Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Zurück in die Vergangenheit…

… Am Wochenende hat in einer gemütlichen, traditionsreichen Gaststätte in Bad Reichenhall unser 50-jähriges Klassentreffen stattgefunden. Lange hatte ich nach einer spontanen Zusage vor etlichen Wochen überlegt, ob ich überhaupt daran teilnehmen sollte, denn im Laufe der Jahre habe ich die Erinnerungen an jene Zeit beinahe völlig verdrängt, und was mir noch im Gedächtnis geblieben war, waren verschwommene und recht düstere Eindrücke aus meiner Realschulzeit…

… Am Samstag Vormittag machte ich mich gespannt auf die kurze Reise gen Südosten, die mich dank BRB und Deutscher Bahn wieder einmal ordentlich Nerven kostete: Eine Signalstörung unterwegs, mehr als eine Stunde Verspätung, vorzeitiges und überraschendes Ende der Zugfahrt statt im modern ausgebauten Salzburger Hauptbahnhof, wo ich mit meinem Rollator problemlos in die S-Bahn nach Reichenhall hätte umsteigen können, im alles andere als behindertengerechten Bahnhof Freilassing – man hatte uns Passagiere grade mal fünf Minuten zuvor darüber informiert. Als ich endlich händeringend in Freilassing einen (sehr liebenswürdigen) Service-Angestellten der DB aufgestöbert hatte, der mir die steilen Treppen von Gleis 1 zu Gleis 3 hinab und wieder hinauf helfen konnte, war ich eigentlich schon bedient genug, und wäre am liebsten wieder umgekehrt…

… Was für ein Glück, dass ich diesem Impuls nicht nachgegeben hatte! Wie viele andere Mitschülerinnen hatte ich meine Klassenkameradinnen der einstigen Kaufmännischen Realschule St. Zeno der Englischen Fräulein seit 25 Jahren nicht mehr gesehen. Allein beim Identifizieren anhand unseres Abschlussfotos aus dem Jahr 1972 hat es viele Überraschungen, Freude, Lachen und auch manch eine Träne gegeben. Wir hatten uns um drei Uhr nachmittags eingefunden, und saßen bis in den späten Abend zusammen. Und so nach und nach woben wir mit den Erzählungen von den längst vergangenen Tagen unserer Schulzeit einen lebhaften und farbenfrohen Teppich aus Erinnerungen und Eindrücken…

… Ganz besondere Freude hat es uns bereitet, dass eine unserer ehemaligen Lehrerinnen – Mater Moderata von den Englischen Fräulein, kurz Mo genannt – an unserem Treffen teilgenommen hat. Inzwischen an die Mitte Achtzig beeindruckte sie sehr durch ihren nach wie vor glasklaren Verstand, ihre vielschichtigen Interessen und nimmermüde Wissbegierde, und jene mütterliche Wärme, die sie bereits zu unseren Schultagen – damals hatte sie Stenographie und Maschinenschreiben unterrichtet – so besonders gemacht hatte…

… Nur wenige aus unserer Abschlussklasse haben an dem „goldenen“ Jubiläum unseres Schulabgangs nicht teilgenommen, vier einstige Klassenkameradinnen sind leider bereits verstorben. Eine Mitschülerin hatte sogar den weiten Weg aus den USA, aus Virginia, auf sich genommen, um uns zu treffen…

… Trotz aller Heiterkeit und den Geschichten über einstige Streiche und lustige Begebenheiten kamen wir auch immer wieder auf jenen unseligen Krieg zu sprechen, der knapp 2.000 Kilometer von uns entfernt wütet und so unendlich viel bitteres Leid verursacht. Und immer wieder wurde uns bewusst, wie gesegnet wir als Mitglieder jener bislang einzigen Generation in unserem Lande sind, die ohne Krieg aufwachsen und sich entfalten durfte. Das machte diesen Samstag Abend in Bad Reichenhall zu etwas ganz besonders Wertvollem und Bewegendem…

