Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

Der Briefmarkenkauf…

… Natürlich wollte ich von Venedig aus liebe und schön bebilderte Grüße an einige Mitmenschen schicken, die mir im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen sind. Wundervolle und nicht alltägliche Ansichtskarten gibt es – ein Tipp! – in der Buchhandlung „Aqua Alta“ in der Nähe der Piazza SS Giovanni e Paolo. Wobei – auch wenn man nichts zu kaufen gedenkt, ist dieser Laden einen Besuch wert, nicht nur in den hohen Regalen türmen sich die Bücher schier himmelwärts, der Eindruck ist ein liebenswert-chaotischer, sogar am Sonntag Morgen ist geöffnet, und auf dem ungefügen Katzenkopfpflaster des kleinen Platzes vor dem Geschäft sind allerlei Kisten mit Romanen und Sachbüchern in beinahe sämtlichen Sprachen der Welt aufgebockt und laden zum Durchstöbern und Probeschmökern ein…

… Nachdem ich mich am Montag durch die Basilika St. Marco und den Palazzo Ducale gestaunt hatte, bestieg ich ein Vaporetto der Linie 2 und ließ mich zur Piazzale Roma fahren, denn dort wusste ich ein großes Postamt. Ich trat ein und genoss mit geschlossenen Augen ein paar Sekündchen die wohltuende Kühle der sachte rauschenden Klimaanlage, draußen herrschten geradezu subtropische Temperaturen. Von insgesamt acht Schaltern waren vier besetzt – mich dünkte dies als ein gutes Zeichen. Vor meiner Nase befand sich ein Automat, an dem man Wartemarken ziehen konnte. Es gab dreierlei verschiedene Marken mit jeweils den Buchstaben „A“, „B“ oder „P“ vorneweg. Auf dem Gehäuse war eine Erläuterung angebracht, allerdings nur auf Italienisch. Ich kann zwar mittlerweile recht geläufig sehr simpel gestrickte, kurze Unterhaltungen führen, doch zum Entziffern des Geschriebenen reichten meine Sprachkenntnisse bei weitem nicht. So zog ich auf gut Glück und mich auf meinen Charme verlassend ein Los mit dem Buchstaben „B“…

… Es dauerte nur Sekunden, bis ich aufgerufen wurde. Eine Dame, die etwa meines Alters sein mochte, klopfte mit der Spitze ihres Kugelschreibers auf die gläserne Theke und fragte nicht sehr freundlich, was mein Anliegen wäre. Ich erwiderte mit dem innerlich schon vor einer Weile zurecht gelegten und geübten Satz: „Guten Tag! Ich hätte bitte gerne zwölf Briefmarken für Ansichtskarten nach Deutschland.“ Sie warf einen Blick auf meine Nummer, die sie mit spitzen Fingern hielt, runzelte die Stirn und musterte mich. Ihr durchdringender Blick glitt von meinem breitkrempigen Strohhut über die auf meiner Brust hängende große Kamera bis hinunter zu meinen trotz aller orthopädischen Künste im Vergleich zu gängigen Sommerfußbekleidungen klobig wirkenden Schuhen, und ich fühlte, wie ich unter dieser missbilligenden Inspektion förmlich auf Staubkorngröße zusammenschrumpfte…

… „Dies“, belehrte die Dame mich in eisigem und höchst indigniertem Ton, indem sie mir das Zettelchen entgegen hielt, „ist eine Nummer mit B. So etwas zieht man, wenn man Bankgeschäfte abwickeln will, Sie wissen schon, Überweisungen und Abhebungen tätigen. Um Briefmarken zu kaufen, müssen Sie eine Nummer mit P ziehen. Und sich noch einmal anstellen.“ – „Vielen Dank!“, murmelte ich, marschierte zurück zum Automaten und tat, wie geheissen…

… Minuten verstrichen. Ich hatte erwartet, alsbald erneut aufgerufen zu werden, da die Halle, von zwei älteren Frauen, welche die zuständigen Beamten in endlos lange Gespräche verwickelt hatten, einmal abgesehen, gähnend leer war. Doch ich täuschte mich. Die Schalterdame stand auf, und verschwand durch eine rückwärtige Tür. Ich beschloss, mich auf die harte Wartebank aus Kunststoff vor den Schaltern nieder zu lassen, und geduldig auszuharren…

… Ich hatte bereits alle gut dreihundert Fotos, die ich im Laufe des Tages geschossen hatte, gründlich durchgesehen und schon einmal grob aussortiert, als sich die Türe automatisch öffnete und zwei neue Kunden eintraten. Beinahe zugleich kehrte auch die Schalterdame wieder zurück. Ich hob den Kopf, bereit zum Aufstehen, denn jetzt würde ich doch bestimmt an die Reihe kommen…

… Aber wiederum ging ich fehl in meiner Annahme. Die beiden Herren wurden vorgezogen. Während man sich auch mit ihnen in gar ausufernden Konversationen erging, schmökerte ich im Reiseführer, las das Kapitel über San Marco und den Dogenpalast noch einmal durch, dann entfaltete ich den Stadtplan, um mir schon mal Gedanken über die morgige Tour zu machen. Schließlich packte mich ein leises Hüngerchen, ich stöberte im Rucksack nach den zwei kleinen Kekspackungen, die ich am Morgen vom Frühstücksbufett mitgenommen hatte, und der halbleeren, großen Wasserflasche. Nachdem ich mit dem etwas frugalen Mahl fertig war, holte ich den Notizblock und einen Kugelschreiber hervor und verfasste einen Einkaufszettel, denn eigentlich hatte ich geplant gehabt, nach dem Kauf der Briefmarken noch dem nahen Supermarkt einen Besuch abzustatten, um für’s Abendessen auf dem Zimmerchen einen Salat und einige Tramezzini zu erstehen. Mittlerweile befürchtete ich allerdings, dass der Laden bereits geschlossen sein würde, ehe ich mein Anliegen hier zum Abschluss gebracht haben würde…

… In meine mittlerweile recht trüben Gedanken machte es plötzlich „Pling!“, ich stierte zur Anzeigentafel hoch und konnte mein Glück kaum fassen: Endlich, endlich, endlich hatte man meine Nummer aufgerufen! Als ich das Dutzend Briefmarken überreicht bekam, wäre ich am liebsten in lauten Jubel ausgebrochen…

… Dies ist eines der krassesten Beispiele von ganz offenkundiger Touristenschikane, der ich in Venedig ausgesetzt gewesen war. Bereits im Mai war mir das teilweise schon unverschämt unfreundliche Verhalten der Einheimischen gegenüber Ortsunkundigen aufgefallen. Bei Busfahrern auf Lido di Venezia zum Beispiel, die, wenn sie von Touris nach bestimmten Haltestellen gefragt wurden, schroff und achselzuckend zur Antwort gaben „Non lo so.“ (Weiß ich nicht), während sie sich, wenn ein Einheimischer Auskunft einholte, in schier elegischen Abhandlungen von epischer Breite zu ergießen pflegten. Manche Kellner und Bedienungen haben Fremden gegenüber eine dermaßen hochfahrend arrogante und zynische Art am Leibe, dass einem schier der Bissen im Halse stecken bleibt. Vor allem, wenn sie merken, dass man Deutsche ist. Da wurde einige Male im schnarrenden Deutsch der „Föhrer“ imitiert. Ich muss gestehen, dass es mich angesichts dessen jedesmal kräftig in den Fingern juckte, dem Gegenüber an die Gurgel zu gehen, und ich all meine Selbstbeherrschung aufbieten musste, um gelassen, ruhig und freundlich zu bleiben. Als ich mit dem Vaporetto 2 am Dienstag Nachmittag mit meinem Köfferchen und dem Rucksack von der Rialto-Brücke zur Piazzale Roma fuhr, um dort den Bus Richtung Flughafen zu nehmen, wurden mir von einem Einheimischen sogar Schläge angedroht, weil ich ihm auf dem völlig überfüllten Boot im Wege stand…

… Ich denke, dass es so manchen Venezianern/innen am liebsten wäre, wenn wir Auswärtigen ihnen lediglich das Geld zukommen lassen würden, das wir in der Lagunenstadt auszugeben gedenken, und möglichst fern bleiben würden…

… Ich habe dreierlei Lehren aus diesen unguten Begegnungen gezogen: Zum einen werde ich mir dadurch meine Liebe und mein Interesse an dieser faszinierenden Stadt nicht verderben lassen. Zum Zweiten: Ich werde Italienisch büffeln. Und wie! Damit ich bei meinem nächsten Aufenthalt in La Serenissima mit der passenden verbalen Münze herausgeben werde können. Und zum Dritten: Ich werde hier in meiner Heimat auf gar keinem Fall nach dem Muster „Gleiches mit Gleichem vergelten“ verfahren. Ganz im Gegenteil. Ich werde in Zukunft noch härter an mir arbeiten, um meinen Mitmenschen freundlich, zuvorkommend, respekt- und rücksichtsvoll, und vor allem gastfreundlich zu begegnen…


32 Antworten zu “Der Briefmarkenkauf…”

    • Es würde sich doch nichts zum Besseren ändern, und geholfen wäre auch niemandem, wenn ich nach dem Motto „Ich bin jetzt genau so gemein zu denen, wie die zu mir gewesen sind!“ handeln würde. 😉

  1. Es freut mich zu lesen, dass du Postkarten verschickst. Ich dachte, das macht im digitalen Zeitalter keiner mehr ;). Ich habe staunen müssen, wie viel Geduld du hast. Wenn ich an deiner Stelle bei der Post wäre, würde ich wahrscheinlich laut los brüllen. Hut ab! glg bilere

    • Ich habe eine geraume Weile nur mehr E-Mails verschickt, weil ich mich eben auch im digitalen Zeitalter angekommen wähnte. Aber ein Ansichtskartengruß ist halt doch um einiges persönlicher, finde ich. 😉
      Wenn ich die Fassung verloren hätte, dann hätte ich mir damit ja nur selbst geschadet, und die Beamten in der Post hätten sich mal wieder sagen können: „Ja, ja, die Sch…-Touris.“ Die Genugtuung wollte ich ihnen keinesfalls verschaffen. 😉
      Herzliche Grüße!

    • Innerlich war ich fassungslos! Ich wollte doch lediglich Briefmarken kaufen, und bin freundlich und behutsam gewesen, was hätte es denn für einen plausiblen Grund gegeben, mich so zu schikanieren? Es wäre doch am einfachsten und auch menschlich am vernünftigsten gewesen, mich auf die Bedeutung der verschiedenen Nummern hinzuweisen, und mir das verlangte Porto zu geben, nicht wahr? Manchmal begreife ich diese Welt nicht mehr, echt jetzt, liebe Vivi.

  2. Es versetzt mich immer wieder in Staunen, wie herablassend Menschen miteinander umgehen – nur weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Ja, da hilft es nur, dazuzulernen, seufz 😉

    • Noch dazu an einem Ort, an dem der Tourismus ganz eindeutig die Haupterwerbsquelle darstellt. Man soll die Hand nicht beissen, die einen füttert, heißt ein uraltes Sprichwort, und ich finde, daran ist durchaus etwas Wahres.

      • Ich vermute mal, Margot, das bringt fast gar nichts. Ich habe mich mal in Grömitz bei der Touri-Behörde beschwert, sehr höflich, aber auch konsequent. Es kam KEINE Reaktion, obwohl ich doch jahrelang die Sommermonate dort verbracht habe. Ich will dich aber gar nicht demotivieren, es ist nur meine Erfahrung.

    • Ich versuche, solche Situationen stets von beiden Seiten zu sehen. Was mir vielleicht dadurch erleichtert wird, dass ich seit langem schon tagein tagaus mit Touristen zu tun habe. 😉 Für bewusste Schikane fehlt mir allerdings jegliches Verständnis, für das Verhalten so einiger Venezianer/innen ehrlich gesagt auch.

    • Ja, selbst wenn man uns Deutschen immer wieder Haarspaltereien und Bürokratentum vorwirft, bin ich sicher, dass man zumindest hier in München auch weitaus kundenfreundlicher und verständnisvoller reagieren würde.

This function has been disabled for Marthas Momente-Sammlung.