Neulich, als ich mich bequem mit dem MVV-Bus Richtung der nächst gelegenen Filiale der zum Glück seit Ende Mai wieder frequentierbaren Stadtbibliothek kutschieren ließ, hatte ich folgendes Erlebnis: Ein schmächtiger Mann mittleren Alters stieg nach mir ein, auf seiner weißen Mund-Nasen-Maske stand mit dickem schwarzem Filzstift geschrieben: „Hilfe! Ich bin ein Opfer der Merkel-Diktatur!“ Anstatt sich hinzusetzen ging er ganz nach vorne, lehnte sich über das Flatterband, das den vorderen Bereich des Busses absperrte, und fragte den Fahrer nicht grade höflich, warum man denn nicht mehr bei der ersten Türe einsteigen dürfe. Der Angesprochene entgegnete trocken, dass dies aufgrund der Corona-Maßnahmen seit über zwei Monaten schon so sei. Der komische Kauz brummelte etwas Unverständliches und nahm schräg gegenüber von mir Platz.
Damit begann mein Dilemma. Es kostete mich ein schier übermenschliches Maß an Selbstbeherrschung, dem Typen nicht zu sagen: „Sehen Sie, das ist eine Anordnung von Bill Gates, dem Anführer der amerikanisch-jüdischen Weltverschwörung. Damit wir Schlafschafe nicht mitbekommen, dass sämtliche MVV-FahrerInnen inzwischen gegen Reptiloide aus der Hohlerde ausgetauscht worden sind.“ Ich ertappte mich immer wieder dabei, wie ich den Mund aufmachte, und meinen Kommentar artikulieren wollte. Der Schweiß brach mir aus sämtlichen Poren, so sehr strengte es mich an, die Contenance zu bewahren. Zum Glück hatte ich zwei Haltestellen weiter mein Ziel erreicht. Beinahe fluchtartig verließ ich den Bus…