… Wie zwei andere Klassenkameradinnen hatte ich mich im Gasthof Bürgerbräu in Bad Reichenhall über Nacht eingemietet, so konnte ich den Tag ohne jeden Zeitdruck und Anspannung genießen. Zusammen mit etwa einem halben Dutzend früherer Mitschülerinnen saßen wir bis zur Sperrstunde beisammen. Gebannt lauschten wir den Erzählungen einer ehemaligen „Internen“ – so wurden jene Mädchen genannt, die in der Klosterschule untergebracht waren, im Gegensatz zu den „Externen“, die Tag für Tag zum Teil lange Fahrten mit Bus und Bahn auf sich nehmen mussten. Damals, vor fünfzig Jahren, herrschten in der Klosterschule St. Zeno eiserne Strenge und Drill – so etwas würde man heutzutage keinem jungen Menschen mehr zumuten. Im Stillen war ich zutiefst darüber erleichtert, dass ich mich seinerzeit mit aller Kraft gegen die Entscheidung meiner Eltern aufgelehnt hatte, mich als Interne anzumelden…

… Nach einem sehr ausgedehnten Frühstück mit meinen beiden ehemaligen Schulkameradinnen am Sonntag Morgen machte ich mich mit Rucksack, Rollator und Kamera auf den Weg durch die kleine Stadt, um noch mehr meiner Erinnerungen aufzufrischen. Und stand dann irgendwann vor der ehemaligen Kaufmännischen Klosterrealschule der Englischen Fräulein St. Zeno…

… Ich hatte den Gebäudekomplex als viel düsterer und größer in Erinnerung. Das runde Hauptportal in der Mitte des nun sehr ansprechend wirkenden, strahlend weißen Hauptgebäude durften wir als Schülerinnen damals nicht betreten. Wir mussten durch den sogenannten Schuhkeller, der sich rechts hinter dem Hauptbau befand – niemand, der vor fünfzig Jahren in St. Zeno zur Schule ging, wird den Geruch, der dort herrschte, jemals wieder vergessen… 🙂

… Das schöne Seitenportal – auch da blieb der Eintritt Gästen und Würdenträgern vorbehalten…

… Gleich am Eingang zum kleinen Friedhof liegt unsere ehemalige Schulleiterin begraben – Mater Merona Hammerschmidt. Sie war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, von brillianter, messerscharfer Intelligenz, herrschsüchtig, gnadenlos streng, ungemein selbstbewusst. Sie war von kleinem Wuchs und ziemlich rundlich, doch sie konnte überraschend schnell sein. Wenn Mater Merona so rasch durch die weitläufigen Gänge der Schule flitzte, dass der Schleier ihres Habits waagrecht hinter ihr her wehte, dann war höchste Gefahr in Verzug!…

… Sie hatte genaue Vorstellungen, was ihr Ableben anbelangte: Es sollte schnell gehen, sie wollte „kein Fraß für Würmer“ werden, und nicht in Deutschland beerdigt werden, und wenn doch, dann an einem Platz, von dem aus sie alles im Blick haben würde. Unmittelbar nach ihrer Pensionierung fuhr sie in die Schweiz, um dort Urlaub zu machen. Trotz der langen Reise wollte sie sich nach ihrer Ankunft noch auf einen Ausflug begeben. Beim Einsteigen ins Auto brach sie zusammen und verstarb binnen kurzem. Sie wurde in einem Zinksarg zurück nach Bad Reichenhall verbracht. Das einzige freie Grab befand sich direkt neben dem Eingang zum Friedhof, von wo aus man Straße, Kirche und Schule gut übersehen kann. Da es seinerzeit sehr heiß war, wurde sie überaus rasch beerdigt. So hatten sich ihre Forderungen an ihren „obersten Dienstherrn“ beinahe buchstabengetreu erfüllt. – Ganz vorne, unter den blauen Blümchen ist ihre letzte Ruhestätte…

… In der Klosterkirche St. Zeno – die größte romanische Basilika Altbayerns. Rechts hinter dem Chorgestühl gab es einen Verbindungsgang zwischen der Schule, dem Konvent der Klosterfrauen und der Sakristei. Dort hat man uns mehr oder weniger brave Schäfchen immer in die Kirche gelotst, wenn wir an einem Gottesdienst teilnehmen mussten – für uns Externe war das nur einige Male während eines Schuljahrs, die Internen mussten pro Woche insgesamt dreimal zur Frühmessse um sieben Uhr morgens antreten…

… Das Institut St. Zeno der Englischen Fräulein in Bad Reichenhall war früher eine überaus renommierte Kaufmännische Realschule gewesen. Die weltberühmte Filmschauspielerin Vivien Leigh (Vom Winde verweht) hatte zu ihren prominentesten Schülerinnen gezählt. St. Zeno genoss einen solch guten Ruf, dass man bei einer Bewerbung nur zu erwähnen brauchte, dass man dort die Mittlere Reife erlangt hatte, und schon war einem der Job sicher. Was ging das seinerzeit einfach!…

