Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Fundsachen…

… Wer bei uns im Haus etwas nicht mehr braucht, aber nicht wegschmeissen will, der stellt diese Dinge auf den Sims über dem Heizkörper im Eingangsbereich oder in die Nische daneben. Wer will, darf sich gerne gratis bedienen. Auf diese Weise habe ich schon einige gute Schnäppchen gemacht. Vor zwei Jahren etwa wollte jemand aus der Nachbarschaft eine recht betagte aber tadellos funktionierende Küchenmaschine loswerden. Ich fackelte nicht lange, und griff mir das Teil, obwohl ich Gemüse und Obst in der Regel per Hand zerkleinere, das ist weniger umständlich und erfordert auch weitaus weniger Reinigungsarbeiten danach. Aber diese Küchenmaschine hat etwas ganz Besonderes: Eine rotierende Scheibe, die, wenn man sie in die Rührschüssel setzt, vibrierend und ratternd Sahne binnen weniger als einer halben Minute stocksteif schlägt. Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue! Auch ein formidabler, kaum abgenutzter, herrlich rückenfreundlicher Bürostuhl, sowie Teller, Gläser sowie Salatschüsselchen gingen mir bereits ins Netz. Und immer wieder Bücher – ein sehr umfangreicher Bildband über Leonardo da Vinci zum Beispiel. Oder ein durchaus spannend und gut geschriebener Science-Fiction-Roman eines unbekannten Autors, publiziert in einem winzigen No-Name-Verlag. Die Geschichte handelt von Anthropologen, die im dichtesten Dschungel Zentralafrikas ein kleines Dorf entdecken, in welchem eine Handvoll Neandertaler überlebt hat. Das Forscherteam entführt eine der Frauen und verfrachtet sie nach Amerika, wo sie in Labors unsägliches Leid und Grausamkeiten erdulden muss, bis eine der Anthropologen sich ein Herz fasst, und sie wieder zurück in die Heimat bringen lässt…

… Vor einigen Wochen schnappte ich mir zwei Büchlein, die so klein waren, dass sie bequem in die Innentasche meines Dienstjacketts passten – perfekt für die Arbeit, denn wir dürfen im Museum natürlich nicht lesen. Irgendwie muss man aber die Zeit bis zum Eintreffen der ersten Besucher/innen überbrücken – und das kann je nach Standort und Abschnitt über eine Stunde dauern. Die Verfasserin beider Romane heisst Rachel Joyce, eine Engländerin, die zuerst als Schauspielerin und danach als Hörspielautorin arbeitete. Mit ihrem 2012 erschienenen Erstling „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ erlangte sie ihren ersten weltweiten Erfolg. Bald darauf folgte die Fortsetzung „Das Geheimnis der Queenie Hennessy“…

… Es hat nur wenige Seiten gedauert, dann hatte ich mich in „Die unwahrscheinliche Pilgerreise…“ verliebt. Es hat mir beinahe körperliche Schmerzen bereitet, an jenem Morgen beim Eintreffen der ersten Touristen das Buch zuzuklappen und im Jackett zu verstauen. – Harold Fry ist ein unauffälliger, linkisch und schüchtern wirkender Mann Mitte Sechzig, der viele Jahre als Verwaltungsangestellter in einer Brauerei gearbeitet hatte, und vor kurzem in Rente gegangen war. Eines Tages erhält er die Benachrichtigung einer ehemaligen Kollegin – Queenie Hennessy – die einzige Person, zu der er je etwas wie tiefe Freundschaft empfunden hatte, dass sie unheilbar an Krebs erkrankt sei und in einem Hospiz in Newcastle im nördlichsten Winkel Englands auf den Tod warten würde. Eigentlich will der völlig unsportliche Harold lediglich ein in knappen und dürren Worten abgefasstes Schreiben an Queenie, die er seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen hat, in den nächsten Briefkasten werfen – doch dann entschließt er sich spontan dazu, die ca. 1.000 km lange Strecke von Südengland bis Newcastle zu Fuß zu gehen. Siebenundachtzig Tage dauert sein Marsch der Hoffnung für seine einstige Kollegin und Freundin. Während seiner Wanderung stellt er sich zum ersten Mal seit langer Zeit einem entsetzlichen Schicksalsschlag, der vor langer Zeit sein Leben und das seiner Frau so hart getroffen und aus der Bahn geworfen hatte. Als er das Hospiz endlich völlig abgezehrt erreicht, kann er zwar ganz kurz mit Queenie sprechen, doch sie stirbt im Laufe der folgenden Nacht. Harold und seine Frau Maureen, die ihm nach langem Hadern, viel Spott und Zorn endlich nachgereist war, entdecken, dass ihre Liebe zueinander doch nicht völlig erkaltet ist, sie wagen einen Neuanfang…

… Ich habe dieses Buch förmlich verschlungen. Die Sprache ist so wunderschön, lyrisch, poetisch, vor allem wenn Rachel Joyce über die Natur schreibt, die Harold während seiner Reise umgibt, und für die er sich zusehends öffnet. Auch schildert sie die Schicksale von Harold und Maureen, dessen Sohn David, des Nachbarn Rex, und all der vielen Menschen, deren Bekanntschaft Mr. Fry auf seiner Pilgerreise macht, sehr warmherzig und einfühlsam und lebensnah…

… Die Fortsetzung handelt ausschließlich von Queenie Hennessy. Während sie auf Harold Fry wartet, und unaufhaltsam die letzten Lebensfunken verglimmen, versucht sie, diesem Mann, den sie so unendlich geliebt hatte, einen Brief zu schreiben. Sie schildert sehr eindringlich ihre Gefühle, und auch, wie eng ihr Schicksal mit dem des jungen David, Harold und Maureens Sohn, verknüpft gewesen war. Auch dieses Buch ging mir beim Lesen sehr zu Herzen, vor allem der unerwartete Schluss…

… Vielleicht erfahre ich eines Tages, welche/r meiner Nachbarn/innen diese Bücher auf den Heizungssims im Erdgeschoss unseres Hauses gelegt hat, ich würde mich so gerne bei dieser Person für die große Freude bedanken, die sie mir damit gemacht hat…

 


21 Antworten zu “Fundsachen…”

  1. Wie schön!
    Ich drücke dir die Daumen, dass du auf dem Sims für dich noch so manch schönes „Ding“l entdeckst !
    Sonnige Grüße aus dem Bergischen Land …
    von Rosie

    • Danke, liebe Rosie. 🙂 Das ist oft ein bisschen wie Weihnachten, wenn ich durchs Haus gehe und sehe, dass da wieder jemand etwas auf den Sims bzw. in die Nische gestellt hat. 😉
      Regengrüße aus München! <3

    • Ich weiß nicht, wer das aufgebracht hat, aber das wird hier im Haus schon seit vielen Jahren so gemacht.
      Die beiden Bücher von Rachel Joyce zählen zum Besten, was ich seit ewigen Zeiten gelesen hab‘.
      Liebe Grüße!

  2. ich bin begeistert über die gute idee, unbenötigte dinge auf den sims legen zu können. da hätte ich auch oft einiges oder würde mir besonders bücher wegnehmen und auch hinlegen.
    die berührende geschichte von harold frey habe ich auch gelesen. wunderbar!

    • Ich werde morgen einige Bücher auf den Sims platzieren, die ich gelesen, aber eigentlich nicht so gut befunden habe, um sie meiner inzwischen recht umfangreichen Bibliothek hinzu zu fügen. 😉

  3. Das machen wir Nachbarn bei uns im Haus auch. Und zufällig mag der oder die auch Krimis so wie ich. Letztens war auch ein Buch von Stephen Hawking für mich dabei. Nun warte ich darauf, dass irgendwann einmal zwei hübsche alte Likörgläser dort unten stehen. Aber bisher hat noch keiner welche hingestellt.
    Ich finde so etwas von Nachbarn sehr nett.

    • Ich möchte ja nicht unzufrieden erscheinen, aber ich warte bereits seit langem schon darauf, dass mal jemand richtig schöne, große Cocktailschalen auf den Sims stellt. 😉 Mir würden da auch zwei durchaus genügen. 😉

  4. Danke! Wie immer ist bei Ihnen schon eine Geschichte über hier Geschichten eine fesselnde story. Wie wäre es, wenn Sie sich einen „Knopf im Ohr“ gönnen? Für Hörbücher! Davon ausgehend, dass Ihre Dienstkleidung in dezentem du.-blau oder du.-grau gehalten ist, wären Sie dann eine „Frau in Blau/ Grau“. LOL Beste Wünsche zum Tag. Michael

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