln in genau den gleichen unangenehmen, vielleicht sogar bedrohlichen Situationen sich nicht anders verhalten würden wie die bedauernswerten Pechvögel…

… Ein großer Ehrgeiz vieler Gscheidhaferln ist, stets das letzte Wort zu haben. Das kann bei einigen geradezu krankhafte Züge annehmen. Im verkrampften Bestreben, unbedingt den Schlusspunkt einer Konversation zu setzen, verfallen manche gscheidhaferlnde Gesprächspartner:Innen bzw. Kommentator:Innen nach einer Weile, wenn die wenigen Argumente verschossen sind, in das kindische und provokante Geschwafel eines pubertierenden, verzogenen Teenagers. Im realen Leben drehe ich mich um und gehe weg. Im virtuellen Leben gebe ich sehr schnell nach, hab meine Ruhe und kann mich erneut den schönen, wesentlichen und interessanten Dingen des Lebens widmen. Manchmal, wenn mich ein Anflug von Bosheit überkommt, lasse ich auch den einen oder anderen Kommentar gepflegt unter den Tisch fallen. Ich bin nicht mehr jung, und je näher ich der Finalen Abschussrampe komme, desto mehr wäge ich ab, in was ich den immer kleiner werdenden Rest meiner Lebenszeit und -energie investieren möchte. Mitmenschen, die auf eine geradezu penetrante Weise unentwegt das letzte Wort haben wollen, gehören definitiv nicht dazu…

… So lästig, entnervend, unsympathisch, hinderlich, bisweilen verletzend die beschriebenen Varianten von Gscheidhaferln auch sein mögen, im Vergleich zu einer Unterart sind sie in der Regel geradezu harmlos. Die extremste Form Gscheidhaferln sind ohne Zweifel Verschwörungsschwurbler:Innen und Quer“denker:Innen“. Auch ihnen geht es in erster Linie um das Gefühl der Überlegenheit. Ein verschwörungsschwurbelndes Gscheidhaferl brennt dafür, sich über all die anderen via „Systemmedien“ gleichgeschalteten, und uninformierten Schlafschafe erhaben zu fühlen. Über vermeintlich besondere Kenntnisse und Geheimnisse zu verfügen, hinter die Kulissen zu blicken, angeblich finstere Machenschaften bis ins letzte Detail zu durchschauen. Häufig versuchen sie auf eine geradezu widerwärtig aufdringliche Weise Andere von der Richtigkeit ihrer Fake News und so bizarr irrationalen und unlogischen Ansichten zu überzeugen. Von der gefälschten Mondlandung z. B., der jüdisch-amerikanischen Weltverschwörung, der Klimawandellüge, und dass die Corona-Pandemie nichts anderes sei als eine von Bill Gates geleitete Aktion, einen weltweiten Umsturz herbei zu führen, dass die Erde eine Scheibe wäre (es ist bestürzend, wie viele Leute das tatsächlich ernsthaft glauben!), dass man uns mittels der sogenannten Chemtrails und unseres Trinkwassers mit Gedanken steuernden Psychopharmaka vergiften würde, sowie die Mär, dass durch die Corona-Impfungen den Menschen Mikrochips implantiert würden, um sie leichter kontrollieren zu können. Freundschaften, Beziehungen und Familien zerbrechen unter dem zerstörerischen Einfluss von Verschwörungsschwurbler:Innen. Wie gefährlich gscheidhaferlnde Corona-Leugner:Innen sein können, zeigte sich vor gut einem Jahr, als in Idar-Oberstein ein junger Tankwart erschossen wurde, weil er einen Quer“denker“ dazu aufgefordert hatte, eine Mund-Nasen-Maske zu tragen. Und dass eine vielköpfige Rotte verschwörungsschwurbelnder Gscheidhaferln brandgefährlich sein und buchstäblich über Leichen gehen kann, ist seit dem Sturm auf das US-Capitol am 6. Januar 2021 mit vielen Verletzten und zehn Toten auf drastische Weise erwiesen…

… Investiert man Geduld, Mühe, Stärke und Verständnis, kann man mit vielen Gscheidhaferln zwar nicht unbeschwert aber immerhin halbwegs zurecht kommen. Das alles hilft bei Verschwörungsschwurbler:Innen und Quer“denker:Innen“ nichts. Sobald man gewahr wird, dass man mit vernünftigen Argumenten und Sachlichkeit gar nicht mehr durchdringt, gibt es nur mehr eine sinnvolle Aktion: Den Kontakt abbrechen. Auch wenn das häufig sehr schmerzhaft ist…

 


6 Antworten zu “„Gscheidhaferln“ – die zweite…”

  1. Oh ja, da hat ja tatsächlich ein sehr wichtiger Teil gefehlt 🙂 Ich muss sagen, dass mir leider auch zusehends die Geduld ausgeht, über die absurdesten, blödsinnigsten Theorien zu „diskutieren“. Ich dachte, dass das Nicht-Sterben aller Coronageimpften, das Nicht-Manifestieren der Echsenmenschen, insgesamt das Nicht-Eintreten sämtlicher obskurantistischer Prophezeiungen dazu führen würde, die Lage etwas zu beruhigen. Aber nein. Ganz im Gegenteil zum Impfgegnertum kam noch das Putinverstehen dazu und damit sind solche Debatten gänzlich unerträglich geworden. Unverständlich finde ich auch, warum ausgerechnet Bill Gates, der doch mit Abstand das angenehmste, am sozialsten denkende Mitglied der Milliardärsliga ist, von diversen Schwurblergruppierungen zum absoluten Feindbild auserkoren wurde.
    Die unbedingt recht haben wollenden Gscheidhaferln, die aus dem Nichts angebliche Fakten erfinden, gehören auch zu meinen Favoriten.
    Wie schon gesagt (glaube ich) ist das ein sehr schöner Beitrag, der vieles zusammenfasst !

    • Vielleicht hat man gerade deshalb Bill Gates zum Opfer diverser unsinniger Verschwörungsschwurbeleien gewählt. Weil man neidisch darauf ist, dass er trotz seines immensen Reichtums menschlich und sozial geblieben ist.
      Was mich an den Verschwörungsschwurblern auch ungemein stört ist, dass sehr viele von ihnen politisch sehr weit rechts stehen. Dass Antisemitismus unter ihnen so stark verbreitet ist. Dass man viele Schwurbler:Innen ganz locker und auch berechtigterweise mit Nazis in einen Sack geben kann.
      So eine krankhafte Rechthaberin habe ich in früheren Zeiten mal gekannt. Die hat wirklich gelogen, dass sich die Balken bogen, um ja immer und überall das letzte Wort zu haben und (angeblich) recht zu behalten.
      Vielen Dank!

  2. Danke für die wissenserweiternde Zurkenntnisbringung des bairischen Begriffes “Gscheidhaferl“, welcher mir bisher nicht bekannt war und für den es im ostmittelbairischen auch gar kein gleichbedeutendes Äquivalent gibt, abgesehen von “Obergscheider“. (Eine spezielle Unterart der Spezies Gscheidhaferl stellt übrigens der Fachsimpel dar.) 😉

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