Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Alltags-Rassismus – und die Frage nach dem Warum…

Mein Beitrag zur 2. Blogparade „Schreiben gegen Rechts“

… Frau J., schlank, mittelgroß, mit weißblondem Pagenkopf, Anfang Sechzig. Recht gut situiert. Hat nahe der Stadtmitte eine hübsche Wohnung, eine Witwenrente, und ein nicht unbeträchtliches Sümmchen von ihrer jüngst verstorbenen Mutter geerbt. Hat „Mein Kampf“ gelesen, und sich beinahe schon ekstatisch darüber gefreut, dass dieses „grandiose Buch“ jetzt endlich wieder in Deutschland erhältlich sei. Wenn vor Dienstbeginn im Museum über den Zweiten Weltkrieg und Deutschlands entsetzliche Rolle dabei diskutiert wird, gerät sie in Wut, und erklärt lautstark, dass „jetzt endlich mal Schluss mit dem Getue sein muss! Ich habe das nicht verbockt, und ich fühle mich für diese Zeit von 1933 bis 45 auch nicht verantwortlich!“ Hatte neulich beinahe einen hysterischen Anfall: „Du, stell dir vor, die Firma stellt jetzt auch Muslime ein!“ – „Das tut unsere Firma schon seit ewigen Zeiten.“ – „Ja, aber junge und unverheiratete!“ – „Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst.“ – „Also, ich habe mich mit dem Koran mal näher befasst. Das ist ja furchtbar! Mit so einem will ich nicht zusammen Dienst schieben müssen!“ – „Ich arbeite seit über vierzig Jahren mit Menschen aus aller Welt und sämtlichen Ethnien zusammen, und die negativen Erlebnisse im Umgang mit Leuten aus anderen Kulturkreisen und Religionen kann ich ganz locker an den Fingern einer Hand aufzählen. – Hör bitte auf, mich gegen Muslime aufhetzen zu wollen, das zieht bei mir nicht!“ – „Ich werde wohl noch meine Meinung sagen dürfen!“ – Ich habe dich weder um deine Meinung gebeten, noch muss ich diese teilen.“…

… Warum, Frau J., warum?…

… Herr L., pensionierter Beamter, Anfang Siebzig. Ebenfalls ziemlich gut situiert. Seinen eigenen Angaben zufolge einer der kompetentesten Fußball-Historiker Deutschlands. Hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Ist der Meinung, dass „die ganze Herumrennerei in fremde Länder ein kompletter Schmarrn ist. I bin stolz drauf, no nia im Ausland gwesen zu sein, mir reicht mein schönes Bayernland.“ Betont im Gespräch sehr gerne die Überlegenheit der Deutschen im Allgemeinen und Bayern im Besonderen über „des ganze daher gelaufene Ausländergschwerl(pack).“ Hat sich vor einigen Wochen furchtbar über einen jungen, schwarzafrikanischen Kollegen echauffiert: „Dem hat sei Vater jahrelang a Weltreise finanziert! A so a Schmarrn! De soin dahoam bleibn, de schwarzn Mulitreiber und Ziegnfresser, und uns in Ruah lassn!“ Spricht nicht mehr mit mir, nachdem ich geäußert habe, dass ein längerer Aufenthalt im Ausland jedem gut tun, und vor allem die Sichtweise positiv verändern und Verständnis gegenüber anderen Kulturen fördern würde…

… Warum, Herr L., warum?…

… Frau V. und Frau O., beide so streng katholisch, dass sie jedesmal, wenn sie die Empore der Hofkapelle queren, in die Knie sinken und Kreuzzeichen schlagen. Sie sind vor etlichen Jahren aus Russland eingewandert. Sind zusammen mit der Griechin M. der Ansicht, dass uns die Flüchtlinge binnen weniger Jahre nicht nur sämtliche Haare vom Kopf gefressen, sondern auch alle Frauen und Kinder geschändet, und Deutschland bis in die entlegendsten Winkel islamisiert haben werden. Außerdem seien die Asylanten gar nicht so arm, wie die immer tun, da jeder von denen ein Handy sein Eigen nennen würde. Auf meine Fragen, wie sie denn mit ihren Familienmitgliedern daheim Kontakt halten würden, würden sie wegen eines Krieges oder einer furchtbaren Naturkatastrophe von hier fliehen müssen, und wie sich ihre Einstellung mit dem christlichen Gebot der Nächstenliebe vereinbaren lässt, das im Neuen Testament so einige Male besonders erwähnt wird, habe ich bis zum heutigen Tage keine Antwort erhalten…

… Warum, Frau V., Frau O., Frau M.?…

… Warum machen deutsche Besucher/innen unseres Museums hinter dem Rücken teilverschleierter muslimischer Frauen abfällige, rassistische Bemerkungen? Warum schimpft der Obst- und Gemüsehändler in meinem Haus so häufig über „das Drecksausländerpack“? Warum erfinden deutsche Kollegen/innen bösartige Gerüchte über ausländische Mitarbeiter/innen? Warum weigern sich manche deutsche Kollegen/innen, mit ausländischen Mitarbeitern zu kooperieren? Warum sind inzwischen so viele Menschen auf dem rechten Auge blind?…

… Warum?…


19 Antworten zu “Alltags-Rassismus – und die Frage nach dem Warum…”

  1. Ja, liebe Margot, in meiner Heimat Sachsen soll das ja daran liegen, dass die DDR-Bürger keine Demokratie gelernt hätten, meinen jetzt viele kluge Menschen erkannt zu haben. Aber bei Euch, im erzkonservativen Bayern? ich kann nur vermuten, dass die Menschen voller Neid und durch die Medien geschürte Angst sind. Da steckt mit Sicherheit Methode dahinter, denn Angst macht die Menschen bekanntlich manipulierbar. Und irgendwie hat Euer Seehofer da auch seine Aktien dran. Ich bin schon sehr gespannt, wie das mit der Regierungsbildung weitergeht, Liebe Grüße und Hut ab für Deinen Mut für solch kritische Gespräche

    • Solche Sprüche, solches Gedankengut hat es auch in meiner Heimat immer schon gegeben, liebe Hedwig. Wenn sich die alten Kriegsveteranen vor vierzig Jahren in ihrer Stammtischwirtschaft versammelten, dann hat man sich schon mal den „oidn Adi“ zurück gewünscht, denn so schlimm sei der ja in Wirklichkeit gar nicht gewesen. Oder man hat sich damit gebrüstet, wie viel „Russnweiba“ und „Franzmänner“ man angeblich vergewaltigt bzw. erschossen hatte. Aber das waren Stammtischsprüche, in der Regel abgesondert, wenn man schon mehr als genug Halbe Bier intus hatte! Inzwischen kommt es mir so vor, als seien fremdenfeindliche und politisch rechte Parolen sozusagen salonfähig! Als würde man nicht dazu gehören, wenn man sich diesem Tenor nicht anschließen, ja, sogar entgegen stellen würde!… Ich habe schon einige Male zu hören bekommen, dass man „dieses linksversiffte Gutmenschengesocks“, das gegen die Pegidioten etc. in München protestieren würde, „zusammen mit diesem Asylantengesindel vergasen oder abknallen sollte“. Da ballt sich in mir schon stets ein Knoten aus Zorn zusammen. Und es kommt mir stets ein altes arabisches Sprichwort in den Sinn: „Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter.“ 😉
      Liebe Grüße!

  2. Leider sind solche Gespräche keine Seltenheit, ich habe sie auch schon erlebt.
    Warum?
    Da gibt es sicher viele Gründe und jeder Einzelne hat seine eigene mehr oder weniger oder nicht mal ansatzweise reflektierte Überzeugung.
    Die Medien spielen eine nicht geringe Rolle, aber Vorurteile bauen sich nicht im Übernehmen irgendwelcher Äußerungen ab, sondern nur im Er-Leben und in der gemeinsamen Auseinandersetzung.
    Nur so ist Annäherung möglich, Verständnis füreinander und ein wirkliches Miteinander.

    • Dass es durchweg keine armen Leute sind, sondern solche, die mit dem, was sie haben, eigentlich ein schönes und zufriedenes Leben führen können, erschüttert mich stets am meisten, wenn ich mit solch rechtslastigen Äußerungen konfrontiert werde. Und völlig aus den Socken haut es mich jedesmal, wenn ich feststellen muss, dass sogar jene, die selber zu uns eingewandert oder auch geflohen sind, gegen Asylsuchende hetzen und rechtes Gedankengut verbreiten…
      Schwierig sind die Auseinandersetzungen mit jenen Menschen, sehr schwierig. Da ist die braune Beitze schon so tief eingezogen, dass selbst die besten Argumente nicht mehr durchdringen.

      • Ich verstehe dich sehr gut, ich hatte am vergangenen Freitag ähnliche Gespräche mit jemandem, dem es gut gehet und auf solche einem platten Niveau argumentierte, dass es mir die Sprache verschlug.

        Auch wenn es sehr müßig ist, sollten wir immer wieder neu dagegenhalten. Wir werden niemanden bekehren können, aber auch eine andere Sichtweise präsentieren dürfen. Vielleicht denkt der Eine oder Andere wenigstens nach!

  3. Wenn solche Gespräche nicht so wahr, so allgegenwärtig und real wären … man müsste eigentlich tief traurig sein, dass es solche Menschen gibt, oder? Und mit Wut kommt Sprachlosigkeit daher, die keinen weiterbringt. Wie kann man so empathielos und dumm sein? Danke Martha … du bist immer so klar und traust dich unbequem zu werden – Respekt!

  4. Da sollten unsere lieben Politiker_innen einmal klare Worte auch und vor allem in deren Vereinigungen finden. Wenn man wie ca. zwei Jahre zurückliegend hier in der Gegend eine „Veranstaltung gegen Rechts“ in eine „Veranstaltung für Toleranz“ umbenennt zeigt mir dies, dass hier etwas im Argen liegt. Natürlich gab vom „Hofmarschallamt“ dieser Stadt keinerlei Erklärung/ Rückantwort, welche dies zumindest im Nachhinein sinnvoll erklären hätte können. ;-( LG Michael

    • Tja, Obergrenze darf ja nun auch nicht mehr Obergrenze genannt werden… Wie kann aus solch faulen Kompromissen eine Regierungskoalition entstehen, die im Sinne des Volkes handelt?…

  5. das ist ja ein ding! selber eingewandert und katholisch und dann solche sprüche. unglaublich!
    ich habe einen lieben schwarzen, kubanischen schwiegersohn, der mit meiner tochter und den gemeinsamen süßen mischlingskindern in wien lebt. leider hat er schon viele anfeindungen bekommen und ist auch in der u-bahn von rechtsradikalen zusammengeschlagen worden .

    ich glaube, menschen, die so arg ausländerfeindlich sind, haben ein total schlechtes selbstbewußtsein und enorme ängste, dass ihnen etwas genommen werden könnte von ihrem wohlstand und besitz. viele politiker tun aber auch alles dazu um solche ängste zu schüren.

    • Ja… Als ich das hörte, war ich fassungslos. Eigentlich sollten Menschen, die selbst einen Migrationshintergrund haben, doch eigentlich Verständnis für Flüchtlinge aufbringen…
      Furchtbar… Wie können Menschen einander so etwas antun…
      In einem deutschen Song heisst es so schön, dass Ausländerfeindlichkeit und politisch rechte Einstellungen im Grunde genommen nichts anderes sind als Schreie nach Liebe und Anerkennung. Und ja, ich finde auch, dass es Vielen an gesundem Selbstbewusstsein mangelt. Das gilt auch für jene, die Verschwörungstheorien anhängen, und diese verbreiten…
      Politiker/innen schüren seit langem schon sehr gerne den Rechtsdrall hierzulande – das lenkt so schön von Vielem ab, was in unserem Staate in eine mittlerweile starke Schieflage geraten ist, vom Gesundheitssystem über den Pflegenotstand angefangen bis hin zu höchst lahmen bzw. nicht vorhandenen Aktionen gegen Steuerflüchtlinge und ausufernden Lobbyismus…

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