Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Schon recht bald…

… nach meinem Einzug in die Medizinische Klinik musste ich realisieren, dass man es dort mit den angekündigten Terminen keineswegs ernst zu nehmen pflegt. Lange Zeit musste ich z. B. auf das CT der Oberschenkelmuskulatur warten. Und am Tag nach meiner Aufnahme hatte außer dem morgendlichen Blutdruck- und Temperaturmessen keine einzige der geplanten Untersuchungen statt gefunden – weil man kurzfristig meine Akte verschludert hatte. Eine Zimmergenossin hatte man sage und schreibe zehn Stunden lang auf eine Blutentnahme zwecks Gentest warten lassen. Endlich, sie war schon den Tränen nahe, eigentlich hätte sie am frühen Morgen entlassen werden sollen, und ihr stand eine lange Heimfahrt bevor, kam „Unser kleiner Liebling“, zapfte ihr ein Röhrchen Lebenssaft ab (warf dieses dann zerstreut in den Mülleimer :mrgreen: ) und meinte  huldvoll: „Sie dürfen jetzt gehen.“…

… Die Biopsie, ein operativer Eingriff, bei dem mir einige erbsengroße Stücke Muskulatur aus dem linken Oberarm entnommen wurden, war für Donnerstag neun Uhr angesetzt worden. Um halb Neun sollte ich mich bereit halten, da würde dann der Krankentransport in die benachbarte Chirurgische Klinik erfolgen…

… Natürlich kam niemand – darauf hätte ich nach den Erfahrungen, die ich bereits gemacht hatte, ohne zu zögern mein Monatsgehalt verwettet. Um halb Zehn ging ich zum TheraTrainer im Flur, um mir ein Viertelstünderl lang den Frust wegzuradeln. Frau Doppeldoktor und Unser kleiner Liebling bogen um die Ecke. Frau Dr. Dr. zog erstaunt die Augenbrauen hoch. „Hatten Sie nicht um neun Uhr Ihren Biopsie-Termin?“ Ich nickte. „Stimmt!“ Unser kleiner Liebling fauchte mich an: „Was sitzen Sie dann hier rum!“ Ich knurrte genau so unfreundlich zurück: „Weil man mich noch nicht abgeholt hat!“…

… Um Viertel nach Zehn kamen zwei Männer der Johanniter Unfallhilfe mit einem Rollstuhl ins Zimmer. Ich machte große Augen, denn ich hatte fest damit gerechnet, dass mich jemand vom Haus in die Chirurgische bringen würde. Man schob mich in einen bereit stehenden Krankenwagen, und musste dann, um das Ziel zu erreichen, welches Luftlinie ungefähr vierzig Meter entfernt liegt, einmal rund um den riesigen Klinikkomplex fahren, weil die Ziemssenstraße, welche das Krankenhausgelände an der Nordseite abgrenzt, Bauarbeiten wegen zur Zeit eine Einbahnstraße ist…

… Ich will niemandem bange machen, aber so harmlos, wie es in einem ausgehändigten Informationsblatt dargestellt wird, ist eine Gewebeprobe-Entnahme am Oberarm nicht wirklich. Da die Muskulatur ja nicht verunreinigt werden darf, werden lediglich die Haut und das darunter liegende Gewebe örtlich betäubt. Nach dem Freilegen des Muskels wird dieser durch eine Art kleinen Spatel angehoben und fixiert. Und dann wird geschnitten. Ich bin nicht wehleidig, aber das war durchaus schmerzvoll. Zum Glück hatte ich einen netten jungen Chirurg aus Hamburg, der einigen angehenden Ärzten/innen ausführlich erklärte, was er da tat, ohne medizinisches Kauderwelsch, so dass auch ich gut verstand, was er meinte. Als er den Muskel präpariert hatte, geriet ihm eine kleine Vene in den Weg, die er sanft aus dem Weg bugsieren wollte, wobei sie leider dann doch einriss. Das machte aus dem an sich recht kurzen Eingriff eine Operation, die sich beinahe eine Stunde lang hinzog…

… Zurück ins Modul 2 fuhr mich dann im Rollstuhl eine der sympathischen Jungärztinnen (was sie gar nicht hätte tun dürfen, wie ich später erfahren musste!). Gegen zwölf Uhr mittags war ich wieder in meinem Zimmer…

… Für dreizehn Uhr war die sogenannte Breischluck-Untersuchung angesetzt (mittels einer etwas dicklichen Flüssigkeit wird die Arbeit der Schluckmuskeln von der Kehle bis zum Magen überprüft), wieder in der Chirurgischen Klinik. Auch diesmal hätte ich gewonnen, wenn ich mein Monatsgehalt verwettet hätte…

… Um Viertel nach Zwei chauffierten mich die zwei Jungs der Johanniter auf dem nun schon bekannten langen Weg zur Chirurgischen. Eine knappe halbe Stunde später war die Untersuchung zu Ende, glücklicherweise ohne einen signifikanten Befund. Ich fand es spannend, auf dem großen Monitor mitbeobachten zu dürfen, wie das Geschluckte, das richtig scheußlich schmeckte, in den Magen befördert wurde. „Wir rufen Ihnen gleich einen Rücktransport ins M2.“, versicherte mir die Radiologin. Ich nahm draußen in dem langen, bedrückend schmucklosen Krankenhausflur Platz. Eine der Pflegerinnen sah nach mir. „Sie werden ein halbes Stünderl warten müssen, aber man hat sich schon auf den Weg gemacht.“…

… Nach eineinhalb Stunden, in welchen man mir immer wieder versichert hatte, dass der Rücktransport gleich da sein würde, packte mich das heulende Elend. Mein linker Arm schmerzte und war zudem wegen eines Druckverbands von den Fingern bis zur Schulter unbeweglich. Ich wollte nur noch mehr hier raus, endlich hier raus, nach Hause in mein Bettchen, die Decke über den Kopf ziehen, nichts mehr sehen, nichts mehr hören… Sch…-Myopathie – warum hat es ausgerechnet mich erwischt, ich habe doch zeitlebens versucht, ein guter Mensch zu sein… Ich will hier weg! Ich will meine gesunden Muskeln wieder! Ich möchte wieder ungehindert bergwandern, radfahren, schwimmen, arbeiten, gehen, springen, tanzen können! Warum kommt denn keiner, um mich hier raus zu holen! So schluchzte ich ein Weilchen unbeachtet vor mich hin…

… Um siebzehn Uhr, gerade als das Abendessen serviert wurde, war ich wieder in meinem Zimmer. Die Johanniter hatten mich im Krankenwagen die kurze Strecke von vierzig Metern die Ziemssenstraße entlang bis zum Modul 2 transportiert…

… Am Abend fragte ich bei unserer lieben Klinikzeitung nach: „Ist das denn wirklich nötig, bei so einer kurzen Strecke Krankenwägen zu schicken?“ – „Das ist die Vorschrift.“ – „Aber das könnte doch ein klinikinterner Rollstuhltransport doch genau so gut, und wahrscheinlich sogar schneller.“ – „So was hatten wir ja. Das wurde uns gestrichen. Aus versicherungstechnischen Gründen.“ Ich muss wohl ziemlich entgeistert drein gesehen haben, so ergänzte unsere Lieblingspflegerin: „Weil man auf der Ziemssenstraße wegen der Bauarbeiten für etwa zwanzig Meter das Klinikgelände verlassen muss.“ Ich schnappte nach Luft, meine Zimmergenossinnen schüttelten fassungslos die Köpfe. Und dann setzte die Klinikzeitung noch einen drauf: „So ein Transport durch die Johanniter kostet übrigens 700 Euro. Einfache Strecke.“…

 


35 Antworten zu “Schon recht bald…”

  1. diese Warterei zerrt an den Nerven, ist aber wohl fast überall so. Was es in so manchem Wartenden anrichtet, das interessiert wohl keinen.

    Schon kurios, dass es wegen der lächerlichen 20 Meter solche Kosten verursacht…. *kopfschüttel*

    Furchtbar, dass es doch so schmerzhaft war, wenigstens hätten sie dich darüber informieren können. Wenn man weiß, was kommt, dann ist es ein kleines bißchen leichter, es auszuhalten, oder man lehnt ab und besteht auf eine Kurznarkose, das wäre bestimmt eine Alternative gewesen.
    ‚Ist doch normal, dass man dann das heulende Elend kriegt 🙁
    Wenn bei unseren Kindern Muskelbiopsien gemacht wurden, dann nur in Kurznarkose.

    • Dass man meine Zimmernachbarin auf eine simple Blutentnahme an ihrem Entlassungstag zehn Stunden lang hat warten lassen, fand ich schon höchst extrem, wenn nicht sogar boshaft…
      Da schmeisst man das Geld der Versicherten mit beiden Händen zum Fenster raus, und anderswo verweigert man Operationen, die nicht nur heilen, sondern auch zukünftige Kosten verhindern könnten…
      Man bekommt ja ein Info-Blatt über die Gewebeprobe-Entnahme ausgehändigt, das man dann lesen, unterschreiben und zurückgeben muss, liebe Lilly. Allerdings finde ich schon, dass in dem Schreiben das Procedere etwas verharmlost dargestellt wird. Sehr wahrscheinlich deshalb, weil sich wohl Viele weigern würden, wenn man die Schmerzen wahrheitsgemäß schildern würde. 😉 Sollte eine Biopsie jemals wieder gemacht werden müssen – was ich ganz gewiss nicht hoffe! – dann werde ich auf eine Kurznarkose bestehen…

      • Das stimmt. Auch wenn Leute so lang nüchtern bleiben müssen, wenn sie auf eine OP warten. Meinen Vater ließen sie mal über 48 Std. hungern, weil sich der OP-Terin ständig verschob, dann wunderten sie sich, dass er ziemlich weggetreten war, denn trinken durfte er auch nicht, und keiner hat an eine Infusion gedacht.

        ‚Ja, aber du schriebst ja, dass die Schmerzen nicht erwähnt werden in dem Info-Blatt, wobei Schmerzen natürlich subjektiv sind, da kann man schlecht etwas darüber schreiben.

        Ich schätze dich auch so ein, dass du nicht so dolle wehleidig bist, und da will es schon was heißen, wenn du im Fall eines Falles eine Kurznarkose bevorzugen würdest.

        Ich bin zwar auch nicht wehleidig, aber unnötig Schmerzen will ich auch nicht. Ich sage dann immer, ich hatte in meinem Leben genug Schmerzen auszuhalten, ich mag nicht mehr, entweder sie geben mir eine Kurznarkose oder ich gehe nachhause. Ich kenn da nix.

        Ich denke aber auch, dass es bei dir wohl bei der einen Biopsie bleiben wird, es wird ja auf alles mögliche getestet und die Probe ist ja wohl nicht im Papierkorb gelandet wie die Blutprobe deiner Bettnachbarin.

        • Grundgütiger, das ist aber schon höchst heftig! 😯
          In dem Info-Blatt steht, dass man während des Eingriffs ein etwas unangenehmes Ziehen verspüren würde – eine sehr dezente Umschreibung. 😆
          Ich denke auch, dass man es bei der einen Biopsie belassen wird. Der Chirurg hatte eigens ein zusätzliches Muskelstück entnommen, um ja auf Nummer sicher zu gehen…
          Oh, was hatten die G. und ich gehofft, Unseren kleinen Liebling wegen der Blutprobe im Mülleimer beim Oberarzt verpfeifen zu können, um diesem unhöflichen Weib mal einen ordentlichen Dämpfer zu verpassen! Aber der Professor Sch. hatte sich leider nicht mehr bei uns blicken lassen. 😉

  2. Sie waren im FBI (Pardon, mit Punkten dazwischen). 😉 Da gehts nicht so schnell. Aber eine Biopsie ist wirklich keine Lapalie. Hatte ich zwar noch nie, aber bei juristischen Falllösungen kam mir der Begriff so oft unter, dass ich mich näher kundig machte und seitdem echt Bammel habe so etwas durchziehen zu müssen.
    Na ja, wie man Ihren Schreiben entnehmen kann, sind Sie ja unverändert geblieben. Man wird die Gewebestückchen höchstens dazu verwenden, Sie zu klonen. LOL Schönes WE. 😉 Michael

  3. Ich mag das garnicht verinnerlichen. Mir graut davor selber in eine solche Situation zu kommen. Außerdem bin ich insofern vorgeschädigt, weil meine EX Krankenschwester ist. Da bekommt man in 20 Jahren einiges mit.

    • Ich wünsche es dir so sehr, dass du niemals in ein Krankenhaus musst, lieber Jürgen.
      Ach, herrjeh! Das glaube ich, dass man während 20 Jahren Ehe mit einer Pflegerin Etliches mitbekommt…

  4. Das sollte viel öfter angesprochen werden. Für mich ist das reine Geldverschwendung, die überflüssig ausgegebenen Kosten werden dann wieder an den Patienten eingespart. Das Krankenhaus selbst kann nicht einmal etwas dafür, da wäre mal wieder die hohe Politik gefragt.

    • Da bin ich ganz und gar deiner Meinung, liebe Ute!… Siebenhundert Euro für eine Wegstrecke von vierzig Metern in einem Krankenwagen! Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als ich das hörte… Man sollte den ganzen Behörden-, Vorschriften- und Gesetzeswust der Versicherungen ganz schlicht und ergreifend mal ernsthaft ausdünnen. Das würde Zig-Milliarden Geld einsparen, das man weitaus sinnvoller einsetzen könnte.

    • So schlimm war es nun auch wieder nicht, Anna-Lena. Fakt ist, dass ich, um eine genaue Diagnose meiner Myopathie zu erhalten, jederzeit wieder in dieses Krankenhaus gehen würde. Trotz allem…
      Ich hatte dort ja auch viel Spaß und habe sympathische und interessante Menschen kennen gelernt. Und das Gefühl, nicht alleine mit dieser seltenen Krankheit zu sein, hat mir viel geholfen.
      Wenn es mal ganz schlimm wurde, dann haben wir uns Ärztewitze vorgelesen. Unser Favorit war dieser hier:

      Fünf kurze Sätze, die man einem Arzt NIEMALS glauben soll:

      „Tut nicht weh.“
      „Dauert nicht lange.“
      „Komme gleich wieder.“
      „Das wird schon.“
      „Ich mach das schließlich nicht zum ersten Mal!“ 😉

  5. Liebe Margot, Klinikchaos ist wohl allen wohl bekannt. Leider. Als ich meinen Mann wegen einer schlimmen Herzattacke in das örtliche Krankenhaus bringen musste, waren wir sehr angetan von der netten menschlichen Atmosphäre. Einige Wochen später musste er dann in die berühmte Herzklinik in der Region. Hier ging es nur noch ums Geld. Von Menschlichkeit keine Spur. Zum Glück 🍀 musste er nur drei Tage dort bleiben. Hoffentlich muss er dort nicht noch mal hin.

    • Ich hoffe auch sehr, dass dein Mann nie wieder in diese herzlose Herzklinik muss…
      In der Medizinischen Klinik waren die meisten Menschen auch richtig nett, kompetent und freundlich. Das hat die negativen Eindrücke doch immer wieder erträglicher und sogar wett gemacht.

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