… Ich werde jetzt noch eine Weile in den vielen Erinnerungen schwelgen. Und freue mich jetzt schon auf das nächste Klassentreffen, das in zwei Jahren stattfinden soll…

… Kommt gut in die neue Woche, bleibt bzw. werdet gesund, und habt es fein!…


29 Antworten zu “Zurück in die Vergangenheit…”

  1. Zwei Mal habe ich bisher an Klassentreffen in Deutschland teilgenommen, habe das aber immer mit einem sowieso geplanten Deutschlandaufenthalt verbinden koennen, weil meine Klassenkameraden so freundlich waren, das Treffen an einen fuer mich guenstigen Termin zu legen.

    • Das ist schon etwas ganz Besonderes, wenn jemand von so weit weg bei einem Klassentreffen dabei ist. Mich beeindruckt das sehr. Leider hatte ich es dann irgendwie verpasst, meine Klassenkameradin über ihr Leben in den USA zu befragen. Aber wir haben ja jetzt alle Listen mit den aktualisierten Adressen und Telefonnummern, da lässt sich ein Kontakt schnell herstellen.

  2. Deine Kalssenkameradin lebt also in Virginia – ein sehr geschichtstraechtiger Bundesstaat hier. Der steht noch auf der Wunschliste von Mary und mir fuer die Staaten der USA, in denen wir mindestens 10 Meilen radeln wollen. Vielleicht klappt es im Sommer.
    Was Kontakte angeht: das klappt ja heutzutage auch ganz prima per Internet, mit Skype oder Zoom – oder Aehnlichen – sogar kostenlos per Video. Die Kommunikationstechnik hat doch wirklich gewaltige Fortschritte gemacht.
    Danke fuer Deinen hochinteressanten Bericht ueber Deine ehemalige Schule – und dem „Drum und Dran“. 😉

    • Ja, Virginia hat eine sehr interessante Geschichte…
      Eigentlich war ich nach meiner Rückkehr am Sonntag Abend viel zu faul, um noch zu bloggen, aber dann bin ich gegen ein Uhr wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen. Da habe ich mir gedacht „Da kannst dich jetzt gleich hinsetzen und übers Klassentreffen schreiben.“ 😉 Aber jetzt fallen mir schön langsam doch die Augen zu. 😉
      Gute Nacht, und liebe Grüße!

  3. Unsere Feier zum 50jährigen Abitur ist leider Corona zum Opfer gefallen. Deshalb machen meine Freundin und ich uns im Juni auf den Weg ins Erzgebirge, um die eine oder andere zu treffen.
    Mit unseren Studienfreunden treffen wir uns seit Jahren regelmäßig und haben seit zwe Jahren eine WhatsApp- Gruppe gebildet, in der wir uns über wichtige Ereignisse austauschen. Zu einigen haben sich auch engere Kontakte ergeben, die es während des Studiums so gar nicht gab.
    Schön, dass Du Dich auf die beschwerliche Reise begeben hast und so viel Schönes erlebt hast.

  4. Wie schön! Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass ein Klassentreffen nach so vielen Jahren eine hochinteressante, spannende und emotionale Sache ist.
    Danke für den tollen Bericht und die superschönen Fotos dazu.
    Liebe Margot, ich wünsche dir eine tolle Woche!

  5. So wie sich dein Bericht zum Klassentreffen hier liest, war es doch wider erwarten durch wieder mal DB-Ärger ein voller Erfolg, liebe Martha und das freut mich jetzt ganz besonders!
    Auch ich ging immer wieder mal zu Klassentreffen und war immer über den Werdegang, die Entwicklung ehemaliger Klassenkameraden erstaunt… Und auch ich bzw meine Klasse war zeitweise in einem Mädchenschulhaus untergebracht, unterrichtet von englischen Fräuleins, die größtenteils auch sehr nett waren aber leider nicht mehr leben.
    Ganz toll und sehr interessant zu lesen!!!
    Liebe Grüße und komm gut in die Woche 💖🍀☀️🌼

    • Das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass unser Treffen so wunderbar sein würde… Unter unseren Englischen Fräulein hat es außer Mater Moderata und Mater Merona etliche ausgesprochen bemerkenswerte und originelle Charaktere gegeben. Da sind am Samstag eine Unzahl an Anekdoten erzählt und ausgetauscht worden. Manchmal konnte ich mich vor Lachen schier ausschütten, und manchmal musste ich auch das eine oder andere Tränchen verdrücken…
      Herzliche Grüße zurück!

  6. Wie schön, wenn so ein Treffen nach langer Zeit ein Erfolg ist. Ich bewundere wieder einmal deine energische Umtriebigkeit

  7. Ich hab erst 43 Jahre voll 🙂
    Schön zu lesen, dass die meisten noch leben und kaum jemand gefehlt hat. Das mit der Lehrerin ist natürlich toll.
    Ich hab zu niemanden mehr Kontakt aus meiner Abschlussklasse. Keine Ahnung, ob ich in 7 Jahren etwas bekomme… sollte es ein Jubiläumstreffen geben.

    • Ich hatte so etwas überhaupt nicht auf dem Schirm, und musste völlig verdattert erst einmal nachrechnen, als ich die Einladung bekommen habe. 🙂
      Ich drücke dir die Daumen, denn so ein 50-jähriges Klassentreffen ist schon etwas ganz Besonderes.

      • Ich hab auch eben erst nachgerechnet, nachdem ich deinen Beitrag lesen hatte 🙂

        Schauen wir mal, ob sich in ein paar Jahren da etwas bewegt.

  8. Ich freu mich über dein positives Erleben – nur das Grab find ich persönlich etwas „gruselig“. Wunderschön, dass ihr nach der langen Zeit Anknüpfungspunkte hattet – wer weiß, vielleicht geh ich doch auch mal wieder auf ein nächstes Klassentreffen. Bei den letzten hab ich „geschwänzt“ 😂 ich wünsch dir ein schönes Wochenende mit weiter viel Ruhe und Erholung ❣️

    • Das hat mich sehr erstaunt, dass es eigentlich gar nicht so schwer fiel, trotz der langen Jahre, in denen sich doch recht viele von uns nicht gesehen hatten, in Gesprächen wieder anzuknüpfen.
      Das Grab wollte ich unbedingt erwähnen, weil Mater Merona ihren Tod exakt nach ihren Wünschen bekommen hatte. Das habe ich bislang nur ein einziges Mal bei einem alten Bauern in meinem Heimatort vor gut fünfzig Jahren erlebt.
      Danke schön! Hab du auch ein feines und unbeschwertes Wochenende!

  9. Sounds like a great time, even though it was a difficult experience getting there.
    I wonder if I would go to a reunion?
    xoxo

  10. Wenn ich mir den strahlendweißen Bau da mit dem Torbogen in den 60er Jahren vorstelle, der in der Zeit bestimmt noch in graubraunem Putz dastand – das war wohl damals eine stockfinstere Trutzburg, in die niemand freiwillig ging, in deren Innern es muffig nach feuchtem Keller, Bohnerwachs und Reinigungsmitteln roch. Man fühlt sich ganz klein, wenn man vor dieser riesigen Haustür steht und das war bestimmt auch Zweck dieser Art des Bauens von der Kaiserzeit bis zur Hitlerei, bis noch in die 1950er Jahre. Gottlob hast Du Dich nicht in den Nonnenbunker einsperren lassen, konntest nach dem Unterricht nach Hause fahren.
    Lieben Gruß aus dem Land am Meer vom ollen, grauen Wolf.

    • Nein, weiß getüncht war St. Zeno eigentlich immer schon. Düster stellte es sich in meinen Erinnerungen dar, das wurde allerdings in vielen Erzählungen beim Klassentreffen zu meiner Freude zurecht gerückt. Und finster, muffig und schlecht riechend waren an sich nur der Schuhkeller und der Umkleideraum der kleinen Turnhalle, die übrigens vor ca. dreißig Jahren zu einem IT-Lehrsaal umgestaltet, und durch eine moderne Sporthalle ersetzt wurde – für die man allerdings leider den großen, schönen Kräuter- und Blumengarten opferte…
      Ich habe vor dem Klassentreffen oft darüber nachgedacht, ob sich mein Leben in mancherlei Hinsicht wohl anders, positiver entwickelt hätte, wenn ich mich gefügt und eine Interne geworden wäre. Aber nach den Schilderungen einer ehemaligen Klassenkameradin denke ich auch, dass es trotz allem als Externe besser für mich gewesen ist.
      Liebe Grüße!

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