Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Der „Brokkoli-Fetischist“…

… Folgendes hat sich während meines samstäglichen „Kurzurlaubs“ beim Discounter an der TU München zugetragen:…

… In der Obst- und Gemüseabteilung der nahen Feinkost Li.dl-Filiale: Ein dunkel gelockter junger, etwas verträumt wirkender Mann steht vor der Kiste mit etwa einem Dutzend Broccoli-Köpfen darin. Langsam, ganz langsam nimmt er den ersten heraus, dreht und wendet ihn, und betrachtet ihn überaus sorgfältig, man könnte meinen, er würde mit einer Art Röntgenblick jedes noch so kleine, grüne Röschen durchdringen wollen. Nach einer geraumen Weile legt er den dunkelgrünen Kopf zurück und greift bedächtig nach dem nächsten. Und unterzieht diesen auch einer ungemein peniblen visuellen Überprüfung. So macht er das auch beim dritten, vierten, fünften usw. Inzwischen haben sich zu beiden Seiten des höchst vertieften Jünglings lange Warteschlangen von KundenInnen gebildet, die sich gerne an den nahe der Sprossenkohl-Kiste gelagerten Feldfrüchten wie Radieschen, Kohlrabi, Zucchini, Pak Tschoi, Blumenkohl und Tomaten bedient hätten. Nach dem sechsten Broccoli wird erstes unwilliges Gemurmel laut. Der junge Mann lässt sich allerdings in keinster Weise davon beirren, grade mustert er den siebten Ballen, eine gefühlte Ewigkeit vergeht, bis er im Zeitlupentempo nach dem achten greift. Lautes und vielstimmiges Räuspern wogt unüberhörbar durch die Obst- und Gemüseabteilung. Die Schar der Wartenden nimmt beständig zu, der empfohlene Mindestabstand wird da schon lange nicht mehr eingehalten. Auch Broccoli-Kopf Nummer Neun hat die intensive Inspektion leider nicht bestanden. Aus dem Räuspern ist mittlerweile unverhohlenes Schimpfen geworden. Ich überlege mir allen Ernstes, von meinem Gehstock den Gummipuffer abzuschrauben, und dem Kerl mit der stählernen Spitze einen kräftigen Stoß in den zugegebenermaßen ziemlich knackigen Allerwertesten zu versetzen…

… Endlich, endlich, endlich, nach Broccoli-Kopf Nummer Zehn, hat der Lockenkopf ein Einsehen! Er wirft ihn zurück in die Kiste, greift flugs nach Broccoli-Kopf Nummer Eins und trollt sich…

… Als Supermarkt-Kundin in Zeiten von Corona hat mich das Verhalten des dunkel gelockten jungen Mannes erbost, das zeugte schon von einem gerüttelt Maß an Rücksichtslosigkeit. Als philosophisch angehauchte Zeitgenossin treibt mich nun allerdings auch die Frage um, warum der Jüngling jeden Brokkoli einer so intensiven Prüfung unterzogen hat. Wartet zuhause vielleicht eine überaus kritische Lebensgefährtin auf ihn? Fürchtet er, man würde ihm während des Wochenendes sämtliche Liebesfreuden verweigern, sollte der mitgebrachte Brokkoli nicht absolut makellos sein? Oder droht gar eine despotische Mutter mit Stubenarrest, falls die in akkurater Handschrift aufgelisteten, mitgebrachten Einkäufe nicht den höchsten Erwartungen entsprechen würden? War dieses gesunde, tiefgrüne Gemüse vielleicht als Model für ein Stilleben in Öl oder Pastell gedacht? Ziert es nun gar anstelle eines frühlingshaften Blumenstraußes eine schöne, gediegene Vase? Ist das Bürscherl vielleicht gar so was wie ein Brokkoli-Fetischist?…

… Ich fürchte, ich werde niemals eine Antwort auf meine Fragen bekommen. Es sei denn, der dunkel gelockte, junge, etwas verträumt wirkende Mann läuft mir nächste Woche wieder über den Weg. Ich habe mir schon fest vorgenommen, mich nicht davor zu scheuen, ihn auf sein merkwürdiges Verhalten an der Brokkoli-Kiste anzusprechen… 😉

… Habt einen schönen Sonntag – und bleibt gesund!…


27 Antworten zu “Der „Brokkoli-Fetischist“…”

  1. Wobei es fast zu schade wäre, wenn deine philosophischen Ansätze durch ein profanes „Ich nehme nur den, der perfekt ist“ zunichte gemacht werden …? Hach, diese Zeiten sind für Beobachter des Alltags Freud und Leid zugleich 🤪😜😇 liebe Grüße und bleib gesund 😘

  2. Man darf nich darüber nachdenken, wieviele gelockte oder glatthaarige Menschen den Broccoli ( Paprika, Gurke etc)schon vorher händisch unter die Lupe genommen haben und das ganz unabhängig von Corona. 🙈
    Mir fällt gerade das Bild vom letzten Jahr ein, wo der Erdbeerpflücker aus dem Dixie-Klo am Feldrand kommt, sich seinen Korb schnappt und Erdbeeren pflückt. 😋

    Schönen Sonntag😀🙋🏻‍♀️

    • Nein, denn dann würde man vielleicht entsetzt und angeekelt aus dem Laden stürmen… Noch nie war Obst und Gemüse vor dem Verzehr gründlich waschen so angesagt wie zur Zeit…
      Dito, liebe Gabi! 🙂

  3. Eine Beobachtung die mir nicht ganz unbekannt ist . Hier sind es im besonderen unsere südländischen Mitbewohner, die Obst und Gemüse einer solchen Prüfung unterziehen . Oft sind es Melonen, die immer wieder in der Hand abgewogen, abgeklopft und begutachtet werden. Ist es vielleich eine andere Wertschätzung, ein anderer Bezug zum Lebensmittel Gemüse, den diese Menschen habe.
    Häufig ist es uns doch egal woher und mit welchem Aufwand von Arbeit unser Gemüse angebaut wird. Noch gleichgültiger sind wir beim Fleisch, ohne uns Gedanken zu machen, woher es stammt oder wie das Tier gelebt hat, landet das Stück Fleisch im Warenkorb. Oft ist hierbei nur der Preis, der von Interesse ist. Vielleich sollten wir bei der Beschaffung unserer Lebensmittel den gleichen Maßstab ansetzen, wie beim Kauf eines Weihnachtsbaum . Hier kannst du dann die gleichen Beobachtungen machen, wie du sie unlängst in deiner Lidl- Filiale gemacht hast. Drehen , wenden, schauen, eine andern Baum prüfen und noch ein, bis alle Bäume des Verkäufers durch sind😊
    Hab einen schönen Sonnonntag
    Gruß Werner.

    • Na ja, den Reifegrad einer Melone kann man nun mal durch Abwägen und Abklopfen erkunden, egal, ob Süd-, Ost-, West- oder Nordmitbewohner. 😉
      Wir sind nicht allesamt gleich gut situiert. Und für die Mitmenschen, die von HartzIV bzw. Grundsicherung nach SGB XII abhängig sind, oder von sogenannten Billiglöhnen leben müssen, spielt der Preis sehr wohl eine Rolle. Vielleicht sollte man mal richtig ernsthaft über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in für jeden Menschen ausreichender Höhe nachdenken. Dann wäre der Anspruch an die Qualität eines Lebensmittels, sprich, der teurere Preis ganz schnell ein ganz hoher…
      Diese Geschichte hat sich im übrigen nicht ganz so drastisch abgespielt, aus dramatischen Gründen habe ich sie etwas überspitzt dargestellt. 😉
      Ich wünsche dir auch einen schönen Sonntag!

  4. Ich habe mich beim Lesen lebhaft amüsiert, im Supermarkt platzt mir allerdings in solchen Fällen auch manchmal die Hutschnur in solchen Fällen, aber ich kann das ganze nicht so poetisch rüberbringen. Vielleicht hatte der Knabe ja auch einen Knopf im Ohr und hörte dem lieblichen Gesäusel seiner allerliebsten verzückt lächelnd zu… Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag.

    • Das freut mich, liebe Hedwig!… Ich war gestern auch kurz vor der verbalen Explosion. 😉
      Das kann auch gut sein, dass der Jüngling seiner Liebsten schmachtend zuhörte.
      Danke, das wünsche ich dir auch, liebe Hedwig.

  5. Köstlich! Die Geschichte ist so richtig aus dem Leben gegriffen und es hat Spaß gemacht, sie zu lesen 🙂 Hab einen schönen Sonntag und bleib gesund!!! Liebe Grüße, Trina

  6. Also war der erste schon perfekt!
    Aber ist es nicht so, dass viele denken, es könnte ja doch noch, vielleicht, eventuell, möglicherweise etwas Besseres kommen?
    Das kann einem bei der Suche nach dem perfekten Brokkolii passieren oder auch bei der Suche nach dem perfekten Mann….

    • Da gibt es doch die Geschichte mit dem Kaufhaus…

      In der ersten Etage öffnen sich die Fahrstuhltüren
      “Willkommen auf der ersten Etage! Die Männer hier haben alle einen festen Job!” Die Frau freut sich. Das ist ja heutzutage nichts Selbstverständliches mehr! Aber andererseits das Kaufhaus hat ja noch fünf weitere Stockwerke! Also wieder rein in den Fahrstuhl, weiter geht es!

      “Willkommen auf der zweiten Etage. Alle Männer hier haben einen festen Job und sehen toll aus!” Die Frau jubelt! Super! Gleich aussteigen und einen schnappen … obwohl … Was kommt da noch?

      In der dritten Etage hört sie: “Willkommen in der dritten Etage! Die Männer hier haben alle einen festen Job, sehen toll aus und lieben Kinder!” Jetzt aber, denkt sich die Frau! Besser geht ja wohl nicht! Aber irgend etwas hindert sie am Aussteigen. Sie ist einfach zu neugierig, was noch so alles kommt! Also fährt sie noch ein Stockwerk höher.

      “Willkommen in der vierten Etage! Die Männer hier haben alle einen festen Job, sehen toll aus, lieben Kinder und sind sehr romantisch!” Okay, okay, denkt die Frau, jetzt haben wir alles, jetzt muss ich aussteigen. Aber andererseits .. es gibt doch noch zwei weitere Stockwerke! Wer weiß, was da noch kommt?

      “Willkommen in der fünften Etage. Die Männer hier haben alle einen festen Job, sehen toll aus, lieben Kinder, sind sehr romantisch, helfen GERNE im Haushalt mit und sie fragen Frauen immer nach Ihrer Meinung!”
      Die Frau kann´s nicht fassen. Dass es sowas wirklich gibt! Jackpot! Die Emanzipation hat gesiegt! Aber andererseits – nein, sie muss wissen, was es da oben im sechsten Stock noch gibt! Die Neugier bringt sie schier um! Also ab in den sechsten Stock.

      Hier ändert die Männerstimme ihren Klang und bemerkt spöttisch: “Willkommen in der sechsten Etage, Ladies. Auf dieser Etage gibt es nur leider keine Männer. Sie dient lediglich zum Beweis dafür, dass Mann es Frauen niemals Recht machen kann!”

  7. Eigentlich könnte ich Leuten, die alles andrücken, anfassen und dann wieder hinlegen, eins auf die Pfoten hauen. Das ist dann nämlich schnell nicht mehr verkäuflich. Besonders gehasst habe ich in meiner Zeit im Bioladen die Avocado-Tester. Aber Deine Betrachtungen haben mich auch schmunzeln lassen

    • Das geht mir genauso. Das Beobachten des Brokkoli-Fetischisten hat mich gestern schon sehr viel Selbstdisziplin gekostet. 😉
      Avocado-Tester, ja, genau! Oder die Wassermelonen-KlopferInnen!

  8. Da hätte ich vermutlich etwas sagen müssen. Ich habe tatsächlich mal eine Ausländerin gebeten, das nächste, was sie in die Hand nimmt zu kaufen. Sie hats zwar nicht getan, aber ich habe mich wohler gefühlt 🙂

  9. Das muss ein riesiger Familienclan sein, der über das ganze Land verteilt ist. Egal wo ich bin, sind solche Leute da.
    Aber der Jüngling im lockigen Haar musste das machen. Das ist das neue Online einkaufen. Knopf im Ohr und Google-Kamera Brille. Und dann geht „Mann“ ferngesteuert von „Frau“, die zuhause Coronageschützt auf dem Sofa sitzt, als wandelnde „Webcam“ durch den Markt, zeigt alle Produkte durch die Webcam und holt sich die Anweisungen via Kopfhörer. 😉

    • Da fällt mir der „Tomaten-Mann“ ein, den ich vor einigen Monaten im kleinen Supermärktchen am Eck mal beobachtet habe. Mit seinem Smartphone fotografierte er jede, aber auch wirklich jede Frucht in der großen grünen Kiste mit den Strauchtomaten, sandte die Bilder seiner Liebsten, und diskutierte dann höchst ausgiebig mit der Dame, welche der geknipsten Tomaten er denn jetzt kaufen soll. 😂

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