Marthas Momente-Sammlung

Glück ist die Summe schöner Momente

„Sie geben heute…

… auf einen Haufen morscher, alter Knochen acht.“, mit diesen Worten begrüßte mich gestern früh die Dienstleiterin in der Residenz. Mit ihrer flapsigen Umschreibung meinte sie die Reliquiensammlung nahe der Hofkapelle. In einem kleinen, abgedunkelten Raum mit einer wuchtigen, ungefähr dreißig Zentimeter dicken, stählernen Panzertür befinden sich, überaus prunk- und kunstvoll in Gold und Silber gefasst und mit ungezählten Juwelen besetzt, nebst den Knochen vieler sogenannter Heiliger auch solch illustre Dinge wie: Barthaare der Apostel Petrus und Johannes, Splitter vom Kreuz Christi, Teile eines Gewandes der Gottesmutter Maria, die mumifizierten Leiber zweier von Herodes in Bethlehem nach der Geburt Jesu ermordeten kleinen Kinder, die Häupter von Johannes des Täufers und seiner Mutter Elisabeth, Stroh aus der Krippe Christi, Teile seiner Dornenkrone, vom Essigschwamm, mit dem er am Kreuz hängend getränkt worden war, sowie Partikel der Geißelsäule, und Fetzen des Tischtuchs vom letzten Abendmahl…

… Reliquien dienten dazu, göttliche Weisheit und Erleuchtung zu erlangen, sowie als angeblich übernatürliche Heilmittel allerlei Krankheiten und Blessuren. Aber sie wurden auch bei „wichtigen“ Schlachten auf hohen Stangen vor den Soldaten hergetragen – meist zum Kriegsdienst gepresste Bauernsleut‘ und Arbeiter. Diese konnten, falls sie des Schreibens mächtig waren, Zettelchen mit ihren Namen an den heiligen Überresten befestigen, was ihnen die unversehrte Heimkehr aus dem Feldzug garantieren sollte…

… Hier ein paar Eindrücke aus der Reliquienkammer – da ich für die kleine „Taschen-Olympus“ leider keinen Polfilter hab‘, kann man auf einigen Bildern Glas-Spiegelungen sehen…

… In früheren Tagen sind die Reliquien in der sogenannten Reichen Kapelle des sehr gläubigen Kurfürsten Maximilian I. (er regierte von 1597 bis 1651) aufbewahrt gewesen – die Frömmigkeit hat Seine Hoheit, sowie seine Nachfolger bis zu Max III. Joseph Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts allerdings nicht davor bewahrt, getreulich dem Hexenhammer zu folgen und eine in die Tausende gehende Schar anders- und freidenkender, eigensinniger, unangepasster Frauen und Männer zum Teil furchtbarer Qualen und dem Tode zu überantworten…

… Die Reiche Kapelle…

… Unweit der Reliquienkammer befindet sich die Hofkapelle der Residenz. Sie wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Auftrag Maximilian I. erbaut, welcher sie der Heiligen Maria weihen ließ. Seine starke Marien-Verehrung wirkt sich bis in die heutigen Tage aus, noch immer ist die Mutter Jesu Bayern’s Schutzpatronin…

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… Am späten Nachmittag übte ein Streichertrio für das am Abend stattfindende Konzert, die wunderschönen klassischen Weisen schwangen sich sanft durch die weitläufigen Säle und Räume…

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… Ich lauschte hingerissen – wenn auch mit einem weinenden Auge, denn dies war mein vorerst letzter Tag als Aufsicht in der Residenz, die nächste Woche über bin ich wieder der Pinakothek der Moderne zugeteilt worden. Und ich genoss es, eine ruhigere Kugel zu schieben, und mich ab und an sitzend etwas ausruhen zu können. Denn die Tage zuvor hatte ich in Abschnitten meinen Dienst versehen, die zu Beginn des großen sowie des kleinen Rundgangs liegen, und war sehr viel damit beschäftigt gewesen, nicht nur jugendliche Besucher davon abzuhalten, Kaugummis an fragile Rokoko-Stühlchen zu kleben, an der Brokat-Überdecke von Kurfürst Maximilian I. Prunkbett zu zerren, wertvolle Seidentapeten und verspielte Stuckverzierungen zu begrapschen, gegen zierliche Porzellanvasen, Standuhren, Glasstürze und Vitrinen zu klopfen oder gar daran zu rütteln, die Finger in die schimmernden Polster von Sitzmöbeln zu vergraben, und sogar mit den Nägeln das Blattgold von den Ornamenten der hohen Flügeltüren zu kratzen. Bei Schülergruppen scheint es eine Art Sport zu sein, in Nähe einer Museums-Aufsicht geballte Ladungen von Verdauungsgasen auszustoßen, da muss man mit einem Pokerface die Luft anhalten oder flach durch den Mund atmen, wenn man sich nicht zur Seite bewegen kann…

… Trotz den gerade geschilderten nicht grade feinen Umständen habe ich in der Residenz die glücklichsten und schönsten Arbeitstage seit ungezählten Jahren verbracht. Ich hoffe so sehr, daß ich bald wieder dort arbeiten darf…


36 Antworten zu “„Sie geben heute…”

  1. Prunk ohne Ende. Sei froh das du nicht in der Zeit gelebt hast, wenn der alle freidenkenden Frauen umgebracht hat, wäre dein Leben nur sehr kurz gewesen. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. L.G.

