… Wenn man sich im Rentenstand befindet, kann man schon auch mal auf krause Ideen kommen. So fasste ich vor einer Weile den festen Entschluss, meine Bude mal ordentlich zu entrümpeln und auf Vordermann zu bringen. Allerdings als eine Art Langzeitprojekt, immer schön langsam und gemütlich, ja keinen Stress aufkommen lassen! Deshalb begann ich vor ein paar Tagen mit dem gemächlichen Sichten, Sortieren und Ausmisten alter Akten. Und dabei geriet mir unversehens ein Foto in die Hände, das mich vor ungefähr siebenunddreißig Jahren zeigt, als kühne “Fliegerbraut” an der Segelflugschule Unterwössen…
… In meinen jungen Jahren hatte mein Leben so manch wilden Haken geschlagen. Nach einer gescheiterten Beziehung und beileibe nicht dem ersten – und auch nicht dem letzten – Zerwürfnis mit meinen Eltern lebte ich einen Sommer lang quasi als Obdachlose, meine gesamte Habe befand sich in meinem kleinen roten Fiat 128. Dort, auf der sehr schmalen und unbequemen Rückbank, schlief ich auch gelegentlich. Oder aber heimlich in einer der verschwiegenen, selten genutzten Unterkünfte für Fluglehrer hinter dem Hangar der Flugschule – der äußerst gutmütige Hausmeister und Monteur hatte mir, nachdem er mich ein wenig ausgeforscht hatte, verstohlen einen Generalschlüssel zugesteckt. Oder aber bei einer meiner “heissen” Affären, die ich in jener Zeit laufen hatte. War ich bei Kasse – ich hatte einen Gelegenheitsjob als Aushilfskellnerin in Reit im Winkl, glänzte aber nicht unbedingt durch Zuverlässigkeit – dann nächtigte ich in einem Unterwössener Hotel…
… Trotz dieser eher widrigen Umstände war jener Sommer einer der schönsten meines Lebens, eine wilde, bunte, verrückte, atemberaubend spannende Zeit. Ich war regelrecht süchtig nach dem Segelfliegen, nach diesem rauschähnlichen, befreienden, verzückenden Gefühl, wenn die häufig schon recht betagten, größtenteils aus Holz und lackiertem Tuch bestehenden Maschinen mit ihren endlos langen Tragflächen sich am Startplatz vom Boden lösten, gezogen vom Seil der einige hundert Meter entfernt stehenden Motorwinde. Kurz schabte der Bauch des Fliegers noch am Asphalt, und dann stieg man steil in den klaren, sich über einem wölbenden Himmel hoch, so schnell, dass es in den Ohren knackte, und der Blick glitt immer wieder von den Instrumenten im Cockpit in das unfassbar lockende, makellose Blau des Firmaments. Und oben dann, wenn sich der Haken des Zugseils gelöst hatte – was für eine Ruhe, was für ein Frieden, was für ein Glück! Die einzigen Geräusche waren das Säuseln und Rauschen der sommerwarmen Luft, die man mit den Tragflächen durchschnitt…
… Jeden Abend gab es eine Party auf dem großen Feuerplatz inmitten einer Waldlichtung nahe des Flüsschens Tiroler Achen. Denn beinahe täglich flog sich ein/e Mitschüler/in frei, will heissen, bestand den ersten Alleinflug. Wir grillten, sangen, fachsimpelten, liebten intensiv, tranken noch intensiver, oft bis in die frühen Morgenstunden. Und dann schritten wir durch den duftenden Wald, der mit ungezählten, in der frühen Sonne wie Diamanten glitzerten Tautropfen geschmückt war, Richtung Hangar, wuschen uns an einem uralten, ramponierten Spülbecken die Nacht und den Alkohol aus dem Gesicht, rollten die großen Tore auf, und bugsierten die Maschinen ins Freie, um sie durchzuchecken…
… Wer zu tief ins Glas geschaut hatte, wurde von den Fluglehrern dazu verdonnert, am Steuer eines sogenannten Lepo, einem Rückholfahrzeug, in der Regel waren das aus dem Verkehr gezogene Schrottautos, die Flieger von der Landebahn zurück zum Startplatz zu ziehen. Bis dann – endlich, endlich! – am späten Nachmittag die vertraute, langgliedrige Gestalt des Lieblingsfluglehrers auf einen zuschlurfte und knurrte: “Mach’ dich langsam fertig, Küken. Wir starten in einer halben Stunde mit der alten ASK 13.”…

… Und davon erzähle ich euch demnächst…