  2. Das ist ja ganz toll, was du alles zu sehen kriegst! Die Spiegelungen stören mich überhaupt nicht. Einen Polfilter habe ich sowieso nicht. Ich weiß nicht mal, ob es den für so eine kleine Kamera wie meine gibt.
    Ich erinnere mich übrigens, dass wir damals auch in dieser Kapelle waren, aber da fühlten wir uns schon erschlagen von den vielen Eindrücken und all‘ der Pracht. Die Reliquien habe ich gar nicht wahrgenommen.

    • Die Zeit in der Residenz kommt mir wie ein äußerst wertvolles Geschenk vor… Ich habe bereits per Mail ganz, ganz liebenswürdig bei der Disposition darum gebeten, bald wieder dort eingesetzt zu werden, am liebsten für immer. 😉
      Für die große Nikon habe ich einen Polfilter, allerdings einen ziemlich preiswerten, was sich leider in der Qualität der Bilder zeigt, so richtig kann ich damit die Spiegelungen nicht ausblenden. 😉
      Das geht etlichen Besuchern so, daß sie bei der Reliquienkammer schon völlig erschlagen von all der Pracht und dem Gesehenen sind. Manche möchten auch nicht hinein gehen, weil sie sich gruseln. 😉

      • Es ist sicher vor allem der visuelle Overkill, zu viel von allem. Wir Kölner dürfen jeden 1. Donnerstag im Monat kostenlos in die städtischen Museen. Da kann man sich dann mal eine Stunde auf wenige Dinge konzentrieren. So ähnlich stelle ich mir das bei dir vor. Du guckst dir das, wo du eingesetzt bist, sehr intensiv an.

        • Ich nehme acht, manchmal neun Stunden lang den oder die Räume, dem oder denen ich zugeteilt worden bin, förmlich in mich auf. Die Fragen der Besucher, die ich nicht beantworten konnte – und davon hat es viele gegeben! – habe ich mir immer notiert, und abends nach Feierabend dann im WWW die Erklärungen und historischen Hintergründe gesucht. Und dadurch mein Wissen über bayerische, und auch deutsche, Geschichte ein wenig erweitern können…
          Ich glaube, bei manchen von uns gibt es so etwas wie einen Residenz-Virus – der hat mich gepackt, voll und ganz. 😉 Heute, während ich an diesem Post arbeitete, habe ich die Stammbäume der bayerischen Herrscher durchgelesen – die sind ordentlich kompliziert und schwierig zu merken…

  3. Du durftest fotografieren???? die sind ja toll da!
    Und soviel Prunk und „Kram“…..Ich mag ja sowas….Museen…Supertoll!

    • So weit ich weiß, darf man in allen Münchner Museen ohne Blitzlicht fotografieren. 🙂 Wenn du Prunk und „Kram“ magst, dann solltest du mal nach München kommen. Nicht nur in der Residenz gibt es eine immense Fülle davon. 😉

  4. Das ist wirklich ein superschöner Arbeitsplatz. Und Reliquien sind ansich schon gut und richtig, nur nicht, wenn sie auf Kreuzzügen vorneweg getragen werden. Das war für mich ebenso wie die Hexenverfolgung, ein Verbrechen auf Grund eines (Irr-) Glaubens und damit haben sich die Kirchen keinesfalls mit Ruhm bekleckert!

    Liebe Grüße
    Ute

    • Na ja, ich weiß nicht, ich stehe Reliquien sehr, sehr skeptisch gegenüber. Vor allem, weil damals viel Schindluder damit betrieben worden ist. Ich bin überhaupt nicht davon überzeugt, daß sich in den prunkvollen kleinen Schreinen und Gefäßen auch in der Tat jene Dinge befinden, die genannt worden sind… Oh, nicht nur während der Kreuzzüge hat man Reliquien vorneweg getragen, z. B. auch in den Schlachten des Dreißigjährigen Kriegs…
      Liebe Grüße!

      • Das habe ich mich wohl etwas missverständlich ausgedrückt… unter der Maßgabe natürlich, dass da drin wäre, was gesagt wird. Das weiß natürlich keiner… für das was du schreibst, galt auch meine Kritik… eine Erinnerung an die toten Kinder zu bewahren, finde ich grundsätzlich gut, wenn es auch besser wäre, wenn das nie passiert wäre! Und wenn es die Art der katholischen Kirche ist, das so zu tun, dann sollen sie es in „Gottes Namen“ so tun. Ich würde mir da allerdings auch noch „Reliquien“ zur Erinnerung an die Opfer der Inqusition „wünschen“. Die wird es aber nie geben, da die Menschen ja verfemt und alles andere als „heilig“ waren und nichts von ihnen übrig bleiben sollte. Unschuldig gequälte und ermordete Menschen, sollten der Kirche allerdings zumindest jetzt heilig sein!
        Liebe Grüße
        Ute

        • Ich glaube, auch heutzutage würde die Katholische Kirche keine Gedanken daran verschwenden, Gebeine von Opfern der Inquisition und der Hexenverfolgungen aufzubewahren und zu ehren. 😉
          An dem Vertrieb sogenannter Heiliger Gebeine und anderer Reliquien haben vor allem im Mittelalter trotz des Handelsverbots so einige gewiefte Leutchen sich eine goldene Nase verdient. Und ich gehe jede Wette ein, daß die angeblich so wundertätigen und geheiligten Dingen wie z. B. Barthaare, Finger- und Zehennägel und auch Knochen, Schädel, Blut oder Knöchelchen in Wirklichkeit zu Lebzeiten zu den Körpern völlig „normalen“ Sterblichen gehörten. 😉
          Liebe Grüße!

    • Also ich denke da anders, schon alleine wegen der Tatsache, daß 90% der reliquien Flschungen sind- soviele Finger, Knochen, Vorhäute (14 oder mehr!) hat es von Jesus nicht gegeben, wie es als Reliquien weltweit gibt.
      Zum anderen empfinde ich vieles davon als geschmacklos, pietätlos und dümmlich.

      • Das sei dir unbenommen und nicht alle Reliquien sind ja von Jesus.
        Aber im Grunde gehen sie mir aber am „A…“ vorbei, Grundsätzlich gilt für mich aber, „Leben und leben lassen“, wenn es niemandem schadet! Und wer es braucht, soll es haben… 😉

    • Danke schön! 🙂 Ich bin beim Fotografieren trotz all meiner Freude über das Arbeiten in der Residenz immer ein wenig unglücklich gewesen, weil ich ja mit der „kleinen Olympus“ knipsen musste. 😉

        • Danke, liebe Emily. ♥ Ich werde die Tage mal ausprobieren, ob ich die große Nikon in mein altes schwarzes Handtäschchen pfriemeln kann, denn ein solches dürfen wir mit auf unsere Plätze nehmen. 😉

  5. Die Reliquienkammer wurde zu Kurfürst Maximilians Zeiten als noch wertvoller als alle Juwelen, die heute in der Schatzkammer der Residenz ausgestellt werden, betrachtet. Mich gruselt’s dort auch immer, aber der Glaube kann ja bekanntlich Berge versetzen, und hat wohl vielen armen Bauern im Dreißigjährigen Krieg wenigstens dabei geholfen, sich in dieser schrecklichen Zeit etwas sicherer zu fühlen.
    Im Museum Brandhorst ist übrigens das Fotografieren nicht erlaubt, obwohl es städtisch ist.
    Herzliche Grüße
    Renate

    • Ich glaube, die Reliquien sind heute auch noch von unschätzbarem Wert… Ein Besucher fragte mich, ob wir die schwere Panzertür am Abend wirklich zusperren würden. „Aber ja!“ – „Aber am Abend kommt ja niemand mehr in die Residenz.“ – „Eine Bank schließt ja auch allabendlich ihre Tresore, obwohl sich über Nacht niemand mehr dort aufhält.“, entgegnete ich ihm schmunzelnd. 😉
      Sieh an, daß man im Brandhorst nicht fotografieren darf, wusste ich gar nicht.
      Herzliche Grüße!

  6. Ich habe mir die Fotos angeschaut und muß feststellen, daß die Reflexionen nicht groß stören.
    Ich wil, auch noch anmerken, daß beim senkrecht durch Glas fotografieren ein Polfilter sowieso nicht viel nützt, da nur schräg reflektiertes Licht polarisiert ist, je größer der Winkel zur Senkrechten, desto mehr.

  7. jaja … es ist schon eine Pracht, die die Kirche beherbergt, in meinen Kölner ‚Jahrzehnten‘ war ich oft in der „Domschatzkammer“, wenn ich meine Besuch durch Köln führte. Liebe Grüße aus dem apriligen Hamburg 🙂

    • In der Residenz-Schatzkammer bin ich noch gar nicht gewesen – ich freue mich schon darauf, daß man mich hoffentlich irgendwann einaml dorthin einteilen wird. 😉
      Herzliche Grüße aus dem ungestüm windigen und kalten und auch sehr aprilligen München